SR4 auf der RatCon: eine wilde Sammlung von EindrückenVorweg: ich hatte nicht Gelegenheit, eine Demorunde zu spielen, aber dafür durchaus ausgiebig Gelegenheit, im GRW zu schmökern und Nyx & sirdoom (Demorunden-SLs und Testspieler) auszuquetschen. Danke nochmal an die beiden! Ich konzentriere mich weniger auf die Geschichte oder die Welt,s ondern eher auf das, was die Spieler und Charaktere persönlich berührt: Regeln und das, was sie am Stammtisch interessiert. ;-)
Artwork: Bis auf einige Ausnahmen hat mir das Artwork sehr gut gefallen. Die Archetypen sind zweimal ganz ok, der Rest ist sehr gut bis hervorragend. Hut ab vor den Künstlern, das ist wirklich ganz großes Kino. Mein Favorit ist die Schmugglerin und der Straßensamurai. Das weitere Artwork ist ganz gut, mit ein paar Ausreißern nach unten und nach oben.
Es kann natürlich die äußerst subjektive Vorfreude auf SR4 und meine wohlbekannte Meinung über SR3 sein, aber ich finde derzeit das Artwork in SR4 besser als in SR3. Klar, die Bilder der Waffen zb sind größtenteils aus dem Arsenal und diese Bilder sind so-naja (mit ein paar hübschen Ausnahmen), aber immerhin kann man sich auch als GRW-Besitzer endlich vorstellen, wie die Autoren eine Ingram Smartgun beschreiben wollten.
Das "Grün" ist so eine Sache, manche freuen sich wegen der Matrixanspielung, andere (ich) hätten ein Blau/Grau/Schwarz bevorzugt, aber ich denke, ich werde mich daran gewöhnen können.
Regeln: Natürlich kann ich von ein paar Probewürfeln im Kopf, einer Menge Unterhaltung über Spieltheorie, etwas Charaktererschaffung und eifrigen Suchen von Schwachstellen im Regelwerk kein festes Urteil bilden (das geht wohl erst nach den ersten Spielmonaten), aber sowohl das Lese-Verständnis als auch die Nachvollziehbarkeit wurden querbet IMHO stark gesteigert. Das Fertigkeitensystem ist auf den ersten Blick sinnvoll zusammengefaßt bzw aufgesplittert, die Anwendungen sind klar, die Laune, aus diesen Regeln auch stimmungsvolle Charaktere (bzw deren regeltechnische Seite auszuarbeiten) zu machen, ist sofort da (sicherlich auch hier die etwas mit Vorurteilen behaftete Vorfreude auf SR4). Es ist auch mein Eindruck, daß versucht wurde, nur allgemeine Grundregeln aufzustellen und damit dem SL die Verwantwortung übertragen wurde, mit seinem GMV etwas daraus zu machen, wenn er auf eine spezifische, nicht von den normalen Grundregeln abgedeckte Situation stöß. Sprich: keine Regeln mehr für jeden Scheiß (wie Sinkzeiten für Flugzeugträger), dafür aber mehr Improvisation, Abschätzung und Plot-Storytelling ("Das Schiff fängt an zu sinken, was macht Ihr?") vom SL verlangt ... IMHO der richtige Weg.
Charaktere und Rassen:
Trolle sind 250cm groß und wiegen 300kg! Hurray! Warum nicht gleich so? Die Bilder sind ok, die Texte zur Einführung waren beim Überfliegen ebenfalls ok, und es kribbelt ganz enorm in den Fingern, gerade die neuen Möglichkeiten umzusetzen.
Style & Atmosphäre:
Ich finde gerade diesen Teil durchaus wichtig und bin von vielen Flufftexten, kombiniert mit dem einfachen System & vielen Bildern sehr angetan. Alleine schon die Critter- und die Connectionsabteilung mancht nach dem Klopapier der dritten Edition (Verzeihung, es heißt ja noch offiziell "Critters 3.01d") wieder mit Bildern und Werten von vielen Crittern mächtig Laune. Das SR-Rollenspiel ist einfach ... rollenspielerischer geworden. Es macht Spaß, im Buch zu blättern und zu lesen, während ich in SR3 oft lesen MUSSTE, aber nicht WOLLTE.
