... kodifizierte Handlungen, die als crunchy bits daher kommen, können - nach meiner Erfahrung - sehr effektiv Rollenspiel behindern.
Gerade in Spielen wie Pathfinder, Shadowrun oder bei Genesys kommt man schnell in die Situation, dass eine Spielerin eine Aktion beschreibt und man als Spielleitung dann nur sagen kann: "Nach den Regeln bräuchtest Du dafür das Feat X oder die Spezialfähigkeit Y ..."
Das ist nicht, was ich mir unter rollenspielfördnernden Regeln vorstelle.
Dasselbe Phänomen kann man auch mit langen Fertigkeitenlisten haben.
... am Ende ist es mMn ganz erheblich Geschmackssache.
Die Frage ist: Helfen viele und ausdifferenzierte Regeln und beflügeln sie die Phantasie der Spielenden oder ist es eher so, dass sie die Phantasie der Spielenden mit Regeln und Mechaniken belasten.
Dieselbe Frage gilt auch für den Kampf. Man kann auch mit einem so abstrakten und simplen System wie "Prince Valiant Storytelling" taktische Kämpfe haben. Die funktionieren aber völlig anders aus als z.B. in D&D 4 oder Splittermond und referenzieren ganz andere Einflussfaktoren.
... am Ende ist die Frage "Ist D&D kein Rollenspiel?" nicht anders als ne Variante von "Kann ich einem Rollenspiel, das ich nicht mag oder nicht verstehe durch Rationalisierung meiner Bias das Rollenspiel-Sein absprechen?"
Ein kleiner persönlicher Lackmustest in Sachen "Rollenspielunterstützung" sieht für mich nebenbei wie folgt aus: gesetzt den Fall, ich kriege einen ausgefüllten, aber unkommentierten Charakterbogen in die Hand gedrückt und soll damit losspielen -- wie gut vermittelt mir der, wer diese Wertesammlung eigentlich sein soll (und wieviel Arbeit ist ggf. damit verbunden, das herauszuklamüsern)?
Von der Sicht der Dinge bin ich mittlerweile ganz abgekommen.
Spielwerte müssen nicht deskriptorisch sein. Tatsächlich war der Versuch von DSA 4 einen Charakter sehr deutlich über Spielwerte und Fertigkeiten wie "Töpfern" abzubilden etwas, was das Spiel unglaublich sonderregellastig und zäh gemacht hat.
Oder: 3.X/Pathfinder, Shadowrun und DSA 4 sind für mich DIE klassischen Beispiele, die zeigen, dass die Vernüpfung von Barbie-Spiel und Regeln letztlich dem Spiel eher nicht helfen.
Andererseits gibt es auch Regelwerke wie Heroquest (Moon Design), bei denen freie verbale Beschreibung als Regeln funktionieren.
Da hat man die Unterscheidung zwischen Spielregel und Beschreibung nicht so direkt.
Und es gibt Old School und Indie Kram, bei dem der Charakterbogen manchmal kaum was über die Persönlichkeit eines SC sagt, sondern nur das regelseitig Relevante draufpackt.
Das sind alles grundsätzlich valide Möglichkeiten. Was hinhaut und was nicht, hängt wesentlich von Spielpräferenzen, Spielstilen und RSP-Sozialisation ab.
... worauf man noch schauen könnte ist die Spielkultur.
Da gibt es in D&D-Gefilden auch (aber nicht nur) Traditionen, die Hack-&-Slay oder strikt Combat as War oder Combat as Sport spielen.
Für manche beißt sich das mit "Rollenspiel". Für andere nicht ...
Regelseitig ... kann man nur festhalten, dass Charakterspiel von D&D nicht besonders gefördert wird und dass andere Facetten des Rollenspiels mehr im Fokus stehen. Das kann man aber für Spiele wie Fate (die Storycrafting fördern) oder Spiele wie Genesys oder 2d20 (Fokus auf coole Charakterhandlungen legen) auch feststellen. Auch hier hängt wieder alles an der persönlichen Definition von "Rollenspiel" bzw. den eigenen Ansichten, was für Rollenspiel wesentlich ist ...