Ich schreibe einfach mal hier rein, weil ich denke das es passt und nicht unbedingt einen eigenen Thread dafür aufmachen will und ich gerade Bock drauf habe. Es ist nicht ganz das was der Threadersteller beschreibt und es könnte etwas länger werden. Dafür schon mal sorry.
Seit ich Entscheidungstheorie in meinem Studium behandelt habe, gehen meine Überlegungen ebenfalls in eine ähnliche Richtung wie sie hier dargestellt werden, auch wenn es sich mehr um eine Anwendung der Entscheidunggstheorie auf Rollenspiele handelt.
Erst einmal stimme ich mit einer Aussage vollkommen zu. Auch ich denke, das der Hauptunterschied zwischen Rollenspiel und anderen Arten von Fiktion wie Romanen oder Filmen eben in der Möglichkeit liegt, handlungsbeeinflussende Entscheidungen zu treffen.
Bereits hier kann man eine Übertragung der Entscheidungstheorie übernehmen. Wenn kein Problem vorliegt, benötigt man die Methoden zur Findung einer Entscheidung nicht, da man keine Entscheidung treffen muss.
Auf das Rollenspiel übertragen wäre es der Bereich der hier als Entscheidungen ohne Konsequenzen beschrieben wird.
Es liegt kein Problem vor, das Konsequenzen nach sich zieht, was bedeutet, das es nicht relevant für die Handlung ist und damit nicht abgehandelt werden braucht.
In diesen Bereich fallen so tolle Dinge wie der tägliche Stuhlgang. Es mag ein Problem für einen Helden darstellen, ist aber in den meisten Fällen einfach nicht wichtig, als das es behandelt gehört.
Damit ist der Rahmen geschaffen, wann Entscheidungen Spielern abverlangt werden müssen. Eben nur dann, wenn es handlungsrelevant ist.
Auch im Railroading und bei Illusionismus werden von Spielern Entscheidungen abverlangt. Aber dazu komme ich gleich.
Erst noch ein wenig zur Strukturierung von Entscheidungsproblemen.
Aus der Entscheidungstheorie gibt es mehrere Bereich in welche so ein Problem aufgeteilt wird.
Die wichtigsten dabei sind Umweltzustände, Handlungsalternativen, Ergebnisse und Ziele.
Ich gehe kurz auf diese ein, damit es verständlicher wird und bringe das klassische Beispiel bei dem man entscheiden soll, ob man einen Regenschirm mitnehmen sollte oder nicht.
Handlungsalternativen sind Begebenheiten die der Entscheider beeinflussen kann. So kann er sich dafür entscheiden einen Regenschirm mitzunehmen, oder nicht.
Bei einer Entscheidungsfindung sollte man möglichst alle Handlungsalternativen betrachten, was aber sehr oft einfach nicht möglich ist.
Als Umweltzustände bezeichnet man Bedingungen die der Entscheider zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht beeinflussen kann, auch wenn diese Umweltzustände indirekt Einfluss auf die Handlungsalternativen haben.
In dem Regenschirmbeispiel kann der Entscheider nicht beeinflussen, ob es regnen wird oder nicht.
Umweltzustände können sicher oder unsicher sein. Sichere Umweltzustände sind Umweltzustände die auf jeden Fall eintreten werden.
Unsichere Umweltzustände können noch weiter unterteilt werden in Ungewissheit und Risiko, wobei für uns nur Risiko wichtig ist, denn hier kann man zumindest noch eine Wahrscheinlichkeit angeben, mit der ein Umweltzustand eintritt, während man das bei ungewissen nicht mehr kann und eine Entscheidungsfindung kaum noch möglich ist (das ist sehr sehr wichtig, denn wenn man das auf Rollenspiel überträgt, resultiert hier eine der beiden Hauptbegründungen für die Simulation anhand von Regelsystemen).
Ergebnisse sind Kombinationen aus Umweltzuständen und Handlungsalternativen.
Wenn in unserem Beispiel der Entscheidungträger keinen Regenschirm mitnimmt (Handlungsalternative) und es regnet (Umweltzustand) so wird er nass (Ergebnis). Nimmt er einen Schirm mit, so wird er nicht nass, wenn es regnet. Regnet es dagegen nicht, wird er zwar nicht nass, muss aber den Schirm mit sich schleppen usw. usw..
