Autor Thema: [Osiris/Tyria] Bordell-Papi oder es muss nicht immer Nar sein  (Gelesen 5446 mal)

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Offline Lord Verminaard

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Das ganze Gerede über Gamism und „Spielen mit Absicht“ (im Big Model Thread) hat mir eine Runde auf der NordCon 2004 ins Gedächtnis zurück gerufen. Diese Runde war meiner Meinung nach eine schöne Demonstration von kohärentem Spiel. Soll heißen, alle Beteiligten haben dasselbe Spielziel („Creative Agenda“) verfolgt, und das war sicher einer der Gründe, warum diese Runde so viel Spaß gemacht hat.

Tyria Tom und SireThomas hatten eine gemeinsame Runde am Samstagmorgen angesetzt. Tyria-Setting, Osiris-Regeln. Doppel-SL. Juhanito und ich waren gerade frisch eingetroffen, und nachdem Ludovico irgendwohin abschwirrte und wir noch was zum Spielen suchten, ließen wir uns von SireT direkt anwerben. Projekt Odyssee ist ja eh immer eine gute Adresse.

Es waren nur insgesamt vier Spieler da, die anderen beiden waren ein Mann und eine Frau, die sich offenbar ebenfalls kannten. Tom und SireT boten uns an, das Abenteuer als Vierer-Gruppe zu spielen statt als zwei konkurrierende Gruppen, aber wir entschieden uns, zwei Zweier-Teams zu bilden. Luxus pur! Zwei SLs für nur vier Spieler. Damit war auch klar, dass die Charaktere gegeneinander antreten würden, und somit war ein wichtiger Parameter für das nachfolgende Spiel schon mal explizit und von Missverständnissen ausgeschlossen.

Gleichzeitig war es nahe liegend, dass es eine „Aufgabe“ zu lösen geben würde. Und alle Spieler haben dabei auch von Anfang an mitgezogen (soweit ich das beurteilen kann, habe nicht alles vom anderen Spieltisch mitgekriegt). Niemand hat also versucht, „ein anderes Spiel zu spielen“ als vorgesehen.

Tom gab uns eine Einführung in das Setting. All sein Herzblut steckt in Tyria, und das merkt man auch. Er blühte richtig auf, als Juhanito ein paar Kommentare zur Architektur abgab und sich generell interessiert zeigte. Unserer Charaktere lebten alle auf einer großen Insel, deren Namen ich leider vergessen habe, die zu einem Südsee-mäßigen Archipel gehörte, jedoch komplett bebaut war von einer frühindustrialisierten Gesellschaft mit Steampunk-Elementen. Ein gigantisches Rohrpost-Netz, dampfbetriebene Automobile („Ypsomobile“), Fabrikschlote und abgerissene Arbeiterviertel voll halbverfallener Backsteinkasernen.

Wir wählten dann Charaktere. Juhanito spielte einen heruntergekommenen Casanova und Hochstapler, ich spielte einen ehemaligen Seemann und Preisboxer. Die anderen beiden hatten eine ähnliche Fähigkeitenverteilung: Der Mann spielte eine hübsche Frau, offenbar ebenfalls eine Betrügerin, die Frau spielte den „Großen“, einen Hünen von Kerl und offenbar ebenfalls ein Nahkämpfer.

Wir begannen das Spiel, indem wir ein bisschen die Lebensumstände unserer Charaktere in den Armutsvierteln der Insel beleuchteten. Diejenigen, die sich für GNS interessieren, werden jetzt vielleicht schreien: „Ha! Simulationismus! Inkohärenz!“ Das ist eine wichtige Sache, die dieses Beispiel vielleicht besser zeigt als jede abstrakte Erklärung: Exploration gehört zum Rollenspiel dazu. Sie ist Teil jeder Creative Agenda. In diesem Fall haben wir ein bisschen Setting und Setting-Color „exploriert“. Aber jede kritische Entscheidung, und ich meine jede, die wir zu treffen hatten, haben wir als Gamisten getroffen. Leistung, Risiko, Belohnung. Wir haben auf Plausibilität geachtet, darauf, nichts völlig Charakter-untypisches zu tun. Aber das war bloß Teil der Leistung! Wir haben zu keiner Zeit eine ineffiziente Entscheidung getroffen, weil es „cool“ gewesen wäre oder weil es „besser zu unserem Charakter gepasst hätte“. Kein Simulationismus weit und breit in Sicht. Wir sprechen hier von High Exploration Gamism, mit ausgeprägtem Wettbewerb auf Spieler- und Charakterebene.

