Ich bin sicher die Diskussion gab es in der ein oder anderen Form schon ein paarmal, aber eben nicht aktuell und daher dachte ich mir, ich bringe das Thema nochmal an.
Wir sind uns vermutlich einig, wenn ich behaupte, das Gesinnungs-System von D&D ist recht beschränkt, was die Interpretation von möglichen Charakteren betrifft. Dummerweise sind so viele Faktoren im System davon abhängig, dass man es nicht einfach über Bord werfen oder durch Allegiances (wie in d20 Modern) ersetzen kann.
Zwar betonen selbst die Jungs bei Wizards alle Naselang, dass die Beschreibungen der Gesinnungen keine bindende Vorschrift für das Verhalten des Chars sind, aber im Rollenspieler-Alltag sieht das leider kaum jemand so.
Ich hatte kürzlich massive Probleme mit einer Gruppe, als ich eine neutral böse Assassine als Charakter vorgeschlagen habe, die von ihrer Persönlichkeit her jedoch charmant und ziemlich integer war - allerdings natürlich ein moralisches Vakuum, da ein Leben kaum etwas zählt, wenn es um den Job geht. Das heißt natürlich nicht, dass sie sofort ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Gefährten oder Geschäftspartner über die Klinge springen lässt. Das wäre ja fatal für den Ruf - wer würde denn mit so jemandem noch zusammenarbeiten wollen?
Ich hatte nicht wegen der Klasse, der Rasse (Drow), der Hintergrundstory oder der Persönlichkeit des Chars Stress - sondern einfach nur, weil auf dem Charbogen "neutral evil" stand. Das war ein schier unüberwindbares Problem, da in den Köpfen eine klare Vorstellung existierte, wie ein NE-Char zu sein hat und demzufolge muss meiner ja auch so sein. Also die Story und alles wäre durchgewunken worden, wenn ich stattdessen nicht evil auf dem Bogen stehen hätte. Mein Einwand, wo ist denn der Unterschied, wenn ich beides gleich spiele, prallte dabei komplett ab.
Und ähnliches habe ich im Bezug auf Gesinnungen schon öfters erlebt.
Das Problem ist ja auch, dass das Regelwerk das Charakterkonzept mit seinen Klassen mit einer nicht-bösen Gesinnung gar nicht zugelassen hätte, es war also so oder so klar, dass der Charakter gar nicht sooo böse ist, aber dank Regelvorgabe dieses Etikett tragen muss.
Dasselbe Problem werden ironischerweise Spieler von rechtschaffen guten Charakteren kennen. Auch hier gibt es eine klare Vorstellung, wie der Charakter zu handeln, zu denken und einfach zu sein hat (daher auch der Begriff "rechtschaffen blöd", worüber ich mich immer wieder ärgere). Natürlich ist das kompletter Käse, aber ein etabliertes Denkmuster.
Natürlich kann auch ein rechtschaffen guter Charakter Tricks benutzen, Notlügen von sich geben und extrem zornig werden - seine
Motivation und die Umstände, die zu solchem Verhalten führen, sind der entscheidende Punkt. Ebensowenig muss ein rechtschaffen guter Charakter immer nett und freundlich sein - nur weil man im Herzen die richtigen Ideale hat und sonst integer handelt, kann man trotzdem nach außen ein ziemlich ungehobelter Klotz sein. Umgekehrt kann auch ein böser Charakter einen famosen Helden abgeben, wenn seine Ziele mit den Zielen der notleidenden Gemeinde einhergehen - und welcher böse Charakter lässt sich nicht gerne als Held feiern? Ein guter Ruf ist für jeden nützlich.
Die unreflektierte Schwarz-Weiß-Malerei von D&D ist einer der Aspekte, die ich ein wenig anstrengend finde. Insbesondere, da das System nach eher moralisch ambivalenten Charakteren geradezu schreit.
Wie handhabt ihr Gesinnungen?
Wenn in Eurer Gruppe jemand eine "inkompatible" Gesinnung mit einer interessanten Geschichte (die wiederum gut zur Gruppe passt) vorschlägt, heißt es dann bei euch "nein, laut PHB ist ein neutral böser (oder was auch immer) Charakter so und so also wirst Du auch so spielen, daher nicht" oder "sure thing, solange Du nicht gegen die Gruppe spielst oder gezielt meine Plots zerstörst, leg los".
Oder habt ihr ein komplett anderes Modell für Gesinnungen, spielt ihr gar ohne? (wenn letzteres, wie geht ihr mit Zaubern und Fähigkeiten um, die darauf angewiesen sind?)