Prinzipiell stimme ich
Eulenspiegel hinsichtlich der Bezeichnungen "Hauptfigur" und "Nebenfigur" zu, habe in diesem Zusammenhang allerdings auch schon die nicht ganz unberechtigte Kritik gehört, daß diese Begriffe dem lockeren Sprachgebrauch des englischen Originals nicht genügend Rechnung trügen.
Daß beim Begriffspaar "Wildcard" und "Extra" - wie von
Enpeze behauptet - eine "geniale Wortneuschöpfungskraft" zum Ausdruck käme, verschließt sich mir hingegen gänzlich, da die beiden Begriffe aus unterschiedlichen Sachbereichen (Kartenspiel bei "Wildcard" und Theater bei "Extra") stammen, was ich als eher unschön empfinde.
Versucht man im Deutschen das Begriffspaar einheitlich aus einem dieser Sachbereiche herzuleiten, wäre beispielsweise
Trümpfe & Luschen oder
Stars & Statisten möglich. Ersteres ist für meinen Geschmack zu abstrakt und zweiteres kann die Immersion hemmen, da die handelnden Figuren sprachlich zu Schauspielern gemacht werden.
Mischt man wie im Original die Sachbereiche, ist auch
Asse & Normalos denkbar, womit der Spielkartenbezug von "Wildcard" erhalten bleibt und gleichzeitig ein Wort gewählt wird, das im übertragenen Sinn auch besondere Befähigung zum Ausdruck bringt (Sport-As, Flieger-As). Jedoch ist die Bezeichnung "As" nicht unproblematisch, denn dann müßte man einige andere Begriffe umbenennen und zudem könnte es beim Spiel zu Mißverständnissen kommen (bei der Initiativebestimmung durch Spielkarten beispielsweise).
Passende Bezeichnungen zu finden, ist also tatsächlich nicht einfach, aber deswegen die Originalbegriffe beizubehalten, halte ich dennoch für eine denkbar schlechte Idee. Die Bezeichnung "Wildcard" ist im Deutschen als Lehnwort nicht allgemein etabliert und wie die hiesige Suche nach einem passenden Artikel zeigt, fügt es sich nichtmal problemlos in die deutsche Syntax ein. Der Begriff "Extra" ist sogar irreführend, da man hierzulande damit gemeinhin etwas besonderes assoziiert (extralang, -groß, -breit, Extraausgabe, jem. eine Extrawurst braten, eine Extraeinladung brauchen etc.).
Auch der Hinweis, daß man jedes Wort erst mit Bedeutung füllen müsse, verfängt nicht, denn statt einer englischen Worthülse kann man dann ebensogut eine deutsche wählen, beispielsweise den Begriff
Daus (meist nur noch bekannt aus der Redewendung: "Ei der Daus!"). Dabei handelt es sich um eine alte Bezeichnung für die höchste Karte beim Kartenspiel und wurde früher auch im übertragenen Sinne als "Teufelskerl" oder "Feiner Kerl" verstanden, womit einerseits der Kartenbezug von "Wildcard" gewahrt bliebe und andererseits auch die übertragene Bedeutung passen würde.
Aber statt halbvergessene Worte zu reaktivieren bzw. neue Lehnworte zu etablieren (beides für den Leser nicht sonderlich
fast, furious, fun), wäre es meines Erachtens sinnvoller, im gängigen Wortschatz nach passenden Bezeichnungen zu suchen. Im Kern werden Leute mit besonderer Befähigung bei "Savage Worlds" als "Wildcard" und Leute ohne besondere Befähigung als "Extra" bezeichnet. Eine moralische Wertung findet nicht statt, weswegen Begriffe wie "Protagonist" oder "Held" ausscheiden, da "Wildcards" auch "Antagonisten" oder "Schurken" sein können. Mittels eines Wörterbuches für Synonyme müßte also nach passenden wertfreien Befähigungsbezeichnungen gesucht werden. Im Umfeld folgender Wörter könnte sich beispielsweise etwas finden: Könner, Teufelskerl, Waghals, Glücksritter, Tausendsassa, Abenteurer, Hasardeur, Draufgänger, Himmelhund, Macker, Haudegen bzw. Banause, Knilch, Schlaffi, Blindgänger, Weichei, Pfeife, Gemeiner, Weichling, Niete.