Es ging also los, wir erhielten einen Job von einem Hehler, mit dem wir zusammenarbeiteten. Die Tochter eines reichen Kerls war verschwunden, wir sollten sie aufspüren. Recht schwache Motivation, nicht übermäßig glaubwürdig, aber wen juckt das? Aufgabe ist Aufgabe. Wir sind also ein bisschen recherchieren gegangen und fanden heraus, dass sie beim Bordell-Papi war. Ja ja, da hat sich der gute Tom von der DSA-Andeutungs-Wut anstecken lassen. Puff Dady war in Town. Die Ureinwohner des Archipels, die „Pygs“, hatten nämlich eine sehr eigene Musik mit Trommeln und Sprechgesang. Und einige der Gruppen erfreuten sich beim Pöbel großer Beliebtheit. So residierte Bordell-Papi im teuersten Hotel der Stadt, und unsere Zielperson war ein Groupie.

Wir entwickelten also Pläne, sie da rauszuholen, wobei wir auch gelegentlich mit dem anderen Team zusammentrafen, das denselben Auftrag hatte, und keine Gelegenheit ausließen, uns gegenseitig in die Scheiße zu reiten. Juhanito und ich übertrumpften uns gegenseitig mit unseren Einfällen. Wir fanden einen Weg, als Feinkosthändler getarnt in das Hotel einzudringen, und verbündeten uns mit Papis dicker Mama, die für die kleine weiße Schlampe nichts übrig hatte. Später gingen wir auf ein Konzert der Band – wieder ein gehöriges bisschen Exploration ohne Sim – und neutralisierten uns mit dem anderen Team gegenseitig.

Es wurde während des gesamten Abenteuers sehr wenig gewürfelt. Keiner von uns kannte das System oder verstand es gut genug, um die Werte seines Charakters wirklich effektiv einzusetzen. Siehe da: Man braucht keine Regelfuchserei, um gamistisch zu spielen. Leistung, Risiko, Belohnung, all das spielte sich in diesem Fall auf der In-Game-Ebene ab, und nicht auf der Regel-Ebene. In beiden Fällen wird das „System“ im Forge-Sinne bemüht. Doch die einzige Regel, die wir in diesem Falle geritten haben bis zum Anschlag, war die Regel der In-Game-Kausalität.

Am Ende hatten wir die Frau und die Knarre, das gegnerische Team war unbewaffnet, uns jedoch dicht auf den Fersen. Wir sprangen gemeinsam in ein Ypsomobil und flohen vor Polizei, Hotelpersonal und wütenden Pygs. Da die Zeit fortgeschritten war und die Runde zum Ende kommen musste, boten wir den anderen einen Handel an und teilten die Belohnung. Ich fand, Juhanito hätte ihnen ruhig etwas weniger als die Hälfte anbieten können. Schließlich war offensichtlich, das wir gewonnen hatten. ;D

Wir hatten es geschafft, unsere Aufgabe zu lösen, ohne dass irgendwelches Blut geflosssen war, und hatten dabei unsere Charaktere immer „gut gespielt“. Wenn das keine Leistung war. Ich hatte riesigen Spaß und auch Juhanito war begeistert. Für mich immer noch eine der schönsten Arten, Rollenspiel zu machen: Straighter sauberer Gamismus, mit wenig Regel-Crunch und viel Exploration und Color, viel Tempo, solidem Wettbewerb auf Spieler- und Charakterebene, aber ebenso solidem Fairplay unter den Beteiligten.
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Offline Fredi der Elch

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Jawollingen! Go Gamism!! *Fahneschwenk* :D
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Zitat von: 1of3
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Offline Lord Verminaard

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Oh, ich sollte noch hinzufügen, dass die beiden Spielleiter natürlich einen wesentlichen Beitrag zum Spielspaß geleistet haben, indem sie ausgewogene Charaktere und eine interessante Herausforderung vorbereiteten, und indem sie jederzeit flexibel auf unsere Handlungen als Spieler reagierten, ohne irgend einen "Plot" durchziehen zu wollen. Also haben nicht nur die Spieler, sondern auch die Spielleiter das "gleiche Spiel" gespielt.
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Offline Joerg.D

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Tja, ich erinner mich noch gerne an dieses Spiel.
Es war unter einem sehr guten SL und mit einem genialen Partner.

