Äh-äh. Das ist genau der Unterschied, den ich meinte, zwischen Tech- und Kulturlevel. Bewässerung, Archtitektur, etc. sindm.E. eher in den Bereich der Kultur zu schieben.
Da hatten wir dann einfach ein Definitionsproblem.
Ich sehe es so, dass der Tech-Level eine Unterkategorie des Kultur-Levels, welcher die Summe aller geistes- und naturwissenschaftlichen, schöngeistigen und praktischen Errungenschaften einer Kultur markiert.
Bewässerungsanlagen sind das Ergebnis knallharter technischer Entwicklung, ganz im Gegenteil zur Seidenmalerei - aber selbst dort gibt es eine technische Komponente, denn Seide produziert man nicht nur deshalb, weil es ein schönes Material ist, sondern weil man irgendwann herausgefunden hat, wie man sie überhaupt produzieren
kann.
Der Knackpunkt ist aber: Bewässerungsanlagen und Seidenmalerei haben China nicht gegen die Mongolen geholfen - aber sie haben den Mongolen auch nicht gegen China geholfen. Das waren eher altherkömmliche Faktoren: Eine von Kindesbeinen mit Kampf vertraute, zähe Kultur konnte durch Reiterei mit Wurfschlingen, Speeren und Bögen einen Gegner überrennen, der zwar technisch überlegen, aber auf diese Art der Kriegführung überhaupt nicht vorbereitet war. Hinzu kommt die psychologische Komponente, dass die Chinesen die Steppenvölker verachteten und niemals geglaubt hätten, dass diese überhaupt zur Gefahr werden könnten: Sonst hätten sie sich vermutlich (erfolgreich) Gedanken gemacht, wie man Kavallerie begegnet.
Der Mongolen-Sturm kam übrigens zum Halten, als sie auf die ersten Festungen stießen. Die konnte man nicht einfach niederreiten, und man konnte auch nicht immer darauf hoffen, dass Verrat einem die Tore öffnete - wie es anfänglich tatsächlich geschehen ist. Dschingis Khan war kein dummer, aber seine anschließende Lösung, die Städte auszuhungern oder abzufackeln, ist zwar effizient, aber auch nicht gerade technisch ausgefeilt.
Die wesentliche Etappe kam erst später, als sich der ungestillte Eroberungsdrang der Mongolen mit dem technischen Wissen der bereits eroberten Gebiete mischte. Dann verschafften sie sich Katapulte, primitive Feldschlangen und anderen Höhepunkte der damaligen Militärtechnik. Sie erhöhten ihren Tech-Level also erst, als sie es 1.) nötig hatten und 2.) die Möglichkeit dafür besaßen. Nebenbei erhöhten sie auch ihren Kultur-Level, denn wie der Khan ganz richtig erkannte, kann man zwar ein Land vom Pferd aus erobern, aber nicht von Pferd aus regieren.
Aber im Großen und Ganzen kannst du sowohl die Mongolen als auch China mit dem Techlevel "Mittelalter" zusammenfassen.
Aber eben nur im Militärbereich, der ja nun nicht signifikant für den ganzen Tech-Level ist. Oder würdest Du einer Kultur, die zwar Computer und meinetwegen Raumstationen baut den Tech-Level herabsetzen, nur weil sie mit den Computern keine Schlachten plant und die Raumstationen nicht bewaffnet?
Oder anders: Ist der Tech-Level der Bundesrepublik Deutschland geringer als der Tech-Level der - sagen wir mal - Vereinigten Staaten von Amerika? Die sind uns militärisch knallhart überlegen, während unsere Militärtechnik gleichwertig ist. Und wenn man einzelne Kategorien betrachtet, ist unser militärischer Tech-Level höher und vice versa.
So klappt das also nicht. Man könnte sogar proklamieren, dass es noch heute einem Hunderttausende zählendes Reiterheer mit Schwertern, Bögen und Wurfschlingen durchaus gelingen würde, ein kleines, aber hochtechnisiertes Land zu überrennen, dessen Militärapparat nur ein paar tausend Köpfe zählt.
