Naja, also Markos Engagement als "Hobby" zu charakterisieren, wäre schon ein ziemlich krasses understatement. Aber stimmt schon, Degenesis ist zwar Markos Baby und Passion, aber es ist eben nicht das, womit Sixmorevodka ihre Brötchen verdienen. Eher das Gegenteil. Aber dafür kannst du sicher sein, dass alles liebevolle Hand- und Qualitätsarbeit ist - da labert kein Verlag von außen rein und verdirbt den Brei.
Da ich die große Ehre hatte am Finishing von Black Atlantic teilhaben zu dürfen, möchte ich an dieser Stelle ein paar Gedanken mit euch teilen, die euch hoffentlich noch ein bisschen einheizen, den Band in der ein oder anderen Form zu erstehen.
Mit "Black Atlantic" greift Chefkoch Marko noch einmal das Rezept von "In thy Blood" und "The Killing Game", Regional- und Abenteuerband zu kombinieren, auf und verfeinert es mit dem ihm eigenen Perfektionismus noch ein bisschen.
Die beschriebene Gegend, das westfrankische Briton, entspricht von der (geografischen) Größe her in etwa der aus "The Killing Game", fällt aber mit ca. 70 Seiten noch etwas umfassender aus. Der Fokus liegt klar auf Brest, Hauptstadt von Klan Britoni und Ausgangspunkt der Kampagne, seinen Vierteln und besonderen Plätzen. Daneben stehen mehrere größere Ortschaften (Rennes, St. Brieuc, Nantes und Mont St. Michel), Dörfer (Morlaix, Carhaix, Vannes und Karnag) und besondere Orte (die keltische See und der Schwarze Atlantik, der Gauntlet, ein weiteres Ziggurath). Bilder und Texte erschaffen ein plastisches Abbild einer lebendigen und bis ins Detail stimmigen Kultur, die wieder ganz anders ist als das Franka, das wir aus TKG kennen: Wilder und rauer, durch die Dominanz von Wiedertäufern und Britoni sehr viel homogener und für viele Kulte gefährlicher als die kosmopolitische Südküste. Die Detaildichte ist hoch und gibt dem/der SL ausreichend Material an die Hand um neben dem Hauptszenario einige Abende mit Leben zu füllen.
Das NSC-Ensemble ist bunt gemischt, fast alle Kulte haben einen Auftritt in dem zweiteiligen Szenario ("Black Atlantic" & "Fraß der Götter") - die fehlenden waren bereits in TKG prominent vertreten, sodass man sie kaum missen wird. Die Profile sind wie gewohnt ausführlich und liebevoll, mit ausdrucksstarken Illustrationen im überarbeiteten Portrait-Format (perfekt für Handouts oder elektronische Spieloberflächen), mit abwechslungsreichen Spielwerten & Sonderfähigkeiten und Tipps für den/die SL zum Ausspielen. Und, stärker noch als bei den Vorgängern, animiert das Szenario die Spieler*innen dazu sich mit deren Geschichten und Motiven auseinanderzusetzen. Selten habe ich ein Rollenspiel-Produkt gelesen, bei dem SC und NSC derart eng verwoben und auf Augenhöhe sind.
Auch das Szenario fällt mit 150 Seiten deutlich umfangreicher aus als seine Vorgänger. Und das aus gutem Grund, denn hier werden mehrere parallel laufende Handlungsstränge verwoben, die sich von Szene zu Szene verdichten und auf mehrere rasante Höhepunkte zubewegen: Da ist zunächst die gegen die herrschenden Wiedertäufer gerichtete "Mission Concorde", eine Geheimoperation des Spitals mit alten Bekannten, in die die SC verwickelt werden. Gleichzeitig wird in einer Art Kalter-Krieg-Szenario der Konflikt zwischen Marodeuren, derer gleich 2 auftreten, und Schläfern aufgegriffen. Auch hier stehen die SC - freiwillig oder nicht - an vorderster Front. Hinter all dem lauert die Gefahr des Schwarzen Wassers und die Blüte des 6ten Chakras. Wer glaubt, dass das zu viel ist, um nicht in Chaos auszuarten, liegt schwer daneben: Trotz der hohen Komplexität, die auch erfahrenen SL sicher einiges abverlangen wird, liest sich das Szenario äußerst flüssig und steuert geschickt von einem epischem Höhepunkt zum nächsten.
Insgesamt legen Marko und SMV also noch mal eine ordentliche Schippe drauf. Alles ist noch ein bisschen krasser und größer. Die zahlreichen Illustrationen sind nicht nur wie gewohnt von Spitzenniveau, sondern greifen geschickt die wichtigsten Motive des Buches auf und eignen sich hervorragend dazu, während des Spiels präsentiert zu werden. Das Szenario liefert so viel Metaplot wie keines zuvor, wirft die Spieler*innen mitten hinein in das ganz große Räderwerk der Welt von Degenesis. Keine Frage: Auch der Anspruch, sowohl an SL als auch an Spieler*innen, zieht noch einmal an. Aber wenn man sich auf die vorgeschlagene Geschichte einlässt - und sie überlebt - dürfte einen ein episches Erlebnis sonder gleichen erwarten.
Ich freue mich schon riesig darauf, Black Atlantic leiten zu dürfen. Es ist ein richtig geiles Teil geworden