Ein paar Anmerkungen.

Wir haben zum Anfang wirklich erst einmal die Luft Tyrias geschnuppert die vom Lord beschriebene Exploration betriebven um mehr Gefühl für die Welt zu bekommen.
Dann haben wir und als alete Powergamer erst mal die besst Mögliche Ausrüstung beschafft und ein bisschen Beinarbeit betrieben (uns Umgehört).

Charme als Waffe erwies sich bei den wichtigen Informationen als besstes Mittel und unser einzieger Ausrutscher in Bezug auf den direkten Drang zum Ziel war das Abendessen mit gewissen Informanten (Damen) und dem natürlichen Versuch dieselbigen Flach zu legen.

Mit dem anderen Team haben wir nicht zusammengearbeitet, im Gegenteil,Uns auf Ihre Kosten in das Vertrauen der Pygs eingeschlichen.

Die Dame aus der Gegenmannschaft war übrigens Journalistin :-).

Nachdem unsere genialen Pläne durch einen Würfelwurf versaut wurden (wir haben eigendlich ales gemacht und so gut beschrieben, das wir nicht würfeln mussten) waren wir auf der Flucht. Natürlich hat mein Charakter die hübsche Reporterin nicht erschossen, er war ein Gentelman.
Das erwies sich als Vorteil, weil Sie die einzige war, die ein ypsomobil fahren konnte. Wir hätten es eigendlich nicht gebraucht, wenn der SL nicht so gemein gewesen wäre, die Anderen mit  Gewalt auf unsere Fährte zurück zu bringen, doch nun waren dank des Feueralarms jede Menge Polizisten da und unsere einzige Möglichkeit war das Ypsomobil.

Meine persönlichen Ergebnisse aus diesem Abenteuer:
Manchemal kann weniger Würfeln mehr Spaß machen (egal ob aus Angst vorm Versagen oder nicht).
Und wenn es ein super Plan ist bringe keine Gegner nur um einen Endkampf zu provozieren.
Wer schweigt stimmt nicht immer zu.
Er hat nur manchmal keine Lust mit Idioten zu diskutieren.

Teclador

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Für mich immer noch eine der schönsten Arten, Rollenspiel zu machen: Straighter sauberer Gamismus, mit wenig Regel-Crunch und viel Exploration und Color, viel Tempo, solidem Wettbewerb auf Spieler- und Charakterebene, aber ebenso solidem Fairplay unter den Beteiligten.

Das hört sich ja schön an, aber was passiert, wenn das "Fairplay" fehlt? Dann ist der SL gezwungen einem Team den Vorzug zugeben. Da sehe ich irgendwie immer ein großes Problem des Gamism abseits der Regelebene.

Aber bei euch scheint es ja vorzüglich geklappt zu haben. Bravo.

Offline Fredi der Elch

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Das hört sich ja schön an, aber was passiert, wenn das "Fairplay" fehlt? Dann ist der SL gezwungen einem Team den Vorzug zugeben. Da sehe ich irgendwie immer ein großes Problem des Gamism abseits der Regelebene.
Da hast du völlig Recht, das ist ein Problem. Allerdings ist das eben ein Problem jeder gemeinschaftlichen Aktivität, die auf Wettbewerb ausgerichtet ist. Was macht man mit dem Spieler, der auf dem Bolzplatz ständig foult? Was macht man mit dem Spieler, der bei Monolpoly Geld aus der Kasse klaut? Mit dem Spieler, der bei Tabu die Sanduhr umwirft / anhält?