Ziele sind wohl das wichtigste bei einer Entscheidung. Ohne ein Ziel ist keine Entscheidung möglich. Hier stellt sich in der Enthscheidungstheorie die Frage nach den Präferenzen der Entscheider. In der Rollenspieltheorie käme hier wohl GNS der Präferenzenbetrachtung wohl am nähsten.
In unserem Beispiel könnte, trocken zu bleiben, das Ziel des Entscheiders sein.
Dementsprechend wird er sich dafür entscheiden einen Schirm mitzunehmen, weil er damit auf jeden Fall trocken bleiben wird.
Das kann man natürlich noch erweitern. Wenn das Ziel nicht nur darin besteht trocken zu bleiben, sondern auch noch so wenig Aufwand wie möglich dabei zu haben, wird die Entscheidung schon schnell nicht mehr so einfach und zeigt, das Entscheidungsfindung oft sehr kompliziert werden kann und ab und an sehr bunte Blüten hervorbringt (Spieltheorie setzt gerne bei solchen Fällen an und es gibt viele interessante Fallbeispiele, wie das wohl sehr bekannte Gefangenendillema, oder das Battle of the Sexes).
So viel zur Entscheidungstheorie. Hoffe ich langweile damit niemanden.
So wenn man das nun auf Rollenspiel überträgt, kann man für klassisches SL + Spieler Rollenspiel folgendes schlussfolgern.
Die Umweltzustände werden vom SL vorgegeben. Der SL beschreibt wie die Szenerie (Umwelt) aussieht. Um den Spielern die Entscheiden zu erleichtern sollte diese Beschreibung möglichst "komplett" sein (andere sprechen hier von Übereinstimmenden Fiktionsraum, oder so ähnlich). Natürlich gilt auch hier, das man alle relevanten Umweltzustände erwähnen sollte.
Wie viel man das dann noch Atmosphärisch auskleidet ist jedem selbst überlassen.
Aber wenn es z.B. für eine Entscheidungsfindung der Spieler nicht wichtig ist, ob der Raum nun 4x4 oder 6x6 Schritt ist, dann braucht man sie damit nicht zu langweilen (wie es z.B. in manchen DSA-Publikationen so manches Mal zur Qual verkommt).
Die Spieler sollten dann bemüht sein ihre Handlungsalternativen, die von den Umweltzuständen beeinflusst werden (wenn es keine Brücke über einen Fluss gibt, können die Spieler, so sie denn nicht eine selber bauen, nicht per Brücke den Fluss überqueren) möglichst durchzugehen (oder auch mal zu finden) und dann so wählen, das das erwartete Ergebnis sich mit ihrem Ziel (oder dem Ziel des Spiels) möglichst deckt.
Hier komme ich nun nach langem Anlauf zu Railroading und Illusionismus(Entscheidung ohne Wahl).
Überträgt man das obige Konstrukt auf Railroading, so stellt es eine besondere Form dar.
Und zwar betrachtet man beim Railroading nur eine Handlungsalternative und nur einen (sicheren) Umweltzustand und spart es sich, wegen zu hohem Aufwand, die anderen Ergebnisse zu betrachten (man fährt sozusagen nur auf einer Schiene).
Damit das funktioniert, müssen aber 3 Bedingungen vorliegen. Erstens die Umweltsituation muss sicher sein, was sie aber oft nicht ist (komme noch dazu).
Für die zweite Bedingung muss ich den Fall der Dominanz herbeiziehen. Eine Handlungsalternative dominiert eine andere, wenn sie in allen Kriterien (niedrigere Kosten höherer Nutzen usw.) "bessere" Ausprägungen annimmt. Die zweite Bedingung ist somit, das es eine Handlungsalternative gibt, die alle anderen dominiert.
Und die dritte ist recht einfach. Die Spieler müssen diese eine dominante Handlungsalternative auch finden.
