So, nach einem Tag zum Sichten – wobei ich durch meine Rollenspielrunde nicht sooo viel Zeit hatte – kann ich ein erstes Statement abgeben:
Erfreulicherweise wurden das allzu komplizierte Kampfsystem und die Energiekostenregelung für den Raumschiffkampf, die noch im Vorab-PDF der amerikanischen Ausgabe zu sehen waren, nicht umgesetzt. Das Kampfsystem ist nun schön glatt; es ist nichts besonderes, was aber in diesem Fall gut ist, weil bewährte und eingängige Konzepte verwendet wurden und keine angeblich tolle und innovative Idee, die sich nach einem halben Jahr Spielpraxis als vollkommener Fehlgriff erweisen würde. Bei Autos experimentiert ja auch keiner mit dreieckigen Rädern, sondern bleibt bei runden.
Alles in allem schließt das neue Traveller an die ursprüngliche Ausgabe an, sowohl was die Charaktererschaffung angeht als auch in Hinblick auf die universelle SciFi-Tauglichkeit:
Uns werden zwei Charaktererschaffungssysteme angeboten: als Alternative ein Punktevergabesystem, wie am es heutzutage aus vielen Spielen kennt, aber als Grundmodell kommt eine Lebensweg-Entwicklungs-Würfel-Version daher. Ich bin ja eigentlich kein Freund vom Auswürfeln der Charaktererschaffung, aber hier wirkt es nicht wie eine Störung, sondern ist in sich stimmig, da – wie schon in der ursprünglichen Traveller-Version - der Lebensweg eines Charakters mit all seinen Höhen und Tiefen entsteht. Zwar behält der Spieler auf diese Weise nicht die 100%ige Kontrolle über das Wertegerüst, dafür erhält man eine wendungsreiche Hintergrundgeschichte; Nach dem Auswürfeln der Attribute und der Auswahl einiger grundlegender Fertigkeiten nach Heimatwelt wie Null-G, wenn man von einem Asteroiden stammt, beschreitet man mehrere Dienstperioden à 4 Jahren in diversen Karrieren wie Händler, Scoutdienst, Planetare Streitkräfte etc., muss via Attributsprobe die Aufnahmeprüfung schaffen, den Dienst unversehrt überstehen (Fertigkeits- oder Attributsprobe), sich um Beförderungen bemühen und kann über Zufallsereignisse (die recht allgemein gehalten sind, für die Kreativität eher eine Hilfe als ein Hindernis) Entscheidungen treffen. Bei all diesen Schritten sammelt man teilweise beeinflussbare Fertigkeiten. Für jede erfolgreich überstandene Dienstperiode erhält man gewisse Abfindungen. Aber Vorsicht: man kann im Dienst verwundet werden und auch irgendwann altern (für alle, die gerade mit 10 Dienstperioden liebäugeln). Ich halte das für ein spannendes Konzept.
Und wem das nicht zusagt, erhält ja mit dem alternativen Punktevergabesystem die volle Kontrolle über das Wertegerüst.
Positiv fällt zudem auf, dass es zahlreiche Konstruktionsregeln gibt, mit denen man sein eigenes SciFi-Universum als SL füllen kann: Zufallsbegegnungen mit modularen Tierwerten fremder Planeten, Planetenkonstruktionsregeln (vom Atmosphärentyp über Wirtschaftsform bis hin zum Justizgrad, wobei die Werte von einander abhängig sind, so dass Asteroiden mit hochdichter Atmosphäre oder Anarchien mit hohem Justizgrad nicht entstehen können), Schiffskonstruktionsregeln (die sehr schön Masse und Volumen mit der Verdrängungstonne als Kombiwert darstellen. Da weiß man endlich, wie viele Bodenkästchen auf dem Lageplan für den 45 Tonnen schweren Antrieb einzukalkulieren sind).
