Hallo Dr. Boomslang, vielen Dank für dein Feedback!
Ich hatte mir schon gedacht, dass die Kritik in ungefähr diese Richtung gehen würde, bzw. es klang ja auch bei einigen der Vorkommentatoren an. Das zeigt mir aber eher, dass ich mit dem Design in die Richtung gegangen bin, in die ich auch wollte. Andererseits habe ich es wohl nicht besonders gut vermocht, bzw. naiver Weise nicht für nötig gehalten, meine dahinter stehenden Überlegungen genauer zu erläutern. Das möchte ich nachholen, auch wenn es natürlich für den Ausgang der Challenge keinen Einfluss hat. Dabei geht es mir nicht um Rechthaberei oder Nachtreten, bitte nicht falsch verstehen. Aber ich möchte gerne zeigen, dass ich mir was dabei gedacht habe. Der Reihe nach:
Es wird ein eigener Mythos aufgebaut den man schnell begreift und der ausreichend Abenteuer verspricht. Das Dogs in the Vineyard artige Thema ist als Core Story erprobt. Das Schiff als zentrales Element hält alles zusammen. (...) Die Sache mit den Größenklassen ist nichts völlig neues, aber es erfüllt den Zweck deutliche Machtunterschiede einfach darzustellen.
Danke für das Lob!
Was hier deutlich fehlt sind mehr Regeln für Hilfegesuche und Inseln. Durch die Aufgaben der Götter erhält man zwar einen ersten Hinweis auf die Art der Hilferufe, aber das ist zu generell und reicht nicht weit.
Nun ist aufgrund Zeitmangels das hierfür wesentliche letzte Kapitel nicht besonders üppig ausgefallen, aber ich finde, für ein 72-Stunden-Spiel steht da schon einiges, auch wenn es natürlich in einem fertigen Produkt wesentlich ausführlicher erklärt sein müsste. Daran können sich die Spieler imho schon gut entlang hangeln und kriegen eine erste Richtung. Mehr Struktur und harte Regeln wäre dann, na ja, Forge-Zeug halt. Das wollte ich aber gerade ganz bewusst nicht.
Die SL-Tipps hätten in der Tat länger ausfallen können (und wären es auch, hätte ich noch die Zeit gehabt), aber es sind immerhin zwei Seiten, und noch mal eine Seite zum Thema Zeitsprung. Die Spielleitertipps sind knapp, aber imho durchaus gehaltvoll. Sie sagen, worauf es ankommt: Auf den einzelnen Inseln was zum Entdecken (Kultur/Lebensbedingungen/Evolution) und was zum Einmischen (Konflikte/Parteien mit Gesicht). Wobei die Spieler als Ideengeber eingebunden werden, einerseits bei der Gruppen-/Schiffserschaffung durch die Charakterkonzepte, die Besatzungs-R-Map und die Farbe des Schiffs, andererseits durch das konkrete Gebet, das der Spieler schreibt.
Ein bisschen Arbeit muss der SL dann schon noch selber machen, Town Creation Rules sind auch nicht der Weisheit letzter Schluss bzw. funktionieren auch nicht von alleine. Sicherlich fehlen Beispiele und Inspiration, aber am Ende bin ich der Überzeugung, dass niemand dem SL bei spielerzentriertem Spiel die Arbeit der Szenariovorbereitung abnehmen kann. Ich dachte/hoffte eigentlich, dass die Beispiele und Hintergrundbeschreibung, insbesondere die Erläuterung der verschiedenen Farben (Prinzipien, Götter, Gebete), schon eine gewisse Inspiration beinhaltet.
Vielleicht auch noch ein Wort zu den vage gehaltenen Ausführungen über Zeitsprünge, auch wenn du sie nicht direkt ansprichst: Das Spiel
will, dass frei verhandelt wird, a) ob man einen Zeitsprung machen möchte und b) was während dieses Zeitsprungs geschieht. Und eben
nicht „wenn der Zeitsprung-Wert 10 erreicht“ oder „wenn der gelbe Würfel drei Sechsen in Folge würfelt“ gibt’s den Zeitsprung.