Informationen:
Der Informationsteil über die sechste Welt und rollenspielerische Hintergründe ("Wie integrieren Sie als SL neue Spieler in die Gruppe") wurden massiv gesteigert. So erfahre ich zb grundlegende Infos zu den Megas (Namen, Gebiete, Orte, ein paar Worte Fluff), eine Menge SSG ist wiederzufinden und auch einige Offgamepunkte, die dem SL helfen können. Klar, die Infos sind oft kurz und oberflächlich, aber für ein GRW angemessen. Das GRW ist sehr viel umfangreicher, sowohl im regeltechnischen Bereich (Sprungregeln, Feuerschaden) als auch im Hintergrundbereich (Sex! Endlich können auch Runner Sex haben! (Insider ;-))).
Ausrüstung:
Das schöne, abgesehen von einigen wirklich notwendigen Überarbeitungen (Speicherplatz! Gewichte! Tarnstufe!) ist, daß der Regelanteil etwas gesenkt wurde, dafür aber wieder Bilder von Ausrüstung und mehr Flair drin ist (Waffen! Smartlinkbrillen! Medkits!). Drohnen und Fahrzeuge sind deutlich erweitert worden, genau wie die Waffen. Auch hier wurden die Preise überarbeitet und es ist zu erwarten, daß das Bezahlungsniveau langfristig etwas heruntergehen wird ... mit 20 000¥ kann man in SR4 wirklich einiges machen. Interessant ist auch der Gedanke, daß man, Connection, Zeit und Geld vorausgesetzt, quasi an alles auf dem Schwarzmarkt bekommen kann. Es ist zu erwarten, daß viele Verfügbarkeite, die in SR3 solchen Unsinn wie Verfügbarkeit 24/2 Monate hatten, einfach einen Strich haben werden (oder aber eine neue Verfügbarkeit im Bereich der 100+), quasi nach Spielleiterentscheid.
Cyberware
Ein hochinteressanter und schöner Teil, der mächtig Laune auf die Schwerstvercyberten-Fraktion macht. Preise wurden gnadenlos gekillt, oft um den Faktor 10 gesenkt. Essenzkosten, mit ein paar Ausnahmen, wurden ebenfalls gesenkt, hier wird sich natürlich noch zeigen müssen, ob die Zusammenlegung von Bioindex und Essenzkosten nicht doch ein wenig zu heftig ist und den Streetsam mit Essenz 0,x oder 1,x nicht doch das Genick bricht. Potentiell dürften viele Magier ein Äuglein (oder zwei, dank Magegoogle oder Augendrohnen) auf den Zerebralbooster werfen, während die Straßensamurai-Fraktion mit den 500.000¥-Betaware-Fullbodyborgs mit 9er Werten in Body, Konstitution & Agilität liegäugeln wird (im High-Power-Bereich, wobei natürlich noch getestet werden muß, ob dann noch andere Dinge wie Reflexbooster eingebaut werden können). Generell habe ich hier und im Matrixteil das Gefühl, daß vieles von "Ghost in the Shell" inspiriert ist (Cyberglieder, Fullbodyborgs, ständige Matrixconnection, Bedeutung der Elektronik in der Welt, High Tech/SOTA etc) ... was ich als durchaus positiv empfinde.
Zu meiner Schande habe ich den Rigger/Matrixteil leider zum größten Teil nicht geschafft, mir ein Bild davon zu machen. Aber verschiedenes Feedback in der Form von "In SR3 hatte ich enorme Probleme, mich in die Matrixregeln einzuarbeiten, in SR4 lese ich die Regeln und leite den Demorun komplett per Beinarbeit und (regeltechnischem) Matrixeinsatz" lassen hoffen ... diese Meinung übrigens fand sich in der einen oder anderen Form bei verschiedenen Spielern und Spielleitern. Note for Technomancer: diese haben potentiell die Möglichkeit, jeden Decker in der Pfeife zu rauchen. Aber da bin ich nicht sicher, ob ich alles verstanden habe.