Wenn das alles zusammen kommt, dann ist Railroading wie vorgesehen möglich. Die Situation ist sicher und somit sind die Ergebnisse sicher abschätzbar. Wenn die Spieler die dominante Strategie gefunden haben, werden sie dieser Schiene folgen und entsprechend so handeln, wie vorgesehen.
Ich denke das Problem an Railroading und die damit einhergehenden Fehler die am meisten gemacht werden sind auch so schon ersichtlich.
Nur selten sind Situationen im Rollenspiel sicher, so das die Ergebnisse nicht sicher sind und damit man auch nur unter bestimmten Wahrscheinlichkeiten sagen kann, das eine Handlungsalternative die anderen dominiert (was bedeutet, das es auch ganz anders kommen kann und schon folgen die Spieler nicht mehr der Schiene).
Desweiteren, selbst wenn man als SL eine sichere Situation erzeugt hat ist noch lange nicht sicher, das Spieler auch genau die eine, alles dominierende Handlungsalternative finden und damit von sich aus der Schiene folgen, so das der SL nachhelfen muss.
Da die Entscheidungsfindung und die handlungsrelevante Entscheidung aber das Kriterium ist, was Rollenspiel ausmacht, mögen viele Rollenspieler Railroading einfach nicht, da man ihnen eben das wegnimmt, was Rollenspiel (zumindest nach dieser Theorie) ausmacht, in dem der SL nachhilft. (oder die Entscheidungsfindung zu kompliziert gestaltet...hier sind wir aber wieder bei Zielen).
So viel zu Railroading.
So nun zum Illusionismus(Entscheidung ohne Wahl):
Illusionismus stellt ebenfalls eine besondere Art des oben abgebildeten Komplexes. Dafür schauen wir uns die Ergebnisse einmal genauer an.
Ergebnisse sind mögliche Kombinationen aus Umweltzuständen und Handlungsalternativen. So ist es aber sicherlich auch gang und gebe, das es ein und das selbe Ergebnisse für mehrere solche Kombinationen gibt.
Illusionismus liegt nun dann vor, wenn der SL die Umweltzustände so verändert, das das gewünschte Ergebnis zustande kommt.
Nehmen wir wieder das Beispiel mit dem Regenschirm.
Der SL gibt vor, das es entweder regnen, oder nicht regnen könnte. Er will, das die SCs nicht nass werden.
Wenn die Spieler sich nun entscheiden keinen Regenschirm mitzunehmen, dann entscheidet der SL, das es nicht regnen wird.
Wenn die Spieler sich entscheiden einen Regenschirm mitzunehmen, dann entscheidet der SL, das es regnen wird.
Egal wie sich die Spieler entscheiden, es kommt zum selben Ergebnis und die Illusion der "freien Entscheidung" entsteht.
Das ist so weit in Ordnung, nur gibt es auch hier einen Hacken.
Der SL muss die Umweltzustände entsprechend so wählen, das nicht sofort auffällt, das immer das selbe Ergebnis rauskommt.
Im besten Fall tut er das ex ante, also bevor die Entscheidung getroffen wird.
Da das aber sehr schwer ist, greifen viele SLs in die Trickkiste und ändern die Umweltzustände ex post.
Das ist jedoch oft nicht ohne weitere Probleme möglich. Gerade bei sicheren Umweltzuständen wird das problematisch, aber auch bei unsicheren, was oft noch problematischer ist (siehe unten).
So und nun komme ich auch endlich zu den unsicheren Umweltzuständen, die mMn mit das wichtigste dieser kompletten Einteilung sind und für Rollenspiel nicht mehr wegzudenken sind.
Man hat es im Rollenspiel sehr oft mit unsicheren Situationen zu tun und gerade diese machen oft den Reiz aus. Schafft es mein kleiner Beutelschneider dem reichen Händler im Getümmel das Gold abzulupfen, oder besiegt mein Krieger den Oger, verzaubert mein Magier die hübsche Prinzessin usw. Das sind alles "klassische" Situationen, die unsicher sind. Weder SL noch die Spieler sind so ohne weiteres in der Lage zu bestimmen ob das der Fall ist und selbst wenn sie denken es wäre so, gibt es oft unterschiedliche Meinungen dazu, welches Ergebnis nun eintritt, weil eben nicht sicher ist, welcher Umweltzustand nun eintritt.