[rant] Es gibt ja Leute, die glauben, dass man solche Pacing-Regeln machen und es so clever designen könnte, dass die starre Regelanwendung bessere Ergebnisse liefert als das Urteilsvermögen einer funktionierenden Spielgruppe. Ich gehöre nicht zu diesen Leuten, mehr noch, ich halte dies für einen schädlichen Irrglauben. [/rant]
(Was man machen könnte, um von der Regelseite ein bisschen Drive für die Kampagne reinzubringen, wären genauere Vorgaben bzw. Regeln dazu, was
im Rest der Welt während eines Zeitsprungs passiert, um da dem SL ein bisschen unter die Arme zu greifen und dafür zu sorgen, dass die Charaktere durch äußere Einflüsse auf Trab gehalten werden und jeder Zeitabschnitt sich wirklich eigen anfühlt. Vielleicht in Verbindung mit einem nach Zeitabschnitten unterteilten Kampagnentagebuch oder so was.)
Andererseits finde ich die feste Zuordnung von Farben zu göttlichen Aspekten etwas einengend und auch abgedroschen, das hätte man individueller machen können. Auch sind die Farben im Prinzip recht überflüssig, womit ein Stichwort kaum gebraucht wird ("Farbe" war offensichtlich nicht leicht).
Hm, das überrascht mich jetzt, ich dachte, „einengend“ ist gut?
Zu den Farben möchte ich erwähnen, dass diese ganze Vierteilung, die ja auch thematisch ist und an verschiedenen Stellen im Text auftaucht, ohne das Stichwort „Farbe“ so nicht im Spiel gelandet wäre. Nun mag man natürlich sagen, das müssten keine Farben sein, ich hätte das auch Q’tar, Q’vol, X’narl und V’buoh nennen können, aber ich denke doch, dass Farben eingängiger sind. Und „ersetzbar“ ist nicht das gleiche wie „überflüssig“.
Wenn Plausibilität und Dramaturgie zwei so klare und starke Prinzipien wären, dass sich daraus quasi alles von alleine ergibt, dann bräuchten wir wohl nicht so viele Rollenspiele.
Meiner Einschätzung nach gibt es bisher kaum Systeme, die diesen Prinzipien wirklich und ernsthaft das Feld überlassen. Eben
weil den Leuten nicht zugetraut wird, sie wirklich anzuwenden.
Das Design von DFDM verfolgt das Ziel, die Beteiligten dazu zu bringen, den Vorstellungsraum sauber zu verhandeln und das Spielgeschehen aus dem etablierten Vorstellungsraum heraus dynamisch weiter zu entwickeln, mit anderen Worten: Nach der traditionellen Rollenspiel-Methode zu verhandeln, aber ohne unnötige Detailregeln. Wie man das dann genau verhandelt, dafür muss man schon selber Konventionen herausbilden, aber das ist bitteschön bei jedem Spiel so, auch (und gerade) bei den Forge-Spielen. Ich sag nur PtA GroFaFour-Style. Aber Anreize sind in ausreichender Menge vorhanden:
- Zu allererst die Vorteile: Je mehr Vorteile du dir vorher erspielst, desto besser stehst du im Konflikt da. Dies wird dadurch verschärft, dass du automatisch gewinnst, wenn du den Gegner auf 0 drücken kannst. Bzw. dass du ggf. automatisch verlierst, wenn du nicht vorher den Gegner auf 0 drücken kannst. D.h. die Regeln für Größenordnungen unterstützen ganz bewusst diesen Effekt: Spieler sollen sich um Vorteile bemühen und diese herausspielen, und dazu müssen sie eben den Vorstellungsraum verhandeln, weil der Vorstellungsraum alleiniger Maßstab der Vorteile ist.
- Ferner die Kräfte der Kristallträger: Was man mit einem Krafteinsatz erreichen kann und wieviel es kostet ist abhängig von der Spielsituation und kann nur eindeutig beurteilt werden, wenn auch die Spielsituation klar ist. Die Prinzipien kommen obendrauf und erfordern nicht nur eine saubere Verhandlung, sondern auch eine gemeinsame wertende Beurteilung, die das Verhandlungsergebnis überprüft und ihm eine moralische Dimension hinzufügt.
- Die Entwicklung des Spielgeschehens wird durch die – ggf. nach den Konfliktregeln ermittelten – Ausgänge der einzelnen Situationen bestimmt. Diese sollen gerade dynamisch und selbstgesteuert sein, das ist das Spielgefühl, das ich haben will. Keine Agenda für eine Szene, keine Stakes für einen (größeren) Konflikt, sondern eins nach dem anderen und hinterher sieht man, wo man steht. D.h. man muss die Entwicklung rollenspielerisch nachvollziehen, um zum Ergebnis zu kommen (unbeschadet der Möglichkeit, Nebensächliches zu überspringen), weil eben keine Stakes und keine Erzählrechteverteilung es erlauben, Ergebnisse von Situationen in anderer Weise einzuführen. (Das ist natürlich bei allen normalen Rollenspielen so, aber hier für die Forge-Geprägten noch mal ausdrücklich erwähnt, um den Vorteil bzw. die bewusste Design-Entscheidung zu erläutern.)
