Autor Thema: GURPS WWII HC  (Gelesen 1583 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline Crenshaw

  • Experienced
  • ***
  • "Sie erhalten jetzt eine Robotomie"
  • Beiträge: 499
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Crenshaw
GURPS WWII HC
« am: 21.12.2005 | 23:46 »
Bevor mich hier alle Welt mit den fetten neuen 4th GURPS- Regelwerken erschlägt, möchte ich erwähnen, dass ich eigentlich sehr, sehr viele Spielhilfen von Steve Jackson Games besitze. Ich mag bloß das System an sich nicht sonderlich, wenn es anfängt, sich im Realismus zu überschlagen und den GM und die Spieler zwingt, alles mögliche zu beachten.
Hingegen sind die meisten GURPS- Quellenbände prima zu gebrauchen, sie sind toll recherchiert, haben jede Menge Info für Spieler wie GMs, haben meist viele Tipps zum Rollenspiel selbst oder sind schlicht und ergreifend originell vom Setting oder der Grundidee her. Also nutzen viele die Bücher um sie fürs eigene System auszuschlachten, während das anstrengende Murks-Zeug wie Tabellen, Modifikatoren, Myriaden von Fertigkeiten, etc. wegbleibt. Als Fan des eher narrativen, denn mathematisch korrekten Rollenspiels holte ich mir somit auch das GURPS WWII Grundbuch, mit dem ich meine Sammlung aller anderen (hervorragenden!) GURPS WWII-Supplements zu vervollständigen gedachte.

Leider hat mich paradoxerweise GERADE das Hauptquellenbuch beinahe auf ganzer Linie enttäuscht.

Fangen wir mal an :

Beim Öffnen des Hardcovers knackt der Einband – das ist das Geräusch des auseinander brechenden Buchrückens. Das HC ist nämlich nicht gebunden, sondern nur schlecht geleimt – und damit genauso miserabel zusammengeklebt wie alle anderen Steve Jackson- Softcover.
Diese fallen, selbst wenn man mit ihnen noch so pfleglich umgeht, mit der Zeit selbst auseinander, da sich der Kleber somehow von alleine desintegriert und die Seiten dann einfach lose werden. (Vor allem dürfte dies bei der SC-Bindung gelten, da die 200Seiten dann noch schwieriger zu bändigen sind). Als Sammler hole ich mir das stabilere Buch doch gerade, damit es dem Zahn der Zeit trotzt…Daumen runter für die Verarbeitung.

Kapitel I : The World at War, 30 Seiten
Ein Überblick über den Kriegsablauf insgesamt, also der Aufstieg Hitlers und seine Motivation, ein bisschen was übers Dritte Reich, dann der Blitzkrieg gegen Polen, Frankreich, Luftschlacht um England, Wehrmacht in Afrika, Operation Barbarossa an der Grenze zu Russland, Stalingrad, Kurskaja Duga, D-Day, Market Garden, Krieg im Pazifik, Atombombe gegen Japan, Kapitulation, blablabla. Im Prinzip alles, was man schon in der Schule gelernt hat und aus einschlägigen Filmen kennt. Keine Spur von der sonst sorgfältigen Detailarbeit und der vielen, vielen sehr interessanten historischen Nebeninfos wie in zB Iron Cross oder All The King’s Men, einfach nur allbekannte Tatsachen. Damit kann man aber keinen Spielleiter mehr hinterm Ofen hervorlocken, der eine RPG- Alternative zu herkömmlichen preiswerteren Geschichtsbüchern sucht.

Kapiteil II : The Combatants, 25 Seiten
Vorgestellt werden UK, USA, Deutschland, Sowjetunion und Japan, der Rest (also Polen, Frankreich, Italien, Spanien – und eigentlich alle übrigen Staaten der Welt) kommt etwas kürzer daher. Das Kapitel beinhaltet die Militärstrukturen der einzelnen Nationen, Strategien und Taktiken,  Formationen, ihre Geheimdienste, Spezialeinheiten, die Mentalität der Streitkräfte, ihr Versorgungsapparat, Standardtraining, Auszeichnungen uvm  - und das alles in handliche Crossover- Übersichten verpackt. Nett : eine Tabelle mit den Bezeichnungen aller Allierten- und der Achsenmacht-Streitkräfte im jeweiligen spezifischen Militärjargon.
So soll’s sein, eben das, was nicht problemlos in JEDEM anderen WWII-Buch nachgelesen werden kann.