Und genau aus diesem Grund benutzt man Bewertungen von Fähigkeiten und abstrakte Algorithmen um entsprechende Situationen zu simulieren und dann anhand der Simulation eine Entscheidung zu treffen.
Oder kurz gesagt, weil es oft zu schwer ist so ohne weiteres in einer unsicheren Situation eine Entscheidung zu treffen, würfelt man.
Dabei gehe ich mal nicht auf Spiele ein die Erzählrechte verteilen (im Prinzip sind diese damit aber auch abzubilden).
Hier liegt aber auch das Problem von Illusionismus. Wenn ich mich als SL entschieden habe, die Entscheidung einer Simulation zu überlassen, weil ich selber nicht in der Lage bin eine zu finden, kann ich die Umweltzustände nicht mehr ex post anpassen und muss das Ergebnis der Simulation akzeptieren.
Die Umweltzustände ex ante so zu wählen, das immer gas gleiche Ergebnis raus kommt, ist aber oft schier unmöglich, da wir uns je in einer unsicheren Situation befinden und gerade deswegen ja eine Simulation gemacht haben und wir drehen uns im Kreis.
Als Lösung bieten hier mehrere Regelsysteme verschiedene Absicherungen, wie z.B. Schicksalpunkte, die eben Bestandteil der Simulation zwar zum Illusionismus beitragen können, aber sicherlich nochmal deutlich schwerer vorherzusehen sind, weil sie eben wiederum eigene Entscheidungsprobleme darstellen.
Das Fazit hierbei wäre, das Rollenspiel sich vor allem durch die Möglichkeit die Handlung durch Entscheidungen der Spieler zu beeinflussen auszeichnen und das der Kernpunkt dieser Art von Spielen ist (ob nun DnD, DSA, SR oder wie auch immer sie heißen mögen). Es ist nicht das Ziel Leuten Entscheidungen abzuringen, es ist das Kernthema. Rollenspiel dreht sich im Prinzip um Entscheidungen und ohne diese funktioniert es einfach nicht (SL: Ihr sitzt in einer Taverne in Gareth. Was wollt ihr tun?).
Darüberhinaus sind sowohl Railroading als auch Illusionismus besondere Ausprägungen einer Entscheidungssituation und unter bestimmten Bedingen (für Railroading sichere Umweltzustände, eine alles Dominierende Handlungsalternative und das die Spieler diese finden und für Illusionismus, das man in der Lage ist ex ante die Umweltzustände so zu wählen und damit die Handlungsalternativen so zu beeinflussen, das alle Ergebnisse gleich sind) herbeiführbar, jedoch sicherlich nicht gerade einfache Instrumente des Rollenspiels sind, wenn sie denn funktionieren sollen.
Darüberhinaus leitet sich eben aus dem Anspruch Entscheidungen auch in unsicheren Situationen treffen zu können, die Begründung für die Benutzung von Regelsystemen, weil das die Entscheidungsfindung erleichtert.
So zum Schluss nochmal ein paar Worte zu stark simulativen Spielen.
Wie aus obigen Aussagen hervorgehend werden Simulationen benutzt um Entscheidungen zu finden, wenn SL und Spieler nicht mehr ohne weiteres in der Lage sind.
Simulationen habe es so an sich, das sie, eben schnell ausarten können, je genauere Ergebnisse man haben will.
Daher ist ja auch der Fokus auf hanldungsrelevante Vorgänge wichtig. Was nun handlungsrelevan ist, ist stark von den Präferenzen der Spieler abhängig.
Ein Simlastiges Spiel richtet sich (oder sollte es zumindest) an Spieler, die genaue Ergebnisse bei Einbeziehung vieler Variablen bevorzugen.
Entsprechend der Entscheidungstheorie hieße das nicht, das Entscheidung bei Simlastigem Spiel nicht besonders bedeutend wären.
Ganz im Gegenteil. rein theoretisch müssten Entscheidungen sehr bedeutend sein, wenn man sich so viel Mühe macht eine besonders ausführliche Simulation durchzuführen.