Seine Arme und Schultern brannten wie Feuer. Das schwere Zweihandschwert entglitt nur deshalb nicht seinen Fingern, weil seine Hände sich schmerzhaft um das Griffstück verkrampft hatten. Schwerfällig hob er die Waffe, schwang sie wie eine Keule, zerschmetterte eine weitere Gestalt in schwarz-grüner Uniform.
Es waren Tausende. Heute morgen noch hätte niemand geglaubt, dass die Mantis so schnell eine Armee dieser Größe auf Kish landen könnte. Aber die Decados hatten nicht gewartet, bis sie genug Soldaten beisammen hatten. Einfache Bauern stecken in den Uniformen, ohne jede Ausbildung und Kampferfahrung. Er hatte beim Feind Hautfarben und Gesichtszüge von Kish und Malignatius ausgemacht, und auch andere, die er nicht zuordnen konnte. Für manche hatten nicht einmal die Waffen gereicht, sie waren mit Holzknüppeln oder mit bloßen Händen auf das Schlachtfeld gerannt.
Ein weiter Zweihandschlag, ein weiter Schritt Bodengewinn für die Siebte Kompanie. Ein roter Schleier lag über seinen Augen, durch den er keine Menschen vor sich sah, sondern Hindernisse. Keine angsterfüllten Blicke, sondern unmenschliche Fratzen. Kugeln prallten von seiner Rüstung ab; er bemerkte sie kaum.
Die Bauern erfüllten ihren Zweck: Sie starben. Erkauften dadurch der anrückenden Artillerie wertvolle Zeit, jedes Leben einige weitere Sekunden. Der Angriff hatte das IV. Regiment in seinem Feldlager bei St. Kaori-Schild-des-Westens völlig überrascht, die einzelnen Kompanien überspült von schwarz-grünen Wogen. Er hörte eine verzerrte Stimme in seinem Ohr - sein Squawker - aber er konnte sie nicht verstehen. Für eine Strategie war es ohnehin schon zu spät. Die IV. musste bis zu den Artilleriepanzern durchbrechen, oder die Kathedrale und die Stadt waren verloren.
Blut spritze auf seine Rüstung, färbte die braun-grau gemusterte Oberfläche glänzend schwarz. Links und rechts konnte er die fragenden Blicke seiner Männer sehen. Eingekreist. "Weiter! Weiter!" Sein heiserer Befehl hallte über das Schlachtfeld. Fast geschafft! Durch die schwarz-grünen Leiber der Mantis-Soldaten konnte er bereits freies Feld sehen. Ein paar Feinde warfen die Waffen weg und rannten, als sie ihn heranstürmen sahen. Andere erstarrten, standen im Weg, wurden Opfer seiner Klinge.
Ein Lichtblitz, dann ein ohrenbetäubender Knall. Die Druckwelle riss ihn fast zu Boden. Die Artillerie der Mantis feuerte auf das Schlachtfeld, zerfetzte Angreifer wie Verteidiger. "Vorwärts!" Die Zeit wurde knapp. Ein weiteres Rauschen in seinem Ohr. Diesmal konnte er sehen, was gemeldet wurde: Die 2. Gruppe war durchgebrochen, rannte die Hügel hinauf, auf die Artilleriestellungen zu. Die anderen fassten neuen Mut, kämpften sich entschlossen durch die letzen Meter. Er spuckte einen Batzen zähflüssigen Speichel aus, hob dann erneut sein Schwert zum letzen Schlag.
Schrilles Pfeifen. Licht. Dann ein Donnerhall. Er Hörte sich selbst schreien, spürte die Hitze der Explosion seine Haut verbrennen, fühlte, wie ihm das Fleisch von den Knochen gerissen wurde. Dann, nichts mehr.
Keitaro riss die Augen auf, sein Körper in kaltem Schweiß gebadet. Er versuchte, sich aufzurichten, aber sein Körper gehorchte nicht. Die Deckenbemalung tanzte verschwommen vor seinen Augen. Was ist... wo... Sein Kopf war schwer, so schwer...
Er erwachte.
Stille. Nur sein Herzschlag.
Ein Aufwallen von Panik. Ich bin gestorben! Er konnte seinen Körper nicht fühlen.
Doch.
Da war ein Körper. Arme. Beine. Taub, aber er konnte sie spüren.
Wo bin ich?
Er tastete mit seinen Fingern. Narben überall. Aber nichts fehlte. Seine Bewegungen waren schwer, wie... unter Wasser! Erneut Panik. Er versuchte zu atmen, aber er fühlte seine Lungen nicht.
Seine Hände stießen auf Widerstand. Glatt. Wie Glas. Auf allen Seiten. Gefangen!
Er öffnete die Augen. Doch er hatte keine. Ich bin blind!
Entsetzen ergriff von ihm Besitz. Verzweifelt stemmte er sich gegen sein Gefängnis.
Plötzlich war der Druck verschwunden. Bersten von Glas. Rauschen von Wasser. Kälte umfing ihn. Er fiel, landete unsanft.
Schmerzen. Sein ganzer Körper war eine einzige Wunde. Er krümmte sich zusammen, schrie. Um sich herum hörte er aufgeregte Stimmen. Hände packten ihn, versuchten, ihn hoch zu zerren. Panik! Er schlug um sich. Schmerzensschreie, diesmal nicht seine.
Ruhig bleiben. Diese Menschen wollen uns heilen... Er erstarrte. Wer ist da?
Erneut fühlte er Berührungen. Nadeln durchdrangen seine Haut. Er fühlte, wie sich Taubheit in seinem Körper ausbreitete.
Fürchte dich nicht. Die Schmerzen werden sich bald legen... schlaf jetzt... wenn du aufwachst, werden wir eins sein.
Keitaro wälzte sich herum, versuchte erneut, aufzustehen. Noch nie hatte er sich so schwach gefühlt. Ihm gelang ein Schritt aus dem Bett, aber sofort wurde er von einem Schwindelgefühl erfasst. Er erinnerte sich nicht, sich schlafen gelegt zu haben. Gift! Aber wer... Er taumelte. Der Boden schien auf einmal so nah zu sein... Das Old India! Sie hat uns vergiftet! Mit einem dumpfen Schlag prallte er auf, blieb regungslos liegen.
Von ferne schien ihn eine Stimme zu rufen. Er konnte die Sprache nicht verstehen, wurde aber wie durch Zauberhand zu der Quelle des Singsangs hingezogen. Kalte, nicht menschliche Worte, wie aus einer anderen Welt. Seine Umgebung war seltsam verschwommen, wie mit grauen Schlieren durchzogen. Ein Turmzimmer. Draußen tobte der Schneesturm. Feuer prasselte im Kamin, aber er fühlte die Wärme nicht. "Komm zu mir, Evandi Li Halan. Ich rufe dich!" Die Worte rissen an ihm, zwangen ihn mit eiskalten Ketten auf den Turmbewohner zu. "Komm zu mir... ich habe viele Fragen." Ein Paar schwarzer Augen tauchte vor ihm auf, schien sich um ihn zu drehen. Er versuchte, zu entkommen, aber die Blicke durchbohrten ihn, griffen nach seiner Seele...
Keitaro schrie, starr vor Entsetzen. Und erwachte.