Was mir aber auch aufgefallen ist, ist das viele Sachen mittlerweile mit Theorie und Analysen "kaputt geredet" werden.
Ich wuerde sagen: Nein - aber, weil das, was hier stattfindet, den Namen "Analyse" in den seltensten Faellen verdient (wobei ausdruecklich darauf hinzuweisen ist, dass es hoechst bemerkenswerte Ausnahmen gibt!). Zumindest, wenn man Analyse im Kontext von "Theorie" mit einem Minimalanspruch in Sachen Wissenschaftlichkeit verbindet. Eine wissenschaftliche Analyse, ob es sich nun um eine deskriptive Analyse oder eine Strukturanlayse handelt, muss zumindest folgende Minimalanforderungen erfuellen:
- Ausrichtung auf Erkenntniszuwachs
- Klarheit
- Sachlichkeit
- Interpretationslosigkeit
Ueber die Frage nach der
Ausrichtung auf Erkenntniszuwachs haben sich andere schon geaeussert; siehe also oben.
Klarheit herrscht schon im Bereich der verwendeten Begriffe nicht, einer unentbehrlichen Grundlage jeder Beschaeftigung, die einen auch nur ansatzweise wissenschaftlichen Anspruch erheben moechte. - Hierzu ist anzumerken, dass es keineswegs notwendig ist, endgueltige oder unumstrittene Definitionen zu gebrauchen,
solange die verwendete Definition
eindeutig erkennbar ist. Man kann durchaus sagen, dass man den Begriff "x" "nach der Definition von NN" verwendet, am besten unter Angabe einer Stelle zum Nachschlagen, oder ihm fuer den gegebenen Zusammenhang eine eigene Defintion zuzuweisen. Gerade fuer Bereiche, in denen noch um die Grundlagen gerungen wird, ist jedoch die begriffliche Eindeutigkeit fuer den aktuellen Zusammenhang essentiell!
In den Punkt "
Sachlichkeit" gehoeren beispielsweise die Vorurteilsfreiheit (
nicht jedoch Kontextlosigkeit!), aber auch Sachkenntnis. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass Sachkenntnis mehr bedeutet als "etwas schonmal getan haben". Es gibt Leute, die haben 100 Jahre lang fast alles, was sie sich in den Mund gesteckt haben, auch biochemisch aufschluesseln koennen - ohne jede Ahnung von Biochemie, ja sogar ohne zu ahnen, dass es so etwas wie "Biochemie" jemals geben wuerde :-) . Sachkenntnis ist "Kenntnis ueber etwas", d.h. es wird eine "Position von aussen" eingenommen. Der gesamte Bereich praktischer Erfahrung gehoert zwar notwendigerweise dazu, aber als Objekt der Betrachtung, nicht als "Eigenschaft" des Betrachtenden.
Interpretationslosigkeit wird leicht uebersehen und ist oftmals auch der am schwersten zu erfuellende Teil, ist aber von einiger Bedeutung. Eine Interpretation, die bereits im Bereich der Analyse ansetzt, fuehrt zu einer Verfaelschung der Analyse und macht die gesamten weiteren Bemuehungen wertlos. Auch eine Analyse von Interpretationen muss ihrerseits zunaechst
ohne eine solche auskommen, will sie sich nicht von Anfang an verrennen.
Eine Analyse, die sich an den genannten Punkten orientiert, und die daraus resultierende Theorie werden selten etwas "kaputtreden". Die strikte Beachtung beispielsweise des Herauslassens von persoenlich gefaerbten, ich sage mal umgangssprachlich, "Seitenhieben", eine saubere Arbeit im Bereich von Eingrenzung und Anwendungsbeschraenkung und, auch wenn das nur sekundaer hineingehoert, gegenseitigem Respekt verhindern, dass die Addressaten und Leser mit bestimmten Begriffen oder Phaenomenen zuallererst negative Assoziationen haben. Wenn vermittelt wird: "'X' ist etwas, wovon Du keine Ahnung hast / worauf Du Dich nicht verstehst / was absolut wichtig ist und Dir vollstaendig abgeht", wird der Begriff 'X' und das, was sich damit verbindet, beim Adressaten aller Wahrscheinlichkeit nach negativ konnotiert. Und wenn im Rollenspiel (als dem aktuellen Spiel der Gruppe) dann etwas auftaucht, was den Forenleser daran erinnert, wird sein Spielspass von dem konnotierten Schmerz empfindlich getroffen. Insofern bin ich ganz dankbar, dass die wenigsten meiner Mitspieler das GroFaFo kennen: Sie haben alle die schlechten und bitteren Assoziationen nicht und koennen schmerzfrei und unverkrampft spielen.
Allerdings: Auch die wertfreieste und beste Analyse und Theorie koennen am falschen Ort oder zur falschen Zeit etwas zerstoeren. "Das schoenste Gedicht wird einem verdorben, wenn es im Deutschunterricht drankommt.", ist wohl nicht nur meine eigene Erfahrung gewesen. Es gibt ein Vergnuegen an etwas, fuer das
jede Form der Analyse wie ein Basiliskenblick wirkt: Versteinernd, toedlich. Wenn ich mich an einem Sonnenuntergang freue, ist ein Physiker, der mit wellenlaengenabhaengiger Lichtbrechung, Teilchendichte in der Atmosphaere und dergleichen ankommt, nichts als stoerend.
Nur: Ist dies Forum ein Ort, um den "Sonnenuntergang des Rollenspiels" zu bewundern, oder eher ein Treffpunkt, der sich mit der "Physik des Rollenspiels" befasst? Oder kann es beides sein?