„Ich mag keine Spieler, die immer nur würfeln und kämpfen wollen und überhaupt kein richtiges Rollenspiel machen.“ Diesen Satz hat wohl jeder von uns schon mal gehört. Ich halte ihn für ausgemachten Schwachsinn problematisch.
Warum? Nun, zunächst mal muss mir einer erklären, was überhaupt „richtiges“ Rollenspiel ist. Da mag man mit Semantik kommen. Rollenspiel, das heißt wörtlich doch „eine Rolle spielen“. Also, D&D, DSA, GURPS, Shadowrun, Vampire usw. sind Rollenspiele, und der Name impliziert, dass es dabei um das Spielen einer Rolle geht. Deswegen beschreiben die Regeln auch, wie man eine Rolle spielt, oder?
Okay. Alignment. Nature und Demeanor. Goldgier und Jährzorn. Diese Regeln betreffen das Spiel der „Rolle“ (des Charakters). Aber der wesentlich größere Teil der Regeln beschäftigt sich mit genau dem, was nach oben zitierter Aussage „kein richtiges Rollenspiel“ ist: Würfeln und Kämpfen.
Also: Ich kaufe mir ein 40 Euro teures Rollenspiel-Regelwerk, von dem sich mindestens die Hälfte mit Würfeln und Kämpfen beschäftigt. Aber wenn meine Mitspieler dann würfeln und kämpfen wollen, ist das falsch? Sie sollten lieber, nun, eben „ihre Rolle spielen“? Ja, wenn sie lieber „ihre Rolle spielen“ sollen, wozu zum Henker brauche ich denn dann die ganzen Regeln für Würfeln und Kämpfen, für die ich das teure Geld bezahlt habe? Während in dem ganzen Regelwerk schätzungsweise zwei Seiten sich damit beschäftigen, wie man eigentlich eine Rolle spielt?
Natürlich ist es deine Sache, wenn du keine Spieler magst, die immer nur würfeln und kämpfen wollen. Doch du solltest der Tatsache ins Auge sehen, dass diese Spieler das Spiel, das ihr spielt, besser verstanden haben als du. Wenn du eure Spielsitzungen wirklich gerne auf das Spielen einer Rolle fokussieren möchtest, dann solltest du schleunigst anfangen, nach einem ganz anderen System zu suchen.
Freiform könnte etwas für dich sein. Oder ein ganz leichtes System wie Risus oder The Pool. Du wirst sagen: Die sind mir zu schwammig, die haben mir zu wenig Struktur. Ich sage dir: Die Spiele, die du im Moment spielst, haben für das, was du als „richtiges Rollenspiel“ bezeichnest, genauso viel Struktur wie Freiform, nämlich gar keine.
Übrigens gibt es auch Spiele, die das, was du „richtiges Rollenspiel“ nennst, mit Regeln und Würfelwürfen strukturieren. Dogs in the Vineyard zum Beispiel, oder The Shadow of Yesterday. „Aber das geht doch nicht“, sagst du. „Richtiges Rollenspiel muss ausgespielt werden.“ Auch so ein schöner Satz. „Ausgespielt werden.“ Ausgespielt werden ist, wenn nicht gewürfelt wird, sondern der Spieler irgendwas darstellt und der SL dann nach freiem Gutdünken entscheidet, was passiert. Was dann ja oft genug Streit gibt. Aber Spieler, die immer streiten, mögen wir auch nicht, nicht wahr?
Warum muss das so sein? Warum ist es nicht gut, das „Ausspielen“ durch feste Regeln zu untermauern? Ist ja nicht so, dass man die Szene nicht trotzdem darstellen würde. Nur dass eben das Resultat durch Regeln und nicht durch Spielleiterwillkür entschieden wird.
Also, zurück zu deiner Rollenspielrunde. Schau dir deinen Charakterbogen gut an. Hat er mehr als eine Seite? Wie viele Werte stehen darauf? Und wie viele von diesen Werten haben mit dem zu tun, was du „richtiges Rollenspiel“ nennst? Wenn sie mit „richtigem Rollenspiel“ nichts zu tun haben, wozu brauchst du sie dann alle? Schreibe nur die Dinge von deinem Charakterbogen auf ein Blatt Papier, die etwas mit deiner Vorstellung von „richtigem Rollenspiel“ zu tun haben. Und jetzt stell dir vor, das wäre dein Charakterbogen.
Findest du das befreiend? Verwirrend vielleicht, aber interessant? Dann solltest du wirklich ernsthaft über einen radikalen Systemwechsel nachdenken. Wenn du es aber doof findest und all die Werte doch lieber behalten möchtest, dann hör auf zu jammern und geh mit deinen Freunden würfeln und kämpfen!
Dein Vermi, Sheriff von Nottingham