Aber ist Übernatürliches immer Magie? Man sollte sich vielleicht erst einmal über den Standpunkt des Betrachters klar werden.
Wenn man lange genug im Amazonas-Gebiet herumsucht und noch ein paar Hektar Regenwald abholzt, findet man bestimmt noch ein paar Indio-Stämme, die den weißen Forscher für eine mythische Gestalt und sein ganzes Equipment für magische Ausrüstung halten.
Umgekehrt wird der irgend so ein Indio-Medizinmann womöglich unter Umgehung der Schulmedizin um einen Schwerkranken herumtanzen und ihm damit den Fieber-Geist austreiben. Der weiße Forscher wird dann zwar aus seiner kulturellen Prägung heraus nicht annehmen, dass Magie im Spiel war, aber er kann sich deswegen immer noch nicht erklären, wie das Ganze nun funktioniert hat. Er kann Magie nur ideologisch, aber nicht streng empirisch ausschließen.
Vielleicht begnügt er sich dann mit der Erklärung, dass der Kranke durch seinen festen Glauben, der Medizinmann könne Magie bewirken, seine Selbstheilungskräfte verstärkt hat, also durch den Placebo-Effekt gesund geworden ist.
Das sind gleich drei Modelle für Magie in einem Szenario, dass noch dazu in unserer Welt angesiedelt ist.
Oder nehmen wir die Grals-Legende. Es ist sch***egal, ob der Gral überhaupt existiert hat, ob er nun wirklich ein magisches Gefäß, ein Nachttopf, eine Person oder sonst etwas war - er hat eine Zeit lang das ganze Abendland aufgewühlt, ganze Heerscharen in Bewegung gesetzt und ist bis heute Stoff für Legenden und Thema von Debatten.
Auch in einer klassischen Fantasy-Queste wäre es ziemlich wurscht, ob das gesuchte, Allmacht versprechende Artefakt nun wirklich magisch oder nur durch Legenden aufgeladen ist. Es ist auch gleichgültig, ob die merkwürdigen Kreaturen, denen sich die Helden auf ihrer Suche stellen müssen, nun einfach nur fremdartige Lebewesen, oder mythische Gestalten sind - der Unterschied zwischen Gorilla und Oger, zwischen Nashorn und Einhorn liegt in der Wahrnehmung. Ebenso ist es vom Effekt auf unbedarfte Gemüter unabhängig davon, ob ein "Magier" nun Feuerbälle oder Feuertöpfe schleudert, ob er einem Schwarzen Lotus oder Kurare ins Gesicht bläst, ob er Regen macht oder einfach nur ein guter Meteorologe mit passendem Timing und einem Gefühl für Show ist.
Der Trick ist dabei, wie der Erzähler oder Autor der Geschichte das Ganze verkauft und welches Publikum er vor sich hat. Wenn ich über die Reisen früher Entdecker (von der Antike bis in die Neuzeit) lese, finde ich darin häufig mehr sense-of-wonder, mehr Exotik und mehr Phantastisches - kurz: mehr Magie - als in dem Fantasy-Einheitsbrei, mit dem die entsprechende Regalreihe im Buchladen zugemüllt ist.
Der Trick ist es, sich in die Empfindungswelt der Protagonisten hineinzuversetzen. Wenn Magie, wie in den meisten Fantasy-Szenarien der Fall, zum Alltag gehört - ist es dann überhaupt noch Magie? Ich denke, es ist keine, sondern nur ein fiktionaler Ersatz für naturwissenschaftliche Mechanismen, mit denen sich der durchschnittliche Fantasy-Autor deshalb nicht befaßt, weil er sonst Science-Fiction schreiben würde und somit auch andere erzähltechnische Verfahren bemühen müsste, die ihm womöglich nicht liegen.