Der Computermarkt wächst stetig und sich davon eine Scheibe abzuschneiden ist wohl für keinen Sektor unseres phantastischen Hobbies von Nachteil. Und so kommt es, dass im Kosmos-Verlag zwei gewichtige Größen zusammenwachsen. Zum einen ist das der dritte Ableger des Computeraufbauspiels Anno, Anno 1701 sowie eines der bekanntesten Brettspiele, Die Siedler von Catan. Von diesem existiert eine ebenfalls recht bekannte und beliebte Kartenspielvariante, auf der wiederum das Anno 1701-Kartenspiel basiert, ohne dieses jedoch stupide zu kopieren. Für die Entwicklung zeichnet sich Siedler-Erfinder Klaus Teuber selbst verantwortlich. Das ganze ist in der Reihe „Spiele für 2“ erschienen in kleinem, quadratischen Karton, der 120 Karten (ebenfalls quadratisch) sowie 2 Würfel und zwei Spielsteine enthält.
Beim Spielen überrascht dann auch der enorme Platzbedarf, theoretisch sollten 10 Karten nebeneinander und 11 übereinander passen – als Spiel für Nebenbei im Zug fällt es schonmal aus, dadurch kann aber die Spieltiefe sehr schnell beeindrucken.
Im Spiel geht es darum eine Siedlung aufzubauen und zu einer echten Stadt heranreifen zu lassen. Allerdings ist ganz in der Nähe eine weitere Siedlung, die ebenfalls im Wachstum begriffen ist. Wie immer bei Siedler geht es darum, die Siegpunkte schneller als der Gegner zu sammeln und insgesamt 7 Gunstpunkte (oder zwei Kaufleute) zu erringen.
Zu Anfang erhalten beide Spieler 20 Karten. 17 davon repräsentieren die Siedlung, die aus vier Pionieren, Erzminen, Weideland, Lehmgrube, Ackerland und Wald, Lagerhäusern für Rum und Tabak, zwei Dorfzentren sowie einem Handelsschiff besteht. Die Pioniere kann man durch das Bezahlen der entsprechenden Rohstoffe zu Siedler (1), Bürgern (2) und Kaufleuten (3 Gunstpunkte) aufwerten. Die Rohstoffe liefern die fünf Landschaftsarten, dazu kommen noch Tabak und Rum, welches nur auf Handelsfahrten zu erwerben ist sowie Gold, einerseits universelles Tauschmittel, andererseits um eben Tabak und Rum zu bezahlen.
Der Spielzug beginnt mit dem Würfelwurf. Jede Landschaft als auch das Schiff tragen Zahlen von 1-6 und produziert den entsprechenden Rohstoff, wenn die Zahl fällt – jeder Spieler hat von jeder Zahl mindestens ein Feld. Dazu kommt das Schiff, welches den Zustand verbessern kann, ohne dafür Holz investieren zu müssen. Wieviel Rohstoffe man besitzt, wird dadurch gekennzeichnet, auf welche Seite die Karte gedreht ist. Von gar nix bis zu drei Einheiten ist möglich. Genauso wird der Zustand des Schiffes (von 1-4) sowie das Gold in beiden Dorfzentren markiert (je 1-4). Sinkt es auf „null“ wird die Karte auf die Rückseite gedreht. Ins Schiff muss nun in jedem Fall Holz investiert werden statt aufs Würfelglück zu hoffen und beim Dorfzentrum hören die angrenzenden Gebiete mit der Produktion auf (weil jedes fehlende Goldstück durch einen unzufriedenen Bürger symbolisiert wird). Hat man gar kein Gold mehr, bedeutet dies eine herbe Niederlage und eine vorzeitige Beendigung des Spiels. Überzählige Rohstoffe über das Maximum sind im übrigen nicht möglich und verfallen. Der zweite Würfel kündigt eins von sechs Ereignissen an, z.B. kann man eine Gold gegen eine Ware tauschen, bekommt Steuern für zufriedene Bürger oder darf dem Gegner eine Landschaftsware klauen,so man See- oder Handelsmacht innehat.
Im zweiten Schritt dürfen Aktionskarten gespielt sowie gebaut werden. Dazu dienen nämlich die übrigen drei Karten des Spielers, dies sind die Handkarten. Z.B. lassen sich hiermit diverse Gebäude bauen, so die Karte auf der Hand ist, z.B. Werkzeugschmieden, welche die Seemachtspunkte erhöhen, Webereien, die die Handelsmachtspunkte aber auch die Segel des Schiffes erhöhen oder eine Kapelle, welche einen zufriedenen Bürger produziert, welcher wiederum Steuern zahlt, wenn der Würfel entsprechend fällt. Es gibt aber auch Gebäude wie z.B. die Farm, welche bei einer Zahl dann zusätzliche Nahrung produziert analog zu den Landschaften. Aktionskarten in dieser Phase sind z.B. Erfinder, welcher zwei beliebige Waren einbringt, wenn man ihn spielt oder der Kapitän, welcher die Segel und die Kanonen des Schiffes erhöht. Natürlich kann man auch Siedler und später Bürger und Kaufleute „bauen“, für die letzten beiden braucht man aber Rum und Tabak, welcher nur auf Handelsfahrten zu erhalten ist.