Magie:
Magier sind nicht wirklich schwächer geworden. Potentiell gilt für sie und ihre primären Fähigkeiten (Magie schleudern) kein 7er Cap. Wo also mundane Charaktere im 5-7er Bereich aufhören werden, kann ein Erwachter munter sein Magieattribut. Es gibt wieder einige "Must have"-Sprüche (hohe Wirkung, wenig Entzug), aber wo man mit etwas Würfelglück und Karmaeinsatz in SR3 auch hohen Entzug wegbekam, so wird man bei den neuen Powersprüchen wohl immer etwas Entzug bekommen können, im Gegenzug dazu jedoch auch immer etwas Wirkung im Ziel haben.
Negative/neutrale Eindrücke:
Eigentlich herzlich wenige. Was mir derzeit etwas arg seltsam aufstößt, ist das nagende Gefühl, daß die Verteidigungmöglichkeiten gegen Magie UND gegen Schußwaffen enorm schwierig sind ... wer nicht schneller ist als ein Straßensamurai oder ein Magier, wird selbst bei hohen und extrem hohen Werten schnell ein Problem haben. Ausweichen und Schadenswiderstand sind massiv kastriert worden. Auf der anderen Seite erhält auch ein normaler 0815-wachmann bei 8 von 10 Schadenskästchen gerademal -2w6 (und ist damit immer noch ein handlungsfähiger Gegner). Aber auch hier gilt: für ein endgültiges Urteil fehlt mir die Langzeitspielerfahrung.
Ingesamt:
Ok, es ist verdammt früh, sich ein abschließendes Urteil zu bilden. Aber fast alles, was ich derzeit an SR4 _weiß_ (und das meine ich im Sinne von "ich habe es gelesen") macht mir sehr viel Hoffnung und wichtiger: verdammt viel Laune. Klar, es ist viel Subjektivität dabei, aber ich verspüre ein änliches Kribbeln in den Fingern wie damals, als ich das DnD-3.0-PHB oder das FS-GRW in die Finger bekam ...
SR4 ist durchaus ein neues Spiel und kein Regelneuaufguß, welches einen quasi-gordischen Knoten samt Rattenschwanz von PRoblemem mit sich zieht seit 1989, aber ich wage die Behauptung, daß es am Grundgedanken von SR ( ein wenig Cyberpunk, Fantasy, Futuristik, viele w6, relativ hohe Tödlichkeit, BlackOps/SpecialOps, Living on the Edge yadayadayada blablabla) näher dran ist als jede andere Edition.
Vieles wird sich ändern, ich schätze vor allem in Bezug auf die Bedeutung der Matrix und der Cyberware. Es würde mich nicht wundern, daß Fullbodyborgs 2070 genauso normal sind für ein langjähriges oder hochgepowertes Spiel sind wie 2060 kultivierte Bioware und Beta-Cyberware. Das Zusammenspiel über die Matrix, über Gruppen-Netzwerke (Pfffft, wer braucht schon Battletacs und taktische Computer, wenn er für 150¥ ein Commlink-Gruppennetzwerk aufbauen kann?) wird wohl wirklich ein cooles und typisches Element werden und zwar von jeder Seite. Auch das Steigern wird einen anderen Stellenwert haben.
Durch das veränderte Fertigkeitensystem und die neuen Attribute, wird ein Charakter vielleicht eher in der Breite, weniger in der Höhe wachsen. Edge zb wird wohl ein neues Lieblingsattribut werden und wohl für einige "Running Gags" sorgen.
Ein erstes, Vorab-Pre-Alpha-Fazit, welches ich jederzeit revidieren könnte:
SR4 wird verdammt cool ... die neue Edition wird quasi Shadowrun mit Turbolader.
Mich würde natürlich interessieren, ob die SR4-GRW-Besitzer diese Eindrücke bestätigen oder wiederlegen können.
SR4 ist so ... "grün". ;-)
SYL