- Durch die Ausgangssituation bzw. Aufgabenstellung der Charaktere wird inhaltsleer dahinplänkelndem Spiel vorgebeugt. Für echtes Pacing müssen schon die Beteiligten selbst sorgen, aber das Spiel liefert durchaus eine starke „Core Story“, wie man wohl sagt.
- Um SL-lastigem Spiel vorzubeugen, gibt es zum einen die Gebete und zum anderen die Vorgabe, dass die SCs die Entscheidungsträger an Bord des Schiffes sind. Dadurch, dass das Schiff zudem einen echten Machtfaktor in jeder Region darstellt, in die es kommt, wird darauf hingewirkt, dass SL und Spieler echte Verhandlungspartner sind und der SL die Spieler nicht am Nasenring durch die Manege führt.
- Durch die Glücksbringer werden die Beteiligten ermuntert, darüber zu kommunizieren, was ihnen gefällt bzw. wichtig ist (der Trick funktioniert natürlich auch bei einem beliebigen anderen Spielstil und ist Fan Mail in grün, aber er funktioniert eben auch hier.)
Es ist recht unklar ob das sehr freie Herbeierzählen von Konflikten und Vorteilen nicht das gesamte System erschlägt.
Was du mit „freiem Herbeierzählen“ meinst, kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Im Regelwerk steht ausdrücklich, dass harte Auslegungsgrenze immer das ist, was aufgrund der
etablierten Spielsituation plausibel erscheint. Der Text erwähnt mehrfach, dass Handlungen der Beteiligten oder auch Konfliktausgänge zu Vorteilen für nachfolgende Konflikte werden können. Ferner steht an exponierter Stelle für alle, die das gerne erwähnt sehen möchten, die Spieler spielen ihre Charaktere und der SL spielt alles andere.
Daraus folgt
selbstverständlich, dass man Vorteile nicht einfach ausdenken kann, sondern dass man sie sich erspielen muss. Das ist doch der ganze Witz. So funktioniert herkömmliches Rollenspiel. Diese Regel ist nichts anderes als das Kondensat der traditionellen Verhandlungsmethode im Rollenspiel, befreit von jeglichem Ballast. Alle traditionellen Task Resolution-Systeme dienen einem einzigen Zweck: Nämlich zu beurteilen, wie unter den
vorher verhandelten Umständen die Chancen auf Erfolg und Misserfolg zu beurteilen sind. Sämtliche, wirklich sämtliche Einzelregelungen klassischer Systeme, die in irgendeiner Weise situative, motivatorische oder auch taktische Faktoren qualifizieren und quantifizieren, sind Ausdruck des Vorteilsprinzips, das in DFDM radikal aufs Wesentliche reduziert wird.
DFDM verzichtet nämlich gänzlich auf Qualifizierung und Quantifizierung der Vorteile und macht es binär. Egal woher ein Vorteil kommt und egal wie er sich im Einzelnen darstellt, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder es ist ein (erheblicher) Vorteil, dann ein Würfel Abzug für den Gegner, oder es ist keiner. Fertig. Das ist auch kein
Mehr an Wischi-Waschi-SL-Urteil gegenüber detaillierteren Systemen, sondern ein
Weniger! Einige Regeln machen in diesem Zusammenhang kaum Sinn, so sind z.B. Ressourcen (Energieverbrauch und Kristalle) die vom Faktor Zeit abhängen recht witzlos, wenn es keine Klarheit darüber gibt wie Zeit zu verlaufen hat. In einem Konflikt könnte es viel zu schnell sein in einem anderen viel zu langsam.
Dieser Part ist in der Tat derjenige, bei dem ich mir selbst am Unsichersten war. Das müsste dann das Testspiel erweisen, inwieweit das funktioniert oder auch nicht.
Puh. Ist jetzt etwas länger geworden, aber das wollte ich noch mal loswerden. Soll nicht heißen, dass ich der Meinung bin, zu Unrecht nicht in die Endrunde gekommen zu sein, ehrlich nicht. Ich denke, „Am Scheideweg“ ist zu Unrecht nicht in die Endrunde gekommen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Ich erwarte jetzt auch keine Diskussion oder so was. Ich wollte nur mal zeigen, dass ich mir schon was dabei gedacht habe, als ich DFDM so gemacht habe, wie ich es eben gemacht habe.