Es ist selbstverständlich, dass es beim Rollenspiel viele verschiedene Spielstile gibt, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Es ist eine Spiel und es gibt nicht die richtige Art zu spielen. Dennoch kann für jeden einzelnen der Versuch gelingen, die Art des Spiels und die Faktoren,die für ihn zum Spielspaß beitragen, genauer herauszuarbeiten. Dies ist mein Versuch.
Weiterhin: Interindividuell ist die Schwerpunktsetzung dessen, was für die Spielrunde wichtig ist, unterschiedlich. Manche stellen die Geschichte und die Atmosphäre in den Vordergrund des Spiels. Dem SL wird die Rolle des Geschichtenerzählers aufgetragen, er erzählt die Geschichte, in der die Spielercharaktere die Protagonisten sind. Meist ist dabei die Geschichte bzw. der Plot bereits vorskizziert und die Spieler sollen über geschicktes Abgrasen der vom SL vorgeschriebenen Stationen den Weg durch die Geschichte bahnen. Weichen sie dabei vom Weg ab oder schaffen sie es nicht den wirren Gedankengängen des Spielleiters zur richtigen Lösung des Szenarios zu folgen, dann haben sie den Plot nicht verstanden oder schlimmer noch – versaut. Folgen sie dem Schienensystem des SL, dann klopft dieser sich am Ende des Spielabends auf die Schulter und gratuliert sich selbst zu dieser Meisterleistung. Das Phänomen des Railroadings.
Oft ist dieses vergesellschaftet mit dem atmosphärischen Erzählen. In möglichst verworrenem Germanistendeutsch geschmückt mit Vokabeln, die in der Situation unangebracht sind – doch es soll ja möglichst prosaisch wirken – wird der Versuch unternommen dem Spieler ein Bild der Situation zu geben, ein eingefärbtes Bild, in denen der SL Emotionen, Ausblendungen, etc. Einbindet. Hier wird das ephemerische Konstrukt Atmosphäre in seiner nebulösen Definition als das höchste Gut des Spiels angesehen. Ob sich die Geschichte der Atmosphäre unterwirft oder die Atmosphäre Beiwerk einer gelungenen Geschichte ist, es nimmt sich nichts! Bei dieser Art des Spiels bereitet der SL im Vorfeld etwas vor, das er mit seiner Erzählkunst gepaart den Spielern präsentiert. Die Spieler sind das Auditorium des SLs und am Ende des Abends möchte dieser gerne noch Lob für seine schöne Geschichte bzw. die schön heraufbeschworene Atmosphäre hören. Wenn ich oben geschrieben habe, dass Spielstile gleichwertig nebeneinander stehen, dann ist das nur bedingt war.
Ein Stil, in dem die Spieler mit ihren Charakteren als passives Auditorium für den Ego – Trip eines SLs dienen sind strikt abzulehnen. Der Spielleiter und die Spieler sind beide Teilnehmer des Spiels – mit unterschiedlichen Rollen wohl – aber mit Interaktionsrecht! Und genau um diese Interaktion zu beschreiben bedarf es Regeln – ob nun die Geschichte, die Atmosphäre oder der taktische Kampf im Vordergrund stehen.
Die Art des Spiels ist dabei Präferenzsache. Von neuen, schmalen Spielen mit geteiltem Erzählrecht (Stichwort: Forge) hin bis zu alten neu aufgelegten und aufgepeppten Oldschoolmolochen (Hackmaster, D&D) ist Spielerinteraktion und -aktion integriert, wobei die neue Spielegeneration basierend auf ihren Regeln den Verfall in Atmo – Faschismus erschwert. Einige der neuen Spiele kommen gänzlich ohne Spielleiter aus oder haben stark erweiterte Spielerrechte was in den Eingriff in das Geschehen in der Spielwelt jenseits des eigenen Charakters angeht. Es existierten aber Mechanismen, die diese Eingriffe regulieren. Spiele der alten Schule machen es dem Spielleiter schon etwas einfacher in Railroading und atmosphärisches Erzählen als Selbstzweck zu verfallen. Dabei wird dann oft gerne der in fast jedem Regelbuch vorkommende Satz, dass Regeln bei Missfallen zu brechen seien, vorgeschoben, um misliebige Würfelergebnisse zu ignorieren oder zu verdrehen. Wozu einigt sich die Gruppe denn auf ein Regelwerk, wenn ein Teilnehmer - der SL – Regeln brechen kann wie er will? Regelwerke regeln Rechte und Pflichten aller Teilnehmer, es ist ungerecht, wenn ein Teilnehmer am Spiel sich jederzeit über den GruppenKonsens hinwegsetzen kann, um seine Vorstellungen durchzusetzen. Vor Beginn des Spiels – i.d.S. also die Gründung der Gruppe – setzt man die geltenden Regeln fest. Im Konsens können diese zwar im Laufe des Spiels noch adaptiert werden, doch auch dieses ist, wenn möglich, zu vermeiden.
