"Zwergenbier..." Nachdem Tsawulf den Becher wieder abgesetzt hat, schluckt er nicht sofort das Gebräu hinunter. Bedächtig, mit geschlossenen Augen, genießt er den Geschmack, und es erscheint, als würden seine Gedanken weit entfernt weilen, als wären sie auf Streifzügen in kalten nördlichen Öden.
"Das Zwergenbier", beginnt er nach einer Weile, "erinnert mich an einen guten Freund... Roglom, Sohn des Fux, war sein Name. Er war ein Brillantzwerg, und von all unseren Freunden war er der aufgeweckteste, der lebhafteste. Er hatte immer einen Scherz auf den Lippen, wie schlecht das Wetter auch sein mochte, wie gefährlich auch die Wägnisse unserer Wanderungen. Jetzt ruht er bei seinen Ahnen. Wie so viele meiner Freunde."
Ein Anflug von Bitterkeit macht sich der Miene des Bronnjaren breit, der jedoch sogleich wieder verschwindet, als er an seiner Pfeife zieht und eine Reihe kleiner Wölkchen ausstößt.
"Aber, Freund Yaro, ich habe Eure Frage noch nicht beantwortet. Wieso ich die Heimat verlassen habe, fragtet Ihr. Nun, es ist eine lange Geschichte. Und sie hat entfernt mit dem Sphärenschänder zu tun, doch das wusste ich damals noch nicht, und auch heute bleibt mir vieles verschlossen. Ihr müsst wissen, die hohe Politik ist nicht gerade das, woran ich Gefallen finde... Aber zurück zu meiner Geschichte. Nun, wo fange ich an?"
Tsawulf lehnt sich zurück und pafft an seiner Pfeife. Die grünen, ernsten und auch etwas grausamen Augen blicken nachdenklich und verloren an seinem Gesprächspartner vorbei, und selbst im warmen, flackernden Feuerschein des Kamins erscheint sein Gesicht so bleich, als wolle es Yaro daran erinnern, dass im Bornland die Sonne nur selten scheint.
"Es gibt Zeiten, da ist man erfüllt, ja besessen vom Willen, göttergefällig zu leben und das Richtige zu tun. Und es gibt Zeiten, zu denen man den Göttern hadert, zu denen einem Recht und Unrecht gleich sind. Ich habe beide durchlebt, und für die letzteren schäme ich mich nicht selten. Es war in den Jahren nach meiner Kriegerausbildung in Neersand. Ich wollte in die Welt hinaus, in den Süden fahren, zu den Waldinseln, und Abenteuer erleben. Aber mein älterer Bruder Vitoje lag krank darnieder, und mein Vater, ein harter und kompromissloser Mann, beorderte mich zurück. Ich sollte das Gut meiner Familie zu führen lernen. Dann geschah es..." Tsawulf hält kurz inne, als würde ein tief sitzender Schmerz plötzlich wieder auflodern.
"Nun ja, das ist ein Teil der Geschichte, den ich Euch später vielleicht einmal erzähle. Wenn ich Euch besser kenne. Wie dem auch sei, es folgte eine dunkle Phase meines Lebens. Alles war mir gleich. Irgendwann rief uns Graf Uriel von Notmark zu den Waffen. Er war der Lehnsherr meiner Familie. Mein Vater nahm seinen Flügelpanzer, ich mein Kettenhemd und wir folgten dem Ruf. Und ich tat Dinge, die mich seitdem in meinen Träumen verfolgten. An der Seite von Goblins und Söldner focht ich beim Gasthaus zu Ochs' und Eiche gegen die Gräfin von Ilmenstein, tötete tapfere Männer und Frauen. Einige Zeit später zog ich mit einem Heerhaufen den Walsach hinab, mordend und sengend. Schließlich kamen wir zu einem kleinen Städtchen, und Graf Uriel, die alte Warzensau, befahl, sämtliche Einwohner über die Klinge springen zu lassen."
"Und Rondra hilf! Da erst wurde mir des Unrechts bewusst, das ich begangen hatte und das vor meinen Augen geschah. Ich konnte diesen Feldzug nicht weiter begleiten, das wusste ich. Mein Vater verbot mir selbstverständlich die 'feige Flucht', wie er es nannte, doch ich ließ mich nicht beirren, nicht mehr. Er schalt mich einen Feigling, und er sagte... er beleidigte SIE... und so schlug ich ihn nieder... und floh!"
"Tja, und jetzt sitze ich hier, ein Deserteur, der den Vater geschlagen und sein Erbe für immer verloren hat." Der Bornländer lacht bitter. Dann zwinkert er Yaro zu: "Ihr habt die seltene Fähigkeit, Menschen mehr erzählen zu lassen, als sie eigentlich wollen. Ich glaube, jetzt werde ich auch einmal ein genüssliches Bad nehmen. Was haltet Ihr davon, wenn wir uns anschließend wieder zu einem kleinen Wettschießen mit dem Bogen treffen? Ich habe gesehen, dass das Gasthaus draußen im Apfelhain einige Strohscheiben stehen hat. Und dann erzählt Ihr mir, was Ihr so alles in der Akademie und der Gilde getrieben habt, dass man Euch beinahe rausgeschmissen hat."
Tsawulf erhebt sich und verstaut sorgsam seine Pfeife. Er nickt Yaro zu und verschwindet durch den Perlenvorhang im hinteren Bereich des Schankraums. Jostik schmunzelt ob der überraschenden Eile, die Tsawulf dabei zeigt und die in einem erstaunlichem Gegensatz zu der entspannten Ruhe steht, mit der er einige Stunden später das Bad wieder verlässt.