Bleibt die Frage nach dem System - etliche Diskussionen um Rollenspieltheorie haben doch als allgemein akzeptierten Kern erbracht, dass das Spielsystem einen Einfluss auf die Spielgewohnheiten hat. Ich habe den Eindruck, dass viele Berichte über "schlechte" Spielleiter von Gruppen stammen, die Systeme spielen, die zu viel dem Geschick des Spielleiters allein überlassen - dabei gibt es doch so viele neuere und fortschrittlichere Ansätze. Das Problem liegt imho darin, dass der SL nicht an die Hand genommen wird - keiner erklärt ihm: "So und so macht man dies bei diesem System."
Stattdessen wird er mit allgemeinen Spielleiterhinweisen bombadiert, die auf eine moderne Spielweise zugeschnitten sind, die von vielen Systemen eben nicht unterstützt wird. Es geht ja nicht einmal um eine vollständige Änderung der Tipps, vielmehr um eine Anpassung an systemspezifische Probleme. ich verzichte hier ganz bewusst auf Nennung einzelner Rollenspiele, da meiner Meinung nach jedes System irgendwelche Schwächen hat - einige haben diese Negativpunkte eher auf Seiten der Spieler, andere auf Seiten der Spielleiter.
Ein Rollenspielsystem mit seinen Regeln gibt normalerweise den Spielraum vor, in dem sich bewegt wird. Ich empfinde es so, dass die Regeln die Spieler und Spielleiter zu ihren Taten und Aktionen inspirieren. Ein Rollenspiel, in welchem es die Fähigkeit "Reitpferd schnitzen" gibt - mitsamt einem Mechanismus, bessere und coolere Pferde herzustellen, könnte einen Fokus auf die Entwicklung lebendiger Fortbewegungsmittel setzen. Ein Spiel, in dem dies fehlt, wird wohl auch einen erstaunlichen Mangel an Pferde schnitzenden Spielercharakteren beklagen.
Auf abstrakterer Ebene bedeutet dies, dass es durchaus einige Mittel gibt, bestimmte Spielstile zu unterstützen. Wenn das Regelwerk bereits eine Unterteilung in Szenen und Einstellungen vornimmt, wird es dem Spielleiter leichter fallen, sich von unwesentlichen Inhalten zu verabschieden und nur die wichtigen Elemente in solche Szenen aufnehmen. Wenn Mindmapping oder Beziehungsnetzwerke vorgestellt und aktiv eingesetzt werden, könnte dies helfen, Railroading zu vermeiden. Wenn die Spieler vom Regelwerk mehr Gestaltungsrechte zugesprochen bekommen, so wird das die Versuchung des Spielleiters einschränken, die Spieler in einen Film zu setzen, der entgegen der allgemeinen Vorstellung vom Rollenspiel eben nicht interaktiv ist.
Die letzte Stufe der Evolution (und merke, Evolution ist nicht immer gleichbedeutend mit Fortschritt) ist das Abschaffen des Spielleiters und die Übergabe seiner Gestaltungsrechte an die Spieler - dann hat man all diese Probleme plötzlich auf eine ganz andere Ebene verlagert.