Besonders dann, wenn diese nur geringe Affekte hätten, die sich in wirksame militärische Gewalt ummünzen lassen. Extrem ausgedrückt: Was nützt das "Plasmagewehr mit 40er Reichweite", wenn der Träger vor Schreck über die animalische Gewalt des auf ihn anstürmenden Keulenschwingers im Lendenschurz das Zielen oder sogar das Abdrücken vergisst?
Problematisch wird's halt im Fäntelalter, wenn auf die Zusammenhänge keine Rücksicht genommen wird. Wenn z.B. in einer Gegend die Leute noch mit Vollplatte ins Feld ziehen, und im Nachbarland Rüstungen passé und Degen total in sind, obwohl der eigentliche Knackpunkt dieser Entwicklung, nämlich Feuerwaffen, in der bewussten Welt überhaupt nicht existieren. Im Kriegsfalle würden die Vollgerüsteten hier die Degenfechter einfach ungespitzt in den Boden rammen, wohingegen es bei Vorhandensein von Feuerwaffen genau umgekehrt aussähe (also wie bei uns).
Sicher. Wobei man nicht außer acht lassen darf, wie das konkrete Konfliktszenario aussieht: <fabuliermodus> Wenn die leicht oder gar nicht gerüsteten Degenfechter in einem Land mit unüberschaubaren Urwäldern lebt oder einfach nur genug Platz zum Ausweichen hat, kann es die schwer gerüsteten Aggressoren ins Leere laufen lassen oder in einem Partisanenkrieg zermürben. Oder sie wäre ihrerseits als Aggressoren in der Lage, strategische Schläge vorzunehmen, deren Schnelligkeit die Panzerreiter nichts entgegenzusetzen haben. Kurz, wenn es der Gegner nicht darauf ankommen lässt, sich schwerer Kavallerie in einer offenen Feldschlacht zu stellen, ist das Fehlen von Feuerwaffen nicht das Entscheidende. Wenn sie ein Inselreich bewohnen und überlegene Seefahrt haben, müssen sie die gepanzerten Gegner nicht einmal ihren Boden betreten lassen, sondern schicken sie bereits vorher auf den Meeresgrund. </fabuliermodus>
Es geht also auch, wenn man unsere historischen Abläufe ignoriert, was ja der Wesenszug der meisten Fantasy-Szenarien ist. Der Knackpunkt ist, dass man simple Kausalitäten nicht ignorieren sollte, was leider nur allzu oft der Fall ist. Fantasy bedeutet für mich nicht, hanebüchene Settings zu kreieren, sondern die abgewandelten (Natur-) Gesetze des Settings sinnvoll auszubalancieren.
Wenn zum Beispiel die Degenfechter noch Magie einsetzen und damit der rohen Gewalt des schwer gerüsteten Gegners trotzen oder ihre Degen aus "Sternenmetall" bestehen, welches auch schwere Rüstungen durchbohrt, ist das okay. Es ist auch okay, wenn die Degenfechter matrix-artige Agilität an den Tag legen, weil sie keine Menschen sind oder dreieinhalb Zeitalter vorher Dämonenblut in ihre Abstammungslinie bekommen haben. Es nur dann nicht okay, wenn sie einfach nur da sind und nicht ersichtlich wird, warum sie dem Gegner widerstehen - oder warum dieser davon absieht, sie zu überrennen, obwohl er es könnte.
P.S.: nebenbei fällt mir auf, daß sehr viele (Mainstream) Fantasy-Settings sich ausgerechnet immer mehr in Richtung Renaissance orientieren. Die Illustrationen bei den FR-Splatbooks sind z.B. eindeutig, noch deutlicher wird es bei DSA4. Ich versteh das nicht so ganz -- woher kommt dieses Streben nach Modernität im FRPG? Warum nicht mal ein Bekenntnis zum Früh- oder Hochmittelalter?
Ich denke, dass ist (wie auch Urban-, Steam- und Dark-Fantasy etc.) eine Gegenbewegung zum romantisierten (!) Mittelalter traditioneller High-Fantasy. Also der einzige Ausweg, wenn man nicht zur Heroic-Fantasy à la "Conan" greifen will - wobei ich das mittlerweile recht reizvoll finde und zufällig gerade an einem Roman in dieser Richtung schreibe.