Ras Chandra spürte das lauwarme Wasser über seine Haut rinnen, den Schweiß, das Elend, die Müdigkeit mitnehmen. Er war erschöpft - innerlich wie verbrannt, eine Schicht aus Asche lag über allen Gefühlen, über allen Gedanken, über jeder Regung, jedem Impuls.
Wie gut, daß der Graf ihn an seine Pflicht erinnert hatte. Der Alkohol brannte sich aus seinem Körper, er war fast wieder völlig nüchtern, dank der Drogen derJakovianer. Dank der Tatsache, daß sein Körper fast so fremdartig war wie der eines Askorbiten, innerlich, nicht äußerlich. Er spannte alle Muskeln an, löste die Spannung dann langsam, prüfte jeden Muskel. Einsatzbereit. Er hatte schon unter anderen Umständen gekämpft.
Das Wasser hörte auf - es war rationiert. Es reichte, natürlich, aber Ras gab nicht viel auf übermäßigen Luxus. Er griff nach einem Handtuch, beobachtete, wie das Wasser zwischen den feinen Haaren am Unterarm perlte, und über die Hand rannen. beobachtete, wie die Adern hervorgetreten waren unter der Haut. Hob den Kopf und sein Blick fiel wieder auf die polierte Metallplatte, die hier als Spiegel diente.
Was stand da in seinen Augen? Schmerz? Verwunderung? Ratlosigkeit? Trauer? Er zog die Lider zusammen, hob die Hand, spreizte die Finger und strich sich damit über das Gesicht, als müsse er sich selbst an die Züge erinnern, Fleisch und Knochen, Atem und Empfindung. Er senkte das Handtuch, betrachtete seinen Körper im Spiegel.
Hundert weitere Jahre? In diesem Fleisch? Mit diesem Körper. Sie sagten, daß jene Adlige, die das Serum nahmen, langsam wahnsinnig wurden, weil der menschliche Geist dafür nicht gemacht war. Wie Baronet Anatolyi Yeshejevich Decados, Jakovianer, dem man nachsagte, er habe Graf Andrei den letzten Schliff gegeben. Wie alt beide Männer waren, wußte niemand so recht. Decados-Genealogien waren meist so falsch wie cadavische Heilige. Yeshejevich war wahnsinnig, Andrei war fremdartig, aber noch bei Verstand. Das sprach dafür, daß Andrei jünger war.
Und ich? Sich selbst im gleichen Atemzug zu nennen wie diese beiden fühlte sich beinahe an wie Ketzerei. Wenn er gewußt hätte, wie sich Ketzerei anfühlte. Er war aufgewachsen in einem Haushalt, in dem die Priester Unfälle erlitten oder sich das Leben nahmen - der, der es schließlich überlebt hatte, war selbst Decados, und er erzählte die Geschichten etwas anders, als sie in den Omega-Bekenntnissen zu finden waren. Nach ihm fiel es den Decados zu, das Universum zu beherrschen - erst dann würden die Sonnen wieder neu erstrahlen. So aber ächzte der Kosmos darunter, daß den Decados ihr rechtmäßiges Herrschaftsrecht nicht gegeben worden war.
Patricia hatte ihn belehren wollen, und ihn sogar teilweise überzeugt. Ihr zuliebe hatte er sich mit den Schriften beschäftigt, wenn er zum Jagen zu müde war. Sie hatte den Haß in seinem Herzen besänftigt. Und sie hatte ihn die ganze Zeit gefürchtet.
Und damit war sie gestorben, war erst vor ihm geflohen, unter den Schleier, den Schutz der Kirche, hatte dann ihr Herz, ihre Seele in Sicherheit gebracht, wie vor einem Dämon, der sie zu vernichten trachtete.
Er schüttelte den Kopf, spürte, wie er die Fäuste ballte. Dabei hatte sie von allen nie Grund gehabt, ihn zu fürchten. Seine Ehefrau, Mutter seines Sohnes. Herrin seines Landes. Seine Herrin. Er hatte sie nicht halten können, sie hatte ihn nicht halten können. Wäre ich ein besserer Mann gewesen, es wäre nicht geschehen. Wäre ich stärker gewesen, es wäre nicht geschehen.
Sein Blick fiel auf die schwarze Rüstung.
Hundert weitere Jahre als gestaltgewordene Furcht. Er zog die Lippen von den Zähnen zurück.
Dann sollte es so sein. Er hatte seine Eide abgelegt, hatte einmen Herrn und Meister. Es glaubte nicht mehr daraan, daß die Decados den Kosmos erretten würden. Die Sonnen würde nicht stärker brennen für Männer wie Andrei und Yeshevich, ausgeschlossenen.
Es ging aussschließlich ums Überleben, Überdauern, als letzter übrig zu bleiben und dem Götzen, der ihnen das Leid in vollen Kellen ausschenkte, die Stirn zu bieten.
Er bleckte die Zähne. "Du brichst mich nicht, Götze. Noch mit dem letzten Atemzug verfluche ich dich. Ich verwüste deine prunvollen Tempel, ich schände deine Knechte, ich breche ihre Herzen, bis sie deiner fluchen, ich brenne dein Land und die Bücher voller Lügen, ich bringe Krieg und Terror über die Deinen und zerschmettere, was dir gebaut wurde."
Dann begann er, sich zu rüsten.