Tja, was gibt’s da zu analysieren? Unknown Armies ist ein Klavier, auf dem man erst mal spielen können muss. Das Spiel „liefert“ nicht von alleine. Du musst erst mal wissen, was du damit machen willst, und du musst erhebliche eigene Fähigkeiten mit an den Tisch bringen. Obsession und Temperament sind keine idiotensicheren Rezepte für interessante Charaktere und knallharte Psycho-/Ego-Trips. Du musst dir schon die richtige Obsession und die richtigen Impulse ausdenken, damit ein Schuh draus wird.
Dieses ganze abstrakte, symbolische Zeugs, der postmoderne Schmuh usw. ist eigentlich nicht viel mehr als der Stream of Consciousness von Typen mit geilen abgefahrenen Ideen. Du kannst in die Kiste reingreifen und irgendwas in die Hand nehmen, aber wenn du nicht in der Lage bist, selbst so kranke Ideen zu entwickeln, dann wird dir das nicht viel nützen, weil du nichts damit anfangen kannst. Mehr noch: Die Verbindung zu den Charakteren herzustellen und den Spielern davon auch noch eine Idee zu vermitteln, das schaffen die wenigsten.
Zum Glück kann UA auch andere Sachen gut, und man kann damit geile Sachen spielen, ohne das Potential voll auszureizen. Wie war das noch mal? „Ach ja, Horror geht damit ja auch.“ Genau.
Wo ist dahinter die Systematik? Du hast verschiedene Gruppen, die sich UA greifen. Was die jeweils mit dem Spiel machen, hängt davon ab, welche Möglichkeiten sie überhaupt erkennen und wie ihnen diese gefallen. Um das Spiel zum Erfolg zu führen, sind individuelle Techniken erforderlich, die vom Regelwerk nicht mitgeliefert werden. Diesbezüglich unterscheidet sich UA genau gar nicht von den meisten anderen Rollenspielen am Markt.
Ob das ein Merkmal mangelnder Qualität ist, darüber streiten sich die Gelehrten. Ebenso darüber, ob man ein System schreiben könnte, das „kohärenter“ ist und mit dem die gleichen „Wow“-Runden passieren wie mit UA, aber ohne die vielen Runden, die nicht funktionieren. Ich persönlich bleibe skeptisch. Jetzt sage ich noch mal einfach so „Bricolage“ und der Streit kann beginnen. „Jehova, Jehova.“
Warum macht aber UA trotzdem so oft dieses „Wow“, überdurchschnittlich oft im Vergleich zu anderen Rollenspielen? Warum wird UA so schnell so intensiv? Aus zwei Gründen:
Erstens weil es dir den abgefahrenen schrägen rätselhaften Kram mit einem mit Zitronenscheiben belegten Goldbarren ins Hirn prügelt. So viel krankes Zeug auf einem Haufen. An jeder Ecke. Nichts macht auf den ersten Blick Sinn, aber alles ist irgendwie cool und einiges auch echt verstörend. Es ist einem relativ nahe, weil eng mit unserer realen Welt verwoben, und gleichzeitig wirklich unvorhersehbar. Diesen Aspekt machen sich diejenigen Spielleiter zu Nutze, die UA vor allem als schaurig-strange Entdeckungsreise in den okkulten Untergrund leiten. Ferner sind besonders Adepten, aber auch Avatare toll für „statisches Method Acting“ geeignet, bei dem man einfach nur einen interessanten Charakter so wie er ist erlebt, ohne dass man irgendwelche existenziellen Fragen stellt. Denn das sind ja nun mal wirklich abgefuckte Typen.
Natürlich ist der Hintergrund auch gerade
wenn man existenzielle Fragen stellen möchte eine tolle Inspirationsquelle, aber nicht gerade eine gefügige.
Zweitens weil auf der Regelebene eben doch eine ganze Menge Innovation drinsteckt, was wir Forge-Geschädigten gerne übersehen. Wenn man mal über die Regeln für Auto-Verfolgungsjagden und ein paar Stupid Dice Tricks hinwegsieht, ist das System wirklich sehr schlank und elegant, und es stecken jede Menge geile Ideen drin, die einem wirklich das Gefühl geben, dass der Charakter so was wie ein echter Mensch ist:
- die drei Arten von Proben
- der verdeckte Gesundheitszustand
- selbstverständlich die Persönlichkeitsmerkmale
- Stresswürfe und Geisteszustand mit Trauma / Härte und den fünf Aspekten
Die Unberechenbarkeit, Härte und Schnelligkeit des Systems ist für viele Rollenspieler ein total neues und faszinierendes Spielgefühl. Das gilt für alle möglichen Stile. Man darf nicht vergessen wie umständlich viele Systeme sind. Gerade Spieler, die auf intensives, charakter-getriebenes Drama abfahren, sind es gewohnt, Regeln zu ignorieren, weil diese sie dabei nur behindern. Regeln, die das Drama sogar noch zuspitzen, sind für sie eine echte Revolution.
Dabei kann man die wichtigsten Regeln von UA sehr schnell lernen. Trotzdem gilt: Je mehr Regeln und Hintergrund man lernt, desto mehr kann man auch machen. Je nachdem, wie weit Spieler und SL den Ehrgeiz haben, sich das zu erschließen, kommen dann auch sehr unterschiedliche Inhalte dabei raus. Viele benutzen die UA-Regeln auch ohne den Hintergrund, was ja zeigt, dass diese auch für sich genommen ein Qualitätsmerkmal sind.
Was UA nicht hat, ist ein „Reward System“. Deshalb gibt es so vielen Möchtegern-Theoretikern auch Rätsel auf. Manche halten das Fehlen des „Reward System“ für eine große Schwäche, weil das System ihnen eben nicht sagt, was sie machen sollen. Andererseits ist der echte „Reward“ immer Spaß und gegenseitiges Anspornen auf der Spieler-Ebene, System-Elemente können dies nur symbolisch repräsentieren bzw. ermutigen. Genau das tut UA nicht. Du machst damit, was du selber meinst machen zu wollen, und wenn es rockt, dann rockt es, das ist dann „Reward“ genug. Ich persönlich meine, dass das kein Bug, sondern ein Feature ist. Ich kenne aber mindestens zwei „Experten“, die leidenschaftlich anderer Meinung sind.
Soviel zu meinem Stream of Consciousness. Irgendjemand noch bei mir?