Simulationismus oder „Ich frage mich, ob mein Charakter das weiß!“
Der Ansatz
SIM funktioniert wie ein Computerrollenspiel, an das ich beliebig Module anflanschen kann, um die zu erkundende Welt zu vergrößern, in dem mir aber nicht wirklich etwas passieren kann. Kennt noch jemand das Spiel „Myst“? So in etwa. Man kann alles erkunden, es ist alles logisch aufgebaut, aber man kommt nur durch Probieren ans Ziel (oder dadurch, dass man sich in die Rolle des Spieldesigners hineinversetzt). Es gibt im SIM keinen ersichtlichen Anfang (außer der Charaktererschaffung). Es gibt keinen ersichtlichen Schluss (außer den Tod des Chars). Der Spieler baut eine Lebensgeschichte nach, mit allen Nebensächlichkeiten und Seitensträngen (die häufig nur er kennt). Nur ein Bruchteil der tatsächlich erlebten Geschichte wird in-game ausgespielt.
Die Motivation
Im SIM lautet die Motivation: Ästhetik und Authentizität. Alles muss passen und mit dem fiktiven Hintergrund der Spielwelt in Einklang stehen: von der Farbe des Gewandes über die Redeweise der Charaktere. SIMler sind die Origami-Künstler des RPG. SIM-bevorzugende Spieler lieben es häufig, Dialekte zu imitieren, sich stundenlang über die Kindheitsgeschichte ihres Charakters Gedanken zu machen oder Spielwerte für Fähigkeiten zu besitzen, die man in-game nie braucht. Wenn der GAMler sagt: Mein Charakter ist toller als deiner, dann wird der SIMler die Schultern zucken und sagen: Ja, aber meiner ist schöner ausgearbeitet.
Nun könnte man glauben, es bringe einem Spieler nichts, sich Gedanken über Dinge zu machen, die er mit seinen Mitspielern gar nicht teilen kann, weil sie nur in seinem Kopf existieren. Aber weit gefehlt. Wer schon einmal auf einem Stammtisch von sagen wir – Briefmarkensammlern – war, der wird feststellen, dass alleine die ästhetische Beschäftigung mit ein und demselben Hobby eine Gemeinsamkeit schafft, welche die Anwesenden das Beisammensein genießen lässt. Kein Sammler muss dem anderen ständig die Schönheit seiner eigenen Briefmarken beschreiben, weil er sich sicher sein kann, dass der andere ebenso empfindet wie er.
Das Beispiel
Wer wissen will, wie SIM funktioniert, der sollte einem Mittelalterverein beitreten oder ein Ritterturnier besuchen. Die Motivation der Mittelalterfreunde und der SIMler (nicht selten gibt es da personelle Überschneidungen) speist sich aus derselben Quelle. Klar, es passiert vielleicht nicht sehr viel, wenn ein paar Typen mit Hörnerhelmen auf Fellen lagern und Met trinken. Aber sie haben Spaß. Und dann frag mal einen der Herren im Kettenhemd über die Art seiner Rüstung: Der kann dir einen dreistündigen Vortrag halten. Das ist pures SIM. Du erhältst einen Haufen Infos, die dir keinen direkten Nutzen bringen, die dir aber das Gefühl geben, für ein paar Stunden in eine fremde Welt einzutauchen. Es ist kein GAM (es gibt nichts messbares zu gewinnen), es ist aber auch kein NAR (es gibt keine dramatisches Element, sondern ein angenehmes Vor-sich-Hinplätschern). Es ist Einschalten und Genießen. Es ist SIM.
Die Rolle des Spielleiters
Ein SIM-Spielleiter ist ein Moderator, wie bei Sabine Christiansen am Sonntag Abend. Er stellt Fragen, auf die das Publikum die Antwort häufig schon kennt. Aber er muss diese Fragen stellen, um den Gefragten eine Bühne zu geben, auf der sie zumindest zeitweise sich selbst und die anderen bewundern können. Sein oberstes Gebot heißt: Nichteinmischung. Er sollte nichts tun, um die Charaktere offensichtlich in echte Gefahr zu bringen. Und wenn er es tut, dann sollte er eine Hintertür haben, die es ihm nach den Regeln der Welt erlaubt, die Charaktere wieder zu retten. Hey, diese Chars sind zu schade, um an einem Abend verheizt zu werden!
Wenn der SL den Spielern Herausforderungen stellen will, dann sollten es Rätsel sein. Ästhetische Rätsel. Witzige Rätsel. Rätsel, die voraussetzen, dass man über die Spielwelt bescheid weiß. Am besten solche, die man zur Not auch durch Probieren lösen kann. Und solche, bei denen das Nichtlösen keine fatalen Konsequenzen für die Charaktere hat.
Gutes SIM
In einer guten SIM-Runde hat der Spielleiter viel über die Welt gelesen; gibt es Romane, dann am besten alle. Der Spielleiter hilft den Spielern, glaubwürdige Chars zu verkörpern. Er gibt Tipps, wie sie noch glaubwürdiger werden können. Er lobt viel und er tadelt wenig. Er gibt dem hässlichen Entlein die Chance, endlich ein eine schöne Prinzessin zu sein. Er gibt dem schüchternen Jüngling die Möglichkeit, eine starker Recke zu werden. Ja, der Kämpfer wird vielleicht im Spiel verwundet. Aber, hey, alles wird gut ;-)) !
Gute SIMler lassen ihren Mitspielern Gelegenheit zum Reden. Sie interessieren sich ernsthaft für die Charaktere der anderen. Es gilt der Grundsatz: „Ich bin okay, du bist okay“. Jeder Spieler bringt seine Beschreibung der Spielwelt mit ein. Am Ende der Runde sollte er das Gefühl haben: Wenn ich nicht mitgespielt hätte, wären für die anderen das Erlebnis nicht so farbig und intensiv ausgefallen.
Schlechtes SIM
In einer schlechten SIM-Runde versucht der Spielleiter die Spieler zu Handlungen zu drängen, deren Konsequenzen sie nicht abschätzen können, weil er ihnen nicht genug über die Welt erzählt hat oder ihre Vorstellungen von der Welt ignoriert. Oder er enthält ihnen wichtige Informationen vor, weil er meint, sie hätten sich nicht genug angestrengt (oder nicht richtig gesucht). Da die Spieler Angst um ihre Chars haben, tun sie dann gar nichts mehr und die Handlung versandet.
Auf der Spielerseite findet man in schlechten SIM-Runen: Poser, die alleine auf der Bühne stehen wollen und stundenlang über ihre Charaktere schwadronieren. Spieler, die schüchtern sind, und sich nicht trauen, zum Spiel beizutragen (die aber auch vom SL nicht dazu ermuntert werden). Übertriebene Detailversessenheit, ohne dass die Handlung einen Zentimeter vom Fleck kommt (Stichwort: „Hartwurst“). Spieler, die zwei Charaktere spielen und die beiden gegeneinander arbeiten lassen (alles schon erlebt…). Frustration. Ausgegrenzt fühlen. Traurigkeit.
Ideale Spielertypen (Nach Robin D. Laws)
Die idealen Spielertypen für SIM sind der Method Actor und der Specialist. Der Storyteller nach Laws ist IMO kein SIMler, sondern ein NARr.
Ideale Systeme
Mein bevorzugtes System für SIM-lastige Runden ist DSA ab der 2. Edition. Die WoD mag ich persönlich nicht so, ist aber auch ideal für SIM (auch wenn sie sich irreführend „Storyteller-System“ nennt).