Sollte man nicht fündig werden, bleiben neben Wortneuschöpfungen noch Vorsilben wie "super-", "riesen-", "mords-". Gerade "mords-" kann neben Größe (ein Mordskerl), auch Qualität (ein Mordsfilm) oder Befähigung (ein Mordsangler) zum Ausdruck bringen. Statt "Wildcard" und "Extra" würde im Regeltext dann beispielsweise von "Mordscharakteren" und "Mickercharakteren" gesprochen werden, wobei der zweite Wortteil "-charaktere" nur als Platzhalter fungieren würde und im Spiel der Figur entsprechend aufgelöst werden müßte, z.B. Mordsdrache, Mordskampfroboter, Mordsprivatdetektiv für "Wildcards" bzw. Mickerbäcker, Mickertaxifahrer, Mickergangster für "Extras". Wo die Vorsilben nicht passen, könnte man sich mit den Adjektiven "mordsmäßig" und "mickerig" behelfen.
"Der Ritter kämpft mit dem Orkhäuptling und sieben Orkkriegern, um die Prinzessin zu befreien."
In aktuell angedachtes Regelsprech übersetzt lautet obiger Satz bestenfalls:
"Der Wildcard-Ritter kämpft mit dem Wildcard-Orkhäuptling und sieben Extra-Orkkriegern, um die Extra-Prinzessin zu befreien.",
und schlimmstenfalls:
"Der/ die/ das Ritter-Wildcard kämpft mit dem/ der Orkhäuptling-Wildcard und sieben Orkkrieger-Extras, um den/ die Prinzessin-Extra zu befreien.".
Nach zuvor vorgestellter Methodik lautet der Satz in Regelsprech dann:
"Der Mordsritter kämpft mit dem Mordsorkhäuptling und sieben mickerigen Orkkriegern, um die Mickerprinzessin zu befreien."
Klingt meiner Meinung nach alles zusammen behämmert. Wenngleich ich mit keiner adäquaten Übersetzung für das Wildcard/Extra-Problem aufwarten kann, wird aus meinen Ausführungen hoffentlich dennoch klar, daß die deutsche Sprache auf der Suche nach einer Lösung viele Wege bereithält, die man beschreiten und erkunden kann. Durch einige brillante Geister v.a. im 18. Jahrhundert hatten die Deutschen zeitweilig den Ruf als "Volk der Dichter und Denker" inne und im 19. Jahrhundert war Deutsch in vielen Disziplinen internationale Wissenschaftssprache. Wenn es einem nicht gelingt, einen Sachverhalt im Deutschen präzise, griffig und schön zu benennen, dann liegt das somit weniger an der Sprache, sondern vielmehr am Sprecher.
Gerade Rollenspielverlage können sich keine erfahrenen Diplomübersetzer (sofern es überhaupt welche mit Sachkenntnis im RPG-Bereich gibt) leisten und müssen auf Enthusiasten zurückgreifen, die mangelndes Können mit (hoffentlich vorhandenem) Talent auszugleichen versuchen, was oftmals leider nicht allzugut gelingt, wie man an der mannigfachen Kritik an so ziemlich jeder Übersetzung von so ziemlich jedem RPG-Verlag sehen kann. So bleibt mir nur zu hoffen, daß der Prometheus-Verlag doch noch eine bessere Lösung findet, als zentrale Begriffe einfach nicht zu übersetzen, was ich zumindest bei Regelbegriffen für sehr problematisch halte (Anglizismen wie "Shadowrunner" lasse ich nicht als Gegenbeispiel gelten, da diese zum anglophon geprägten Kampagnenhintergrund passen). Denn letztlich sollte alles, was an der englischen Version
fast, furious, fun ist, auch in der deutschen Ausgabe
flott, fetzig, fesselnd rüberkommen.