Diese Worte schmerzen Juan mehr, als er zugeben willl.
Bislang sind doch auch alle ohne mich ausgekommen - und ich bin auch nicht das einzige Familienmitglied, das hätte Fürsorgen leisten können oder müssen. Aber sie hat recht - ich war nicht da.
Er eingt sich ein schmerzliches Lächeln ab. "Aber irgendwo muss man doch anfangen. Und warum es dann nicht gleich richtig machen?"
Damit dreht er sich um und begibt sich zum "Klabautermann".
Als er die Schenke betritt, schlägt ihm zunächst stickige, heiße Luft entgegen und es dauert einige Sekunden, bis die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben. Die Sonne ist inzwischen schon seit geraumer Zeit untergegangen - und der Schankraum ist brechend voll. Die Menschen sind betrunken und laut. Es wird gewürfelt, mit Pfeilen geworfen, und aus einer dunklen Ecke sind zwei streitende Männer zu hören - die Art von Streit, die nach der scheinbaren Beilegung weiterschwelt und nur zu leicht mit einem Messer im Bauch enden kann.
Juan schiebt sich zwischen den Menschen hindurch, durch den Schankraum und läßt seinen Blick umherschweifen, auf der Suche nach seinem Bruder. Als er ihn schließlich bemerkt, bleibt er wie vom Donner gerührt stehen - es ist, als sähe er sich in einem Spiegel. Nein, es ist mehr: Es ist wie der Blick durch ein Tor in der Zeit, der BLick auf sein vergangenes Selbst. Es ist nicht so sehr die äußere Ähnlichkeit (die zwar unverkennbar, aber nicht frappierend ist). Vielmehr ist es die Haltung Giacomos, wie er lässig auf einem Stuhl lümmelt, einen Weinpokal vor sich stehen, die Rechte nonchalant auf Schenkel eines leichten Mädchens plaziert hat und mit der linken in Begriff ist, den Würfel zu werfen. In der Mitte des Tisches liegt eine horrende Summe und die Worte die Giacomo ausspricht, kann er nach den ersten Silben mitsprechen, so oft kamen sie schon über seine eigenen Lippen: "Nun geht es um's ganze, Senor. Alles oder nichts."
Juan ist kurz versucht einzugreifen - aber entscheidet sich dagegen. Heute nacht wird er mit dem betrunkenen Giacomo ohnehin nicht mehr vernünftig reden können, und ein Spiel zu unterbrechen würden ihm sowohl Giacomo als auch dessen Mitspieler übelnehmen.
Nein, es ist besser abzuwarten, ein Auge auf Giacomo zu haben, ihn vor Betrügern, Räubern und sich selbst ein wenig zu schützen und den kameradschaftlichen Bruder zu mimen. Letzteres wäre noch nicht einmal eine Lüge - Juan freut sich ehrlich Giacomo wiederzusehen.
Giacomos augen sind geschlossen, er schickt stumm ein kurzes Stoßgebet zu Theus und schüttelt die Würfel scheinbar endlos lange in seiner Hand. Lange genug, um Juan zu ermöglichen, sich schräg hinter seinem letzten verbliebenen Mitspieler in Stellung zu bringen. Einem rauhbeinig aussehenden Seemann, offenkundig vendelscher Abstammung.
Giacomo wirft, immer noch ohne die Augen zu öffnen - und sein Gegner stößt einen Fluch aus: Die Würfel zweigen 12 Augen, Giacomo gewinnt. Der Vendel starrt ungläubig auf die Würfel, während Giacomo den Haufen Geld zu sich zieht und macht Anstalten, sich zu erheben.
"IHR..."
Nun hält Juan den Augenblick zum einschreiten für gekommen. und legt dem Vendel die Hand scheinbar sanft auf die Schulter, übt jdoch so geschickt Druck aus, daß der Verlierer sich wieder setzen muss.
"...habt wirklich großes Glück und ehrenhaft gewonnen. Das wolltet Ihr doch sagen, nicht wahr?"
Der Vendel windet sich in Juans Griff und Giacomo starrt seinen Bruder ungläubig an.
"Der junge Caballero hat einen ausgezeichneten Leumund in dieser Gegend und ich bin gerne bereit, für ihn zu bürgen. Dieser Mann ist sicher kein Betüger. Verstehen wir uns?" fragt Juan lächelnd.
Oberflächlich betrachtet sind sowohl das Lächeln als auch der Tonfall seiner Stimme überaus höflich und freundlich. Aber unter der Oberfläche des Lächelns sind Rasierklingen verborgen, und der Samt der Stimme ist nur eine dünne Schicht auf gehärtetem Stahl. In seiner Zeit bei Hofe hat Juan gelernt, nicht mit Worten sondern mit dem Tonfall einzuschüchtern, ohne dabei nur im mindesten unhöflcih zu wirken.
Eine Lektion, die er in den vergangenen acht Jahren gründlich gelernt hat.