Wenn es nur um verschrobene Charaktere geht kann ich das die Hindrances auch in meinen Hintergrund schreiben und anschließend Bennies für gutes Rollenspiel kriegen!
Stimmt. Und es gibt ja auch Spieler, die ihre Charaktere ohne Hindrances konzipieren und spielen - wenn auch nicht sehr viele in den Runden, die ich kenne.
Warum also Hindrances?
Hindrances sind aber knall harte Währung mit der ich mir Boni (z.B. Edges) kaufen kann. Diese Boni werden bestimmt im Spiel zum tragen kommen!
Hindrances sind zunächst einmal nicht gleich Hindrances. - Es GIBT die "knallharte Währung" wie Blind, Bad Luck, One Arm, usw. - Und es gibt die "weichen" Hindrances, deren Effekt einzig und allein im Ausspielen liegt, die aber nicht direkt irgendeinen Spielwert betreffen.
Die HARTEN Hindrances sind "Always On"-Hindrances und solche mit harten regeltechnischen Effekten. Obese ist "always on" und hat harte Regeltechnikeffekte. Phobia ist nicht "always on", hat aber in Gegenwart des Gegenstands der Phobie, also bei einem wohldefinierten Auslöser, harte Regeltechnikeffekte.
Die WEICHEN Hindrances sind einzig und allein durch FREIWILLIGES Ausspielen durch den jeweiligen Spieler in ihren Wirkungen und in ihrer Intensität bestimmbar.
Hier findet sich das Hauptproblem bei den SW-Hindrances: Sie sind NICHT gleichwertig. Auch die Minor/Major-Abstufung bietet keinen echten gleichen "Wert" der einzelnen, so mit 1 oder 2 Punkten bewerteten Hindrances IM SPIEL, sondern nur bei der Charaktererschaffung.
Jemand, der Elderly als Nachteil hat, dessen Attribute Strength und Vigor sind "eingefroren" und nie mehr steigerbar, außerdem hat er eine geringere Bewegungsweite. "Dafür" bekommt er einige (wenige) Skillpunkte mehr bei der Charaktererschaffung. - WANN bekommt er aber Bennies für das Ausspielen bzw. die AUSWIRKUNGEN dieser Hindrance IM SPIELVERLAUF?
Jedesmal, wenn er einen Strength- oder Vigor-Wurf nicht schafft? Jedesmal, wenn es ihm aufgrund seiner geringeren Bewegungsweite nicht gelingt vor etwas davon zu laufen oder rechtzeitig zu etwas hin zu gelangen? Jedesmal, wenn er als Alter Sack (tm) bei Nachforschungen in Jugendtreffs massig Abzüge auf sein Streetwise bekommt? Jedesmal, wenn er sich versucht als Armee-Angehöriger auszugeben, obwohl er offensichtlich wie jenseits des Rentenalters aussieht?
Hier gibt es SOWOHL harte Kriterien (Bewegungsweite), ALS AUCH weiche Kriterien wie "mangelnde Sportlichkeit für einen Soldaten in aktivem Dienst".
Viele SW-Hindrances sind problematisch auszuspielen und machen es dem Spielleiter auch nicht leicht zu bewerten, ob sie sich in der aktuellen Situation als Nachteil erwiesen haben und ob das einen Bennie wert war. - Gefühlssache. Wie üblich bei der Bennie-Vergabe. - Aber immerhin gibt ein vorhandener Nachteil dem Spielleiter deutlich mehr HINWEISE, daß er jetzt einen Bennie vergeben sollte, als etwas, was irgendwo in der Charakterhintergrundgeschichte geschrieben steht und von dem der Spieler hofft, daß es als "gutes Rollenspiel" irgendwelche Belohnungen einfahren könnte.
Somit: Existiert ein Nachteil, dann ist das ein HINWEIS (leider nicht mehr - keine "Keys", um sich die Bennies SELBST abzuholen in SW) für den Spielleiter einen Bennie zu vergeben.
Und existiert ein Nachteil, so ist auch üblich, daß man als Spieler den Spielleiter, der sich von vielen Spielern die jeweiligen Nachteile eh nicht merken wird und nicht ständig auf deren Wirkung ein wachsames Auge haben kann, darauf hinweist: "Schön, die Reifen von dem Arschloch, daß mir den Parkplatz weggeschnappt hat, habe ich zerstochen. Bekomme ich jetzt einen Bennie für meine Minor Hindrance "Vengeful"?" - Das ist normal und klappt bestens. Die Spieler achten SELBST auf ihre Edges UND ihre Hindrances. Wenn es nach Spielermeinung einen Bennie geben sollte, dann ist das meist auch so (außer bei gestörten Spielern, und solche habe ich nicht in meinen laufenden Runden - Cons sind da eine andere Sache...).
Es bleibt auf jeden Fall im ERMESSEN DES SPIELLEITERS einen Bennie für IRGENDWAS zu vergeben. - Das ist ein SW-Grundprinzip, welches dem Spielleiter ein Belohnungsinstrument in die Hand gibt, um durch positives und SOFORTIGES Feedback das im Spiel zu fördern, was er selbst gerne dort sehen möchte. Bei Kampagnenspiel erfolgt recht bald ein "Einschwingen" der Gruppe auf eine Spielweise. Bei diesem Einschwingvorgang ist die Art der Bennie-Vergabe ein wichtiger Einflußfaktor für den Spielleiter.
Warum also soll es dem Spieler frei stehen seine Hindrances auszuspielen
Das hatte Shane Hensley mal im Pinnacle-Forum (vor Jahren!) erläutert. - Sinngemäß ist es so: Ein Spieler kann bei Charaktererschaffung in SW (oder auch in Deadlands) nach Belieben Charaktererschaffungspunkte für gewählte Nachteile erhalten. (Nach Belieben heißt: in den vom Regelsystem gesetzten Grenzen - maximal 4 Punkte bei SW, maximal 10 bei Deadlands Classic.) - Diese Punkte kann er nach Lust und Laune für Attribute, Skills und Vorteile verwenden. Das ist so gedacht und gewollt. Es interessiert KEINEN, ob er jemals einen dieser Nachteile ausspielen wird.
Soweit, so Shadowrun oder Vampire oder andere Spiele, wo man sich Nachteile wählt, die im Spiel sowieso NIE zum Tragen kommen werden, um mehr Charakterbastelpunkte zu bekommen. - Diese Art des weitverbreiteten Umgangs mit Nachteilen bei Charaktererschaffung ist Shane Hensley bekannt und diese Art will er auch nicht verdammen oder unmöglich machen. Manche Spieler WOLLEN ihre Nachteile möglichst schnell ignorieren und mit ihrem