Zusammen mit mehreren alternativen Konzepten zu Reaktortechnologie und Interstellaren Reisen (Sprungantriebe als Standard wie bei StarWars, Nullzeitsprünge wie bei Battletech, Warpantriebe wie bei StarTrek, Hyperraumportale wie bei Babylon 5) lassen sich so eigentlich nahezu alle SciFi-Universen zwischen den Sternen simulieren und Eigenkreationen ist hier keine Grenze gesetzt. Dennoch existiert ein gut ausgearbeitet Default-Setting, auch wenn dieses im GRW nur angerissen wird.
Über diverse Zufallstabellen sollte es auch mit Kopfschmerzen einem unerfahrenen SL gelingen, den Abend sinnvoll zu füllen, zudem geben diese Tabellen einen schönen Eindruck davon, wovon eigentlich die Szenarien handeln könnten.
Ein schönes Grundhandlungsmuster wurde sogleich regeltechnisch unterfüttert: Handelsreisen! Damit man einen plausiblen Grund hat, überhaupt in einem Raumschiff mehrere Lichtjahre weit zu reisen, wird den Charakteren der ehrliche und auch unehrliche Profit vor die Nase gehalten. Mit einem zwar tabellenlastigen, aber dennoch eingängigen System kann man z.B. im Asteroidengürtel von Ceres 7 Basis-Erze günstig einkaufen und auf dem Industrieplaneten Zargos 3 mit einem ordentlichen Profit verkaufen. Wenn man sich dann noch auf illegale Geschäfte einlässt, sollte es schon ohne Plotideen abenteuerlich werden. Ansonsten dienen die Handelsreisen als Vorwand, die Charaktere ins Abenteuer zu schmeißen (der Passagier in Kabine 2 ist ein imperialer Agent, der auf der Flucht vor einem Verbrechersyndikat ist, das ...).
Abgerundet wird das ganze noch durch zwar sehr schlichte, aber dennoch funktionale Regeln zu Computern und Cyberware, auch wenn eine Shadowrun-mäßige Hochrüstung erkennbar nicht vorgesehen ist. Doch so was:
http://images.wikia.com/starwars/images/4/47/Lobothead.jpg ist definitiv möglich.
Insgesamt also lassen sich mit diesem Spiel wunderbar Szenarien durchspielen, wie ich sie damals am Commodore 64 beim Spiel „Elite“ lieben gelernt habe, dennoch sind Babylon 5 und StarWars ebenso abgedeckt.
Nach all diesen Lobeshymnen nun aber einige Kritikpunkte:
Unangenehm fallen, neben kleineren typographischen Ungenauigkeiten, die Tabellen auf, die – vermutlich aus gründen der Platzökonomie – nur selten da sind, wo ich sie vermuten würde; man muss schon mal eine oder zwei Seiten vor oder zurückblättern, was besonders ärgerlich ist, wenn die Tabelle auf Seite X Daten voraussetzt, die auf der Seite X+2 zu finden sind, wobei die Erläuterung zur X+2 Tabelle auf Seite X-1 steht.
Zur Weltraumbegegnungstabelle auf Seite 156 konnte ich bisher die WM-Modifikatorenliste – die offensichtlich vorausgesetzt wird – bisher nicht finden, doch aufgrund des Tabellengewusels bin ich mir nicht sicher, ob sie fehlt oder ob ich sie übersehen habe.
Die Übersichtlichkeit lässt hier ein wenig zu wünschen übrig.
Ärgerlich ist zumindest für mich, dass für interplanetare Reisen zwar eine Tabelle für Reisezeiten nach Schubkraft der Triebwerke und Entfernungen vorliegt, aber nicht die Formel, mit der die Tabelle erstellt wird. So bleibt für mich nur zu schätzen, wie lange mein Schiff mit Schub 3 für 200 Mio. km unterwegs ist, wird aber zwischen 39,2 Stunden (150 Mio. km) und 51,2 Stunden (255 Mio. km) sein.
Insgesamt bin ich aber von diesem Spiel sehr angetan, v.a. weil es nicht an einen Hintergrund gekoppelt, sondern darauf ausgelegt ist, auf selbsterstellte Hintergründe zu passen.