Ich selbst bevorzuge die alte Schule mit ihrer klassischen Rollenaufteilung: Der Spielleiter ist der Verwalter der Spielwelt mit all ihren Kreaturen und Persönlichkeiten, während die Spieler freie Kontrolle über ihre Charaktere haben und mit dieser Spielwelt nach ihrem Geschmack interagieren. Werkzeugkasten dieser Interaktion sind die Spielregeln, es sind sozusagen die geltenden physikalischen Gesetze der Spielwelt. Ein Spieler muss sich auf die Gültigkeit der Regeln verlassen können, damit er Erfolg oder Miserfolg einer Handlung abschätzen kann. Auch muss er sich auf eine gewisse Konsistenz in der Verarbeitung von Handlungen seitens des Spielleiters verlassen können, denn es ist frustrierend, wenn ein gut ausgefeilter Plan nicht aufgeht, weil plötzlich andere Regeln und Protokolle herrschen. Weiterhin müssen die Spieler Freiheit haben, ihnen muss es freistehen die Spielwelt wie sie es möchten zu erkunden, mit Spielfiguren des SL und Kreaturen zu verfahren, wie es es für richtig halten, Orte zu besuchen oder auch nicht, wenn sie es möchten. Ob dieses Verhalten von Erfolg gekrönt wird oder die Reaktion der Spielwelt bzw. Einzelner Elemente aus dieser stehen auf einem anderen Blatt.
Freiheit heißt hier aber weder Zufälligkeit noch Inkonsistenz der Spielwelt sondern im Gegenteil das zielgerichtete Durchziehen der Regeln und eine plausible Interpretation der Spielweltelemente seitens des SL, die dann basierend a) auf den Handlungen der Spieler und b) auf den Würfelwürfen zu einem Ergebnis führt, auf das dann SL und Spieler wieder reagieren können. Eine Geschichte ergibt sich hinterher.
Zu den Spielen neuer Schule will ich hier nichts schreiben, da ich mich zu schlecht mit ihnen auskenne. Jedoch scheint es mir so, als ob die Spieldesigner hier ebenfalls das Problem mangelnder Interventionsmöglichkeiten seitens der Spieler erkannt hätten und nun dementsprechend reagieren. Prozedere und Mechanismus der Geschichtenentstehung sind anders, doch gemeinsam haben neue und alte Schule den variablen Ausgang einer ungeschriebenen Geschichte, die durch die Ideen und der Phantasie mehrer Spieler gemeinsam am Spieltisch entschieden wird. Und nicht ein festgelegtes Ende, der Geschichte und Atmosphäre wegen, wie beim Geschichtenerzählen aka. Storytelling.
Zusammenfassend ist Freiheit der Spieler im Führen ihrer Figuren oberstes Gebot. Wie muss ein SL aber nun seine Szenarien und Kampagnen entwerfen, damit diese gewährleistet ist und dennoch die Möglichkeit zu einer denkwürdigen Geschichte, eben der Geschichte der Spieler und des Spielleiters, gegeben ist?
Der SL muss die Parameter vor Beginn des Spiels festlegen. Durch die zwei Unbekannten, Handlung der Spieler und Ergebnis der Würfelwürfe, ist auch der Ausgang der Geschichte mit den festgesetzten Parametern ungewiss. Variabler Kampagnenverlauf durch Spielerintervention bedeutet Freiheit. Notwendige Bedingungen hierfür sind wie bereits angeführt eine konsequente Anwendung der Regeln ohne Bruch, eine konsistente Verarbeitung des Inputs an den SL durch die Spieler mit gleichbleibenden Protokollen und eine sorgfältig geplante Ausarbeitung des Kampagnenhintergrundes inkl. Persönlichkeiten, ihren Plänen sowie den Lokalitäten.