 Kapitel III : Characters, 25 Seiten
Wer man so alles in einem Szenario sein kann : Fallschirmjäger, Artillerist, Marineinfanterist, Pilot, Sniper, Widerstandskämpfer, blablabla. Erwähnt werden dazu noch die GURPS-Standardvorteile, die zum Militär passen. Nicht sehr aufregend, zumal eine ähnliche Auflistung eh noch mal in allen anderen WWII-GURPS-Büchern vorkommt. Man wäre aber ohnehin mit dem Grundregelwerk auch so auf Code of Honor oder Fanaticism als Vorteil/Nachteil oder Guns : Rifle oder Aviation als Fertigkeit gekommen.
Schade.

Kapitel  IV : The Armory , 30 Seiten
Die 15 Seiten, die für die Standard-Sachen wie Infanteriewaffen (Brownings, Schmeissers, Thompsons, PPShs, Stens, BARs, Mausers, Lugers, etc.)  persönliche Ausrüstung (Kleidung, Nahrung) und  Werkzeuge/Geräte (Kommunikation, Elektrik, Feldküchen, Medizinische Versorgung) für Deutsche, Amis, Sowjets, Briten und Japaner sind vollgestopft mit Tabellen und Kurzbeschreibungen. Die Tabellen sind indes nur dazu da, allgemeine Werte aufzuzählen und haben kaum nervige unnötige Angaben, gehen also okay.

Die nächsten 15 Seiten beschreiben das allbekannte Kriegsgerät wie Tigerpanzer, T-34, den US-Jeep, Ju-87 Stukas, Shermans und noch ein paar weitere. Dummerweise sind es nur wenige ohnehin mehr als bekannte Vehikel, zu denen es wenig generelles Kriegsinfo gibt und bei denen der Grossteil der Beschreibungen sich aus den mega-redundanten GURPS- Angaben über Fahrverhalten (je nach Wetter), Wendekreise, Chassis- und Karosserie und Innenausstattungswerte, Panzerung (bei Flugzeugen : Verhalten im Normal- und Sturzflug, Ausweichmanöver, Wendigkeit bei den Dogfights, Motorkapazitäten und Karosserie-Belastung ). Alles mathematisch korrekt – aber will ich den WWII spielen, indem ich bei einer Fahrt der Chars im Jeep präzise seine Fahrbahn bei Beschleunigung von 43 auf 58 km/h berechne ? Oder bei Proben im Luftkampf die g-Kraft auf die Stabilität der Karosserie in Bodennähe und den höheren Kerosin-Verbrauch durch größere Motorbeanspruchung mit einbeziehe, alles nach eigens dafür geschaffenen Regeln ? Für mich lautet die Antwort : NO WAY !!! GURPS-Unfug. Da ziehe ich kräftig Punkte ab, keine Quellenbücher sollten sich so bei unnützen Optionalregeln ins Zeug legen, dass sie Platz für relevantere Informationen wegnehmen, was mich angeht.

Kapitel V : WWII Vehicles : 40 Seiten

Wem das oben Gesagte zu wenig ist, und wer dann immer noch das Bedürfnis verspürt, EIGENE Fahrzeuge durch allerlei pedantisches Regelmurks wie Antrieb, Panzerung, Bewaffnung, Bereifung, Traktion, Agilität, Sportlichkeit und wasweissich nachzubauen, kann sich hier austoben. Wer schon immer Lust hatte, einen Flugzeugträger oder einen schweren Mittelstreckenbomber anhand von lustigen Tabellen und Berechnungsformeln (Wasserverdrängung, Stromlinienförmigkeit, Baumaterial, daraus resultierende proportional wachsende Mali bei Wendigkeit und Geschwindigkeit) zu entwickeln, wird hier glücklich werden. Das ist GURPS- Fetischismus pur auf einer Adrenalinfahrt im Tiefen Tal der Superregeln- UNCUT.

