Nimrott erhob sich vom Feuer und ballte die Faust. Zorn glühte in ihm auf. Er sah Luana direkt an:
"Reißt euch zusammen, Luana! Benehmt euch nicht wie ein Kind! Jeder von uns trägt seine Bürde. Da seid ihr nicht allein. Ihr musstet doch wissen, dass ich euer Geheimnis früher oder später erfahren würde. Ich bin der Zauberer, der auf der Suche nach Waldelfen ist, ihr Wesen, ihre Eigenarten und Fähigkeiten jahrzehntelang studiert hat. Ihr wusstet ganz genau, dass ich das Geheimnis irgendwann enthüllten würde."
Nimrott holte tief luft und setzte sich wieder auf einen umgestürzten, vernarbten Baumstamm neben dem Feuer. Jetzt sprach er ruhiger weiter:
"Vielleicht wäre es besser gewesen, ihr hättet es selbst irgendwann verraten. Aber ich fürchte, früher oder später hätten es alle gewusst und das misstrauen wäre stets größer geworden. Das kann nicht in eurem Sinne sein."
Nimrott sagte kein weiteres Wort mehr. Er senkte seinen Blick. Vielleicht bereuhte er, was er gesagt hatte. Dagegen kam Gasper heran, blickte in die Runde und sagte zu Luana:
"Ihr glaubt also die einzige Person in dieser Runde zu sein, die nirgens zuhause ist. Dann möchte ich euch mal eine kleine Geschichte erzählen, die ich bisher noch niemandem anvertraut habe..."
Der Paladin zögerte und wirkte mit einem mal so verwundbar. Die Aura der Stärke und Entschlossenheit um ihn herum erlosch. Die Worte, die Gasper jetzt sprach wirkten so offen und ehrlich, wie sonst keine, die die Anwesenden bisher gehört hatten:
"Ich war fünf Jahre alt, da kamen sie das erste man. Die Hawender Windsleejer erreichten das erste mal unser Dorf. Es war am Tag nach meinem Geburtstag, daran erinnere ich mich noch ganz genau. Ich bewunderte meinen Onkel für sein Stärke und Ausdauer, seine Redegewandtheit und überhaupt die ganze Erhabenheit, die ihn umgab. Ich wollte so werden wie er. Ein Anführer, ein Beschützer, der für seine Mitmenschen da ist und ihnen mit Rat und Kraft zur Seite stehen kann. Die Windsleejer schlugen ihn an diesem Tag zusammen und brachen ihm alle Knochen, wie einen gemeinen Räuber. Meine Mutter wurde geschendet, meine älteren Brüder getötet. Aber ich war noch jung, Kinder verkraften viel und so lebte auch ich weiter. Wir überlebten wie durch ein Wunder alle den Winter. Die Knochen meines Onkels wuchsen nie wieder richtig zusammen, er konnte nur noch kriechen, aber seinen Stolz hatten sie ihm nicht genommen. Es kam das Frühjahr. Es ging uns schon wieder besser. Im Sommer war es allerdings wieder so weit. Die Windsleejer klopften an unsere Türen, diesesmal noch vor meinem Geburtstag. Sie nahmen uns weg, was geblieben war. Sie verschleppten alle Frauen und verprügelten meinen Onkel erneut als er widerstand leisten wollte. Ich hasste die Windsleejer. Nicht weil sie raubten, mordeten, vergewaltigen und plünderten. Nein, nicht deswegen. Ich hasste sie, weil sie meinem Onkel niemals eine Gelegenheit gegeben hatten ihnen in einem gerechten Kampf gegenüberzutreten. Immer rotteten sie sich zusammen, um wie eine Horde Ratten über ihn herzufallen. Alle, die in unserem Dorf noch übrig waren zogen fort. Weg von diesem verfluchten Ort, der gefährlicher nicht sein könnte. Nur mein Onkel und ich blieben zurück, er war der letzte meiner Familie. Schließlich bekam er die Schwindsucht und noch vor dem Winter siechte er dahin. Alles, was ihm noch geblieben war verlor sich in der Zeit. Wie ein Blatt welkte er dahin. Nichts blieb von ihm übrig außer einer leeren Hülle. Selbst das Fleisch an den Knochen und unter der Haut schien nicht mehr vorhanden zu sein. Ich legte mich zu ihm, um zu sterben."
Gasper seufzte und blickte zu Boden. Er redete weiter:
"Ein Wandermönch nahm mich mit. Ich weiß nicht, wie er erfahren hat, dass in unserem verlassenen Dorf noch ein lebendes Kind war, das mit seinem Onkel sterben wollte. Jedenfalls begann ab diesem Punkt erst meine niemals enden wollende Reise. Er brachte mich zu seinen Ordensbrüdern nach Vittland. Im Kloster zu Jasic verbrachte ich drei Jahre bei den Verhüllten. Sie wollten wissen, ob ich besessen sei, weil ich ungezogen und furchtlos war. Ich fluchte und schimpfte immerzu. Ich wollte doch nur mit meinem Onkel sterben, statt dessen siechte er ohne mich dahin. Er wurde mir entrissen. Sie folterten mich und ich wünschte mir, sie würden mich töten. Schließlich verstießen sie mich, weil sie dachten die dämonische Saat käme mit mir in ihr schönes Kloster. Das Meer sollte mein Grab werden, so wünschten sie es sich und so wünschte ich es mir. Aber ich starb nicht. Ein Fischer las mich auf. Aus irgendeinem Grund meinte er ich müsste leben und brachte mich zum Hafen. Die folgenden Jahre arbeitete ich auf einem Handelsschiff. Sie schlugen mich, aber das war ich gewohnt. Ich lachte sie aus und dafür wurde ich verprügelt. Aber ich wollte es ja nicht anders. Schließlich fand mich irgendein Haberländer, der mich in seine Heimat brachte. Ich war sehr stark geworden und gewachsen. Ich war furchtlos und machte großen Eindruck auf die Leute. Ich kam an den Hof eines Ritters und lernte die Schwertkunst und alle möglichen Waffengänge. Wieder brachten sie mich ins Kloster, weil ich ihnen Angst machte. Weil ich zu aufbrausend war und nur unflätige Worte übrig hatte. Ich wurde gefoltert, verhört, gedemütigt. Aber das hatten wir ja alles schon. Nichts von alldem konnte mich beeindrucken. Sie schickten mich auf Pilgerreise, da war ich gerade siebzehn Jahre alt. Ich kam nur mit, weil mich meine Reise nach Hawende führte, dem Land, in dem ich die Windsleejer finden und richten würde, mein Zorn galt ganz ihnen, die meinen Onkel getötet und gedemütigt haben..."
Gasper hielt inne und starrte ins Feuer. Dann lockerte sich seine Mine und er er endete ganz plötzlich mit den Worten:
"Ihr seht also Luana, dass auch ich nirgends zuhause gewesen bin, bis ich meinen Weg zu Metorn gefunden habe."
Die Anwesenden blickten verwundert. Irgendetwas bei seiner kleinen Geschichte hatte er ausgelassen, aber warum?