Zur konsequenten Anwendung der Regeln muss ich mich an dieser Stelle nur noch kurz auslassen.
Wo bleibt der Heroismus in einer gewagten Aktion, wenn klar ist, dass der SL zugunsten der Geschichte die physikalischen Gesetze der Spielwelt außer Kraft setzen wird? Spannung ist es, wenn man, um großes zu leisten, risikoreich spielt – dazu muss das Risiko aber auch da sein! Der Würfelwurf ist dann der kritische Moment, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet und den Verlauf der Geschichte, wie auch immer sie letztlich ausgehen mag, prägt. Die Gefahr den lang gespielten Charakter bei der Bergung eines Schatzes wirklich zu verlieren, jetzt in diesem Augenblick abhängig vom Ergebnis dieses D20 dürfte wirklich zur Adrenalinausschüttung führen. Wie es sich verhält, wenn man sich gegenseitig einfach nur erzählt, wie gefährlich und heroisch dies nun ist, ohne dass wirklich eine reelle – für die Spielwelt reelle – Gefahr besteht, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich ist es wie ein vorgetäuschter Orgasmus.
Wer bricht nun Regeln, meist um das Überleben einer Spielfigur zu sichern oder Nachteile zu mindern? Meist SL, die zu wenig Mühen in die Entwicklung ihrer Szenarien gesteckt haben und sich nun dem Problem unausgeglichener Begegnungen oder Kämpfen ausgesetzt sehen. In die Trickkiste gegriffen, das fetteste Monster rausgeholt und mitten im Kampf festgestellt, dass es zu stark ist und die ganze Gruppe niederrafft? Also werden schnell ein paar Würfelergebnisse gefälscht, heuchlerisch über das Pech das man gerade jetzt hat, geflucht, und die Spielfiguren dürfen dann das Monster doch noch töten. Welch fader Sieg! Ein weiterer Kracher muss her, also wird der König des ganzen weiten Landes aus dem Zauberhut gepackt und eine Audienz gespielt. Ein Spieler trägt nun eine überzogene Bitte vor, belegt diese aber durch ein meisterhaftes Ergebnis auf Diplomatie, Charisma, welcher Wert auch immer! Zugunsten irgendeiner Geschichte oder einem Spielweltsempfinden, das der SL nun hat, wird dieses Ergebnis nun ignoriert und die Bitte abgeschmettert. Wozu nun Mitspieler haben, wenn die Szenen ohne Interventionsmöglichkeit gleich abgespult wird? Wozu Diplomatie oder ein soziales Task Resolution System im weiteren Sinne, wenn die Entscheidungen in der Spielwelt nicht von den Regeln (= physikalische Gesetze der Spielwelt!) abhängen, sondern vom dramatischen Empfinden des SLs?
Soviel auch zur konsistenten Verarbeitung des Spielerinputs. Der Spieler muss wissen, wie eine Fähigkeit, wenn er sie einsetzt wirkt. Wenn er versuchen will die Königin zu verführen, warum soll er das nicht dürfen? Es gibt ein Regelprotokoll für das Verführen (oder sollte zumindest aus der Regelmechanik ableitbar sein), dieses sollte nun immer auf die gleiche Weise angewendet werden, so wie man sich sicher sein kann, dass ein losgelassener Gegenstand zu Boden fallen wird. Aus den festgesetzten Parametern (Einstellung der Königin, Verhalten und Aussehen des SC, etc.) wird durch Anwendung des Regelprotokolls ermittelt, wie die Chancen stehen. Es folgt ein Wüfelwurf um ein konkretes Ergebnis zu bekommen, das Ergebnis wird interpretiert und Fakt in der Spielwelt, Spielwelt und Spieler können nun auf dieses neue Ereignis wieder reagieren. Wenn alles der Regie und dem Dramatikempfinden des SLs unterworfen ist, wäre der Ausgang wieder festgelegt, bzw. nicht von den Spielern beeinflussbar, und da muss man sich fragen: Warum?