Angenommen, meine Beispielsgruppe aus dem ersten Post hält eine Krisensitzung ab und man einigt sich tatsächlich darauf, sich gegenseitig mehr von den eigenen Charakteren mitzuteilen.
EDIT: Erhoffter Sinn dahinter: Wenn das Spielgeschehen während der Spielsitzungen sich näher an den Vorstellungen der "Innentendenz"-Spieler von ihren Charakteren hält, haben diese mehr Spaß an der Sache. Und weil diese sich jetzt stärker einbringen können, profitieren auch die Spieler, denen es vor allem auf Kommunikation am Spieltisch ankommt.Dazu zwei Gedanken:
Positiv auf das Spiel auswirken kann sich dieses Kommunizieren von Teilen der ursprünglichen "Innentendenz" nur, wenn sie auch von den anderen respektiert wird. Insbesondere in den Punkten, die der Spieler wegen schauspielerischer, sprachlicher, körperlicher oder intellektueller Defizite nicht gut darstellen kann. Sowas kann funktionieren. Ich erinnere mich an eine Mittelerde-Runde, wo alle gegenseitig die jeweils anderen Charaktere als edle Heroen akzeptiert haben, egal, wie mangelhaft die Darstellung war. Wir hatten nicht darüber gesprochen, aber bei Mittelerde ist das wohl ein Teil des Spielsystems. Wenn man andere Spiele verwendet, wäre es gar nicht übel, über dieses gegenseitige Anerkennen zu sprechen.
Das führt dann gleich zum zweiten Gedanken: Wie kommuniziere ich meine Vorstellung meiner Spielfigur?
Als Mindeststandard eingebürgert hat sich wohl, eine Hintergrundgeschichte für den Charakter zu schreiben, die sich nur mit dessen Vergangenheit beschäftigt und die erstmal aber nur der SL bekommt, und das Aussehen des Charakters zu beschreiben. Der Rest - der Ist-Zustand des Charakters über Äußerlichkeiten hinaus - wird der eigenen Charakterdarstellung überlassen. Und kommt deswegen nicht selten bei den Mitspielern nicht an.
Eine Lösung, die ich oft anwende: Ich spiele eben nur Charaktere, von denen ich glaube, dass ich sie auch darstellen kann. Das schränkt die Auswahl aber stark ein. Diese Methode schmeckt daher sich nicht jedem. Also - was tue ich, um meinen Mitspielern Aspekte meines Charakters zu vermitteln, die in meiner Charakterdarstellung am Spieltisch fehlen, die ich aber für wichtig halte, und von denen ich es gerne hätte, wenn meine Mitspieler sie berücksichtigten?
Letztlich wird man die eigene Charaktervorstellung wohl verbalisieren müssen. Und zwar nicht nur gegenüber dem Spielleiter, sondern gerade auch gegenüber den Mitspielern, bevor das Spiel eigentlich losgeht. Das ist, fürchte ich, gar nicht so einfach. Zunächst muss man diese Vorstellung für sich selber in Worte fassen. Manche Spiele bieten da Hilfestellungen. In der World of Darkness soll man etwa ein "Concept" für den Charakter benennen, in einem Wort oder maximal einem Halbsatz. Das reicht nocht nicht für das, was ich im Sinn habe, ist aber ein guter Ausgangspunkt. Beliebt sind auch die "20 Questions", die man zunächst sich selbst beantworten soll, um selbst ein Bild von dem Charakter zu bekommen. Diese Fragenkataloge beschäftigen sich zwar oft mit der Vergangenheit des Charakters, aber enthalten auch hilfreiche Fragen zum gegenwärtigen Charakter.
Besonders wichtig, weil es die Reaktionen der anderen Figuren (ob SC oder NSC) innerhalb des Spielwelt
unmittelbar beeinflussen sollte: Wie wirkt der Charakter auf andere?
Sinnvolle Ergänzung dieser Frage vielleicht: Was hat er, was ich nicht habe?
Präzisiert: Welche Aspekte der Wirkung des Charakters werde ich wohl nicht darstellen können? Bin ich ein lispelnder, pickeliger, übergewichtiger Teenager im Stimmbruch und mit chronischer Abneigung gegen Rasur und Körperpflege, der einen edlen, Jahrhunderte alten Elfen mit melodischer Stimme darstellen will? Ergeben sich da vielleicht Probleme?
Nächste, optionale Ergänzungsfrage: Muss das alles sein, oder kann ich den Charakter vielleicht etwas modifizieren, so dass er sich mit meinem Mitteln einfacher darstellen lässt? Wieviel glaube ich, kann ich der Fantasie meiner Mitspieler zumuten? Wenn ich den Charakter an meine Darstellungsmöglichkeiten anpasse, ist es dann noch der Charakter, den ich gerne spielen möchte?
Übrig bleiben dann Aspekte des Charakters, die ich wohl nicht überzeugend darstellen kann, aber die mir wichtig sind. Die müssen dann kurz und prägnant in Worte gefasst und an die Mitspieler übermittelt werden, mit der Bitte um Respektierung. Das wäre mal einen Versuch wert, finde ich.
---
Anmerkung: Ich habe die "Innentendenz" in den obigen Versuch aufgespalten in Dinge, welche die anderen Spieler eigentlich wissen müssten, weil sie der Wahrnehmung ihrer Charaktere unterliegen, und nur damit beschäftigt sich dieses Post, und sozusagen den Rest - das, was sich im Kopf
des Charakters abspielt, ob nun bewusst oder unbewusst. Inwieweit es überhaupt Sinn macht, diesen Rest an die Mitspieler weiterzugeben, wie man das dann am besten macht, und ob bzw. inwieweit das im Rahmen des "klassischen" Rollenspiels überhaupt geht, lasse ich mal offen.