Schnitt - Irgendwo in Eisen
Sonnenstrahlen wecken Diego in seiner Kammer. Verwirrt kneift er die Augen zusammen. Das goldgelbe Licht dringt durch die zahllosen Ritzen in dem hölzernen Laden vor dem Fenster und durchzieht den Raum wie Spinnenfäden.
Doch da ist noch etwas anderes. Ein weißes Licht, das ihn trifft. Er sieht nach rechts. Ein Strahl trifft auf das gelockerte Kurzschwert eines bärtigen, vierschrötigen Mannes, der behäbig an der Wand lehnt und sich die schmutzigen Fingernägel mit einem Wurfdolch säubert.
Eine Augenbraue von Diego wandert nach oben. Sein nächster Blick gilt der Tür. Angelehnt. Der dritte Blick seiner Waffe. Links neben ihm unter der groben Bettdecke.
Gerade will er sich aufsetzen, als eine blitzschnelle Bewegung des Bärtigen ihn zusammenzucken lässt. Der Wurfdolch donnert gegen die Holzwand, nagelt Diegos Hemd daran fest.
Die zweite Augenbraue wandert nach oben.
"Guten Morgen.", grüßt er verschlafen. Der Bärtige grinst. Seine Zähne sind schlecht, aber seine Rüstung wirkt poliert. Die schwere Brünne glänzt, und die gewichsten Stiefel mögen so gar nicht zu dem ungepflegten Bart und den rotbraunen Locken des Hünen passen.
"Morgen.", brummt er. "Na?"
"Na? Nichts. Dummes Gewäsch." Beiläufig zieht Diego den Dolch aus der Wand. "Mein Hemd hat ein Loch.", stellt er lakonisch fest.
"Hier erzählt dir nur jemand auf der Folterbank die Wahrheit, Diego.", sagt der Hüne, ohne auf Diegos Bemerkung einzugehen. "Die Ratte hat dich sicher belogen, damit du den Branntwein rausrückst. Versteh mich nicht falsch, ich mache dir keinen Vorwurf. Aber dein Vater hat gesagt, ich soll ein bisschen auf dich aufpassen..."
Diego seufzt vernehmlich. "Ja, Mutter. Und deshalb nehme ich deine Ratschläge auch gerne an."
"Aber gestern abend nicht, was?"
"Nein. Hör zu, Cousin Pedro ist jetzt seit...wie lange? Siebenundzwanzig Tagen verschollen. Irgendwie in dem Kampf zwischen zwei Möchtegern-Fürsten oder Grafen verloren gegangen, die sich um den benachbarten Kuhstall balgen. Und dann diese Lösgeldforderung...langsam werde ich ungeduldig."
Der Hüne brummt unbestimmt und stapfte zur Tür. "Mach dich fertig, wir reisen..."
"Nach Westen.", hilft ihm Diego.
"Nach Westen.", antwortet der Hüne ergeben. "Na von mir aus. Ich bin unten und sattle die Pferde."
Eine Stunde später reitet das ungleiche Paar, der schmale Castilier und der hünenhafte Mann aus Eisen, nebeneinander die Straße nach Westen entlang. Es scheint ein diffus sonniger Tag zu werden - eine Seltenheit hierzulande.
So ungleich, wie die beiden Reiter sind, so ungleich ist auch die Statur ihrer Pferde. Der schlanke castilische Vollbluthengst und der mächtige Eisen-Kaltblüter wollen ebenfalls nicht recht zueinander passen.
Doch Diego wei0, wenn es hart auf hart kommt, kann er sich auf Mutter verlassen. Zwar ist er schon fast doppelt so alt wie Diego selbst, doch seine Reflexe sind immer noch einzigartig. Gut, dass er ihn im Hafen von Insel noch gefunden hatte - Ironfists ehemaliger Smutje war ihm immer noch etwas schuldig, nachdem Diego und Seamus ihn einst aus einem Vodacce-Gefängnis befreit hatten.
"Wo ist eigentlich das Lösegeld?", fragt Mutter nach einer Weile. Diego beginnt zu grinsen. Auf die Frage wartet er schon seit drei Tagen.
"In Castilien in der Schatulle meines Vaters.", antwortet er.
"Wie, du hast es nicht dabei? Und wenn wir Pedro nicht finden?"
"Wir finden ihn." Diego ist sich sicher. Und er hofft, es würde nicht die Leiche seines Cousins sein, die er zurück nach Castilien bringen muss...