Ich habe übrigens gerade endlich mal den ganzen "Bricolage"-Kram auf der Forge aufgearbeitet, und das passt sehr gut ins Thema. Mir ist klar, dass das hier ein offener Thread ist, und ich will bestimmt nicht anfangen, hier Levi-Strauss zu erklären, den ich nicht mal selbst gelesen habe. Aber ich finde das, was ich oben über Vampire geschrieben habe, in den Bricolage-Passagen sehr schön wieder.
Die Idee dabei ist, dass Spieler sich aus einem Sammelsurium von "Dingen" (Techniken, Regeln, Setting-Elementen etc.) durch Modifikation, Erweiterung, Weglassen einzelner Elemente usw. ihre "Maschine" zusammenschneidern. Und dass dieser Prozess weitgehend unbewusst abläuft. Je besser die Gruppe aufeinander eingespielt ist, desto besser funktioniert das.
Die umgekehrte Methode ist diejenige, die von einem abstrakten Blickwinkel kommt, zuerst Ziele definiert und dann Methoden entwickelt, um diese zu erreichen. Die interessante Beobachtung ist, dass letztere Methode letztlich
a) von dem ablenkt, was man eigentlich will, nämlich spielen und
b) nicht notgedrungen schneller zu guten Ergebnissen für eine gegebene Gruppe führt.
Das ist jetzt überhaupt kein Widerspruch zu Fredis "Kohärenz"-Definition. Aber allemal ein interessanter Denkanstoß zu der Frage, was für Schlussfolgerungen man daraus zieht. Denn jedes Modell ist ja ohne Schlussfolgerungen letztlich wertlos.
Die Schule des kohärenten Spiel-Designs geht davon aus, dass der beste Weg, Kohärenz zwischen Spielern zu erreichen, ein Design ist, das das Spiel in ganz bestimmte Bahnen lenkt. Das also der Bricolage gerade Grenzen setzt, damit nicht jeder Beteiligte wie wild an der Maschine herumbastelt, sondern alle verdammt noch mal die Maschine so benutzen, wie es vom Erbauer der Maschine vorgesehen ist. Es kann ja dabei immer noch eine verdammt flexible Maschine sein. Dieses Lied singt Fredi, wenn er im Rollenspieldesign "reduce to the max" vorschlägt oder im Spiel "playing as written". Baue die Maschine so, dass sie das perfekt macht, was sie soll, und sonst nichts. Benutze die Maschine für das, wofür sie gebaut wurde.
Führt das nun zu einer positiven Feedbackschleife? Ja, wenn allen Beteiligten die Maschine gefällt. Und dann auch sehr zuverlässig. Führt es zu einer besseren Feedbackschleife als Bricolage? Weiß nicht.
Bricolage ist eine Sache, die kurz- und langfristig funktioniert, wobei sie wahrscheinlich über lange Sicht eine Konvergenz hin zu einem optimierten Spielerlebnis für alle Beteiligten ermöglichen kann, während ihr Effekt bei einem One-Shot eher begrenzt ist. Sie ist aber nicht auf komplexe Systeme und Settings beschränkt, sondern ein allgemeines Prinzip. Zwar ist es richtig, dass Veränderungen an der Maschine zu ungewollten Nebeneffekten führen können, doch diese "zerbrechen" die Maschine nicht notgedrungen, sondern machen nur weitere Veränderungen erforderlich. Richtig ist, dass manche Maschinen leichter zu zerbrechen sind als andere.
Worauf will der Vermi eigentlich hinaus? Okay, hier sind ein paar provokante Thesen:
1) Ein sogenanntes kohärentes Spiel funktioniert dann, wenn die Vorstellungen der Spieler sich auf dieser Linie in Einklang bringen lassen, sonst nicht.
2) Bricolage funktioniert nicht, wenn die von den Spielern vorgenommenen Änderungen an der "Maschine" sich widersprechen.
3) Wenn Spieler widersprüchliche Änderungen an der Maschine vornehmen, würden sie sich auch nicht auf eine fertige Maschine einigen können, die sie ohne Veränderung benutzen.
4) Daraus folgt: Eine Gruppe, die mit einem kohärenten System Spaß hat, wird auch mit Bricolage einen Weg finden, Spaß zu haben. Womöglich sogar mehr Spaß. Eine Gruppe, die mit Bricolage keinen Weg findet, wird auch durch ein kohärentes System nicht zu heilen sein.
Was bleibt, ist Fredis Zeit-/Anstrengungsargument. Wenn man das System gleich - zack - nehmen und verwenden kann, ohne etwas verändern zu müssen, spart das natürlich Zeit und Nerv. Andererseits ist Bricolage gerade
nicht "ich überlege mir vor der Sitzung diese und jene Hausregel, weil mir das System nicht gefällt". Sondern es ist: "Ich löse eine konkrete Situation, die im Spiel auftaucht, so wie sie mir gefällt, statt so wie die Regeln es sagen, und sehe wohin mich das führt." Das ist in der Regel ein Schritt
hin zu Kohärenz zwischen Spielern, der allerdings durch ein sehr fokussiertes Design erheblich erschwert wird.
Hat irgendjemand verstanden, was ich sagen will?