Bei jedem Spiel mit Wettbewerb muss man ein gewisses Maß an Fairplay voraussetzen, sonst funktioniert die gemeinsame (!) Aktivität nicht oder verliert wenigstens ihren Spaß. Wenn jemand nicht bereit ist dieses Fairplay zu bieten, sollte man nicht mit ihm spielen bzw. kann eigentlich nicht wirklich mit ihm spielen. Und das gilt natürlich fürs Rollenspiel genauso wie für jede andere soziale Aktivität.
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Zitat von: 1of3
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Teclador

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@Fredi: Mit dem was du sagst hast du vollkommen Recht. Mir ging es aber eher um eine andere Problematik:

Beim Monopoly und beim Tabu schlüsseln die Regeln ganz klar auf wer wann als Sieger aus einem Konflikt hervorgeht.

Beim Wettstreit im Rollenspiel der abseits der Regeln stattfindet bleibt der SL als eine Entscheidungsinstanz über Erfolg oder Mißerfolg. Und er hat eindeutig gewisse Freiheiten, immerhin muss er nach dem Ursache-Wirkung Prinzip abwägen und einn plausible Entscheidung treffen.

Und genau hier liegt der Knackpunkt: Der SL ist auch ein Mitspieler. Und es ist etwas ganz anderes, ob man verliert, weil man die von den Regeln gestellte (Sieg-)Bedingung nicht erfüllt hat, oder ob der SL entscheidet, dass man verliert. Bei sowas können sich sehr viel schneller zwischenmenschliche Problem ergeben, als es bei Monopoly etc. der Fall ist.

Versteh mich bitte nicht falsch Fredi:

Ich will hier nicht rumnörgeln a la:" Bäh das funktioniert doch eh nicht!" Es geht mir nur darum auf mögliche Probleme hinzuweisen. Ich persönliche hatte bis jetzt nämlich weniger Glück als Vermi. Alle meine Versuche in dieser Richtung sind wegen dem oben genannten Problem zum Fiasko geworden. Und das zwischen Leuten die sich sonst immer recht gut verstanden haben. Das Vorgehen birgt eben viel Konfliktpotential.
« Letzte Änderung: 8.11.2005 | 13:39 von Teclador »

Offline Fredi der Elch

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Du hast völlig Recht.

Das ist wie beim Fussball: man hat einen Schiri, der hat das letzte Wort und macht manchmal Fehler und dann gibt es Mord, Totschlag und Tränen. Weswegen man beim RPG (oder beim Fußball) sicher mehr an Fairplay bzw. "gutem Verlierertum" braucht als bei Monopoly, damit es noch allen Spaß macht.

Deswegen Rule No. 1: Don't play with jerks.
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Zitat von: 1of3
D&D kann immerhin eine Sache gut, auch wenn es ganz viel Ablenkendes enthält: Monster töten. Vampire kann gar nichts.

Teclador

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Deswegen Rule No. 1: Don't play with jerks.

Jupp 100% Zustimmung.

OT:
Wo ich mich hier im Diary of Sessions wieder finde, sollte ich eigentlich mal den Playtest-Bericht zur "Age of Gods" Sitzung mit Ta'al schreiben... *seufz*

Offline Lord Verminaard

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Ich bevorzuge es, die Entscheidung über fair oder unfair, plausibel und unplausibel nicht allein dem SL aufzubürden. Genau wie beim Volleyball ein Spieler auch mal ehrlich zugeben kann, dass der Ball der Gegners auf der Linie war, kann auch beim Rollenspiel ein Spieler dem Gegner mal einen Punkt gönnen, wenn der ihn verdient hat.
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Teclador

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Ich bevorzuge es, die Entscheidung über fair oder unfair, plausibel und unplausibel nicht allein dem SL aufzubürden. Genau wie beim Volleyball ein Spieler auch mal ehrlich zugeben kann, dass der Ball der Gegners auf der Linie war, kann auch beim Rollenspiel ein Spieler dem Gegner mal einen Punkt gönnen, wenn der ihn verdient hat.

Das ist schön und gut. Setz aber immer noch ein recht hohes Maß an Fairplay vorraus. Mit all dem Konflikpotential über das ich und Fredi uns unterhalten haben.

Aber gut wir werden sehr OT hier.