Kapitel VI : Move Out !  20 Seiten

Allerlei Info über mögliche Kampagnen ( Krieg als Alptraum, Spaziergang für Spezialeinheitler, Superhelden, Weird War-Horror-Szenarien, reales Nachspielen von bekannten Operationen zu Land, See und in der Luft ). Es gibt ein Paar Verweise an weitere GURPS-Publikationen wie Special Ops, Magic, Time Travel, usw. Echt nützlich sind die Paar Seiten über Alternativen zum aktiven Kriegsgeschehen wie die Resistance, Spionage,  Geschehen daheim hinter den Frontlinien (zB USA, Kanada, Australien, Schottland). Dadurch wird der Fokus vom permanenten Konflikt auf herkömmliche Alltagsgeschehnisse gelenkt, die sich dann wiederum vor den Schatten des Krieges umso krasser abzeichnen.
Ein schönes Kapitel, in dem GURPS seine Stärke der Universalität voll entfalten kann.
Leider zu kurz und ein wenig unbeholfen aufgebaut.

Kapitel VII : GURPS Lite, 30 Seiten

Die GURPS- Standardkurzregeln. Wer nicht GURPS spielt, braucht sie erst gar nicht.
Wer damit spielt, dürfte ohnehin schon das Grundregelwerk haben. Das Spiel dürfte wohl niemand als Einstiegswerk in die GURPS- Regelwelt werten, das man sich als erstes anschaffen müsste. Wenn ich mich schon entscheide, WWII nach GURPS zu spielen und ich keine  Bücher besitze lege ich mir ja wohl das Grundregelbuch zu, da dort mehr Info über Regeln stehen als nur hier drin. Die Lite- Fassung gibt’s indes auch umsonst im Internet.

Aufmachung / Design :
Die Bilder sind allesamt beinahe bis zur Unkenntlichkeit retuschierte Fotos. Na ja, immerhin keine Bilder von Dan Smith, bei denen man sonst immer das Buch aufgrund von Amateurhaftigkeit zurück in den Laden bringen möchte. Nicht sonderlich toll, aber an sich passabel. Die engl. Sprache hat Fortgeschrittenenanspruch, das Layout ist klar, die Tabellen übersichtlich. Ein guter Index und eine starke Bibliographie, saubere Arbeit.

Fazit :
Ich bin mit diesem Buch nicht zufrieden. Alle anderen großen Geschichtsbänder von GURPS WWII sind genau umgekehrt aufgebaut : sie vermitteln wesentlich spezifischere und interessantere Hintergrundinformationen, haben weniger Regeln, dafür mehr Story-Aspekte und konzentrieren sich auf das Setting, ohne ständig auf dem eigenen System rumzureiten oder mit endlosen Berechnungsformeln zu nerven.
Selbst GURPS- MURKS-Liebhaber dürften mit diesem Band nicht viele neue freudige Regelerkenntnisse sammeln können, da der ultimative Teil für die Fahrzeugerschaffung in GURPS WWII Motor Pool aufgehoben wurde und die präsentierten Regeln den wahren Cracks ohnehin bekannt seien dürften. Der vorliegende Band hat nur wenig, was außerhalb des normalen Bildungshorizonts eines an WWII- interessierten Spielers oder GMs liegt und stattdessen jede Menge an GURPS-MURKS-Regeln. Die letzteren jedoch – wie eingangs schon gesagt - werden in aller Regel von den meisten GURPS- Käufern bewusst fallengelassen. Da der nützlich-informative Teil sehr, sehr dünn ausfällt, lohnt sich das Buch in der Anschaffung nicht.
"These NO-NONSENSE solutions of yours just don't hold water in a complex world of dimension gates, flying cyber-apes and time travel."

Samael

  • Gast
Re: GURPS WWII HC
« Antwort #1 am: 23.12.2005 | 20:14 »
Danke für die Rezi. Bzw. die Warnung. ;)