Nimrott nickte zufrieden und sagte zu seinen Begleitern:
"Auch wenn es euch offenbar an Verstand mangelt, habt ihr doch das Herz am rechten Fleck. Es freut mich zu hören, dass ihr mich jetzt nicht im Stich lassen wollt."
Der Zauberer murmelte sich noch irgendetwas in den Bart und erhob sich dann langsam, ohne jedoch seinen linken Arm allzu sehr zu belasten. Die Gemeinschaft warf noch einmal einen Blick zurück zum Dorf. In der sommerlichen Nachmittagshitze schien dieser Ort geradezu friedlich. Aber genau im Zeichen dieses Unterschieds zwischen Schein und Sein stand offenbar ihre gesamte Unternehmung. Bis jetzt sammelten sie nur Fragen, anstatt Antworten zu erhalten. Sie waren auf der Suche, wussten aber nicht nach was. Sie flohen, doch vor wem? Und Nimrott trieb die Gruppe immer wieder zur Eile an, aber kein wusste so recht warum.
Am schwülen Abend dieses Tages hatten die Reisenden bereits einen Stück Weg des Waldrandes hinter sich gelassen. Das Geäst und Unterholz des Fileipwaldes sah nicht schrecklicher oder ungewöhnlicher aus als bei jedem anderen Wald. Doch irgendwie lehrte dieses dämliche Holz die Wandernden Respekt. Wie viel sich die Reisenden davon nur einbildeten wussten sie selbst nicht. Nimrott erkannte die Anspannung. Ein unangenehme Ruhe beherrschte die Runde, als alle um das Lagerfeuer versammelt waren, der Wald nur wenige Schritte entfernt. Der Gelehrte warf einen Ast ins Feuer, fuhr sich durch den im Licht der Flammen schimmernden Bart und brach plötzlich die Stille:
"Wisst ihr, was der Orden der Silberschatten über die Wälder erzählt? Natürlich, ihr könnt es nicht wissen. Ich bin einer der wenigen, die echte Elfenschriften in die Hände bekommen haben. Unermessliche Schätze sind die Pergamente aus einer Zeit, als die Menschen den Weltenkreis noch nicht bewohnten. Dabei haben die Elfen die Abschriften von einem noch viel älteren Volk, ohne es jedoch zu wissen."
Nimrott lächelte und warf einen verstohlenen Blick zu Mortan herüber. Dann fuhr er fort:
"Die Elfen erwähnen die Zwerge in keinem Wort und fast wäre ich geneigt zu glauben, dass sie erst nach den Kindern des Waldes die Welt betreten haben, wäre da nicht eine kleine Ungereihmtheit: Wer hat von der Welt vor den Eflen erzählt? Wie dem auch sei, ich wollte über die Wälder reden. Ihr müsst wissen, dass Bäume nur wachsen, wenn eine Frucht oder ein Keim zu Boden fällt. Anders als Kriechgetier oder erdgeborene Trolle vermehren sie sich nicht durch Urzeugung. In der Welt vor den Elfen war das Land karg und nur Gras überzog die endlosen Weiten. Riesen und gigantische Fellbestien streiften durch das Land. Irgendwann, keiner weiß so genau warum, durchstießen die Riesen die Pforten zur Feenwelt, die bis dahin den Weltenkreis nur schwach berührte. Sie errichteten Steinkreise, bei denen ein einziger Stein so groß war wie ein Felsen. Und inmitten der Steine wuchs ein Baum, ohne dass ein Keim zu Boden gefallen war. Dieser Baum wuchs heran und verbreitete seinen Samen mit dem Wind. Bald wuchsen weitere Bäume und aus all den Bäumen wurde ein Wald. Wo zuerst ein Wald war entstanden weitere. Und wo die Wälder waren fanden die Elfen die Pforten in den Weltenkreis. Die Wälder sind die Verbindung zur Feenwelt, davon bin ich überzeugt. Und wer könnte mehr darüber wissen als die Elfen?"
Nimrott betrachtete die Flammen des Lagerfeuers. Offenbar war er wieder einmal in Gedanken verunken. Baratos hörte diese Geschichte das erste mal. Nimrott stellte da eine verwegene Vermutung auf und doch deckten sich viele der Aussagen mit Legenden und Geschichten, die er gehört hatte. Mortan dachte darüber nach, an welche alten Zwergengeschichten er sich noch erinnern konnte. Da war dieses Märchen von einem Troll, der vor urig langer Zeit in einer kalten Steppe ohne Bäume, nur übersäht mit langem, zähen Gras in einem Wirtshaus Zwerge bewirtet haben sollte. Mortan wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Groc hieß der Troll, ein Name aus einem Märchen, oder? Talonis erkannte einige Aspekte dieser Erzählung wieder. Allerdings störte ihn schon, dass Metorn mit keinem Wort erwähnt wurde. Die Bäume, die Wälder, die Elfen. Alles kam in die Welt, ohne dass Metorn mitwirkte? Kaum vorstellbar. Luana kannte leider viel zu wenig von den Elfen und doch machten sie die Worte des Alten neugierig. Hatte es wirklich eine Welt vor den Elfen gegeben?