Und damit kommen wir zur dritten Phase jeden Zugs. Hier kann man nun entweder seine Handkarten auffüllen, bis man wieder drei hat. Dabei haben Pioniere, Siedler, Bürger und Kaufleute jeweils eigene Kartenstapel, aus denen man nur ziehen darf, wenn man diese Ausbaustufe schon erreicht hat. Die zweite Ausbaustufe z.B. enthält zwar mächtigere Karten, diese sind aber im Durchschnitt auch teurer. Die zweite Möglichkeit ist es, eine Handelsfahrt zu starten, welches sich immer bei prall gefüllten Geldsäcken anbietet. Hier bestimmt die Anzahl der Segel, bis zu wieviel Handelsfahrtkarten man ziehen darf. Karten wie Gefährliche Klippen verschlechtern den Zustand des Schiffs bis zur Zerstörung, sprich den Abbruch der Handelsfahrt, ebenso Piraten, die bestochen oder bekämpft werden wollen. Beim Sieg gibt es Gold, bei Niederlage verschlechtert sich das Schiff. Der Kampf wird durch einen W6-Wurf für beide Fraktionen simuliert, zu denen ein fester Wert, die Anzahl der Kanonen, addiert wird. Dann gibt es aber auch Händler und fremdes Volk wo man je nachdem Tabak und/oder Rum erwerben kann oder auch andere Rohstoffe. Entweder zieht man dann Karten, solange es geht oder, z.B. wenn man kein Gold mehr hat, bricht die Handelsfahrt freiwillig ab. Als dritte Option, wenn man noch alle Handkarten hat und keine Handelsfahrt machen will, kann man eine seiner Handkarten austauschen.
Das entstehende Spielgefühl ist überraschend tief und auch überraschend strategisch. Zwar wird gewürfelt, aber da beide Spieler bei jeder Zahl etwas bekommen und so oft gewürfelt wird, dass es zwar punktuell etwas Glück geben kann, aber über die gesamte Spielzeit üblicherweise die ausgleichende Gerechtigkeit, sprich die Stochastik, zuschlägt, so dass der Glücksfaktor angenehm klein ist. Während des Spiels verändert sich die Bedeutung verschiedener Rohstoffe und das ist für ein Kartenspiel mit dieser geringen Kartenanzahl eigentlich eine große Überraschung, zumindest wenn man das Siedler-Kartenspiel nicht kennt.
Ein Kritikpunkt ist allerdings, dass man relativ wenig Interaktion miteinander bzw. gegeneinander hat. Man kann zwar miteinander handeln, See- und Handelsmacht werden gegeneinander gewertet, ab und an mal Rohstoffe klauen, einen Spion schicken oder durch die eigene Werte die Werte eines Gegners bestimmen, mit denen der Gegenüber zu tun hat (z.B. die Anzahl der Kanonen eines Piratenschiffs), Aktionen wie Kriegszüge (Kartenspiel) oder gegenseitiges Verbauen (Brettspiel) sind nicht möglich.
Das Spielmaterial ist recht hochwertig, wenn es auch nicht reichhaltig ist. Die Karten haben alle Anno 1701-Grafiken, die der Computerspieler wiedererkennen kann. Beide Counter, der für See- und der für Handelsmacht, sind aus lackierten Holz in stillisierter Form (Warensack bzw. Kanone) gefertigt ebenso wie die Würfel. Das Material ist gut im Karton unterzubringen, die deutsche Anleitung ist zwar ungewöhnlich lang, aber sehr verständlich.
Ein Nachteil der Komplexität des Spiels liegt noch darin, wenn ein erfahrender Spieler auf einen Unerfahrenden trifft. Da die Regeln so komplex sind, braucht man schon ein, zwei oder drei Runden, um genug Spielgefühl zu bekommen und zu wissen wie der Hase läuft, um dann bestehen zu können und dem Spiel nicht chancenlos hinterherzuhinken Aber wie schon gesagt, macht gerade auch diese Spieltiefe den Spaß des Kartenspiels auf, wie es sonst selten bei Zweierspielen entsteht. Von der Zeit her ist die eine Stunde, die offiziell angegeben wird, zumindest für die ersten Spiele in jedem Fall zu knapp angesetzt, es kann auch schnell doppelt solange dauern. Einziges unberechenbares und unvorsehbares Abbruchkriterium ist die Pleite des Gegners, welcher immer bei knappen Geldstand droht.
Den empfohlenen Preis von 15,99 Euro ist das Spiel eindeutig wert, trotzdem sei darauf hingewiesen, dass gerade Kosmosspiele oft günstiger angeboten werden und ich das Spiel schon für 12 Euro gesehen habe.
Fazit: Anno 1701 ist ein gelungenes Zwei-Mann-Strategiespiel und kombiniert typische Anno-Elemente mit typischen Siedlerelemente in einem überraschend komplexen Aufbauspiel. Für mich hat dieses Spiel insbesondere seinen Reiz, da viele Brettspiele erst ab drei oder vier Spielern Spaß machen, dass es tatsächlich zu zweit – und nur zu zweit – funktioniert. Einzig Besitzer des Siedler-Kartenspiels könnten das Spielprinzip als zu ähnlich zu empfinden.
PS.: das Original ist zu finden unter
http://www.lorp.de/rezensionen/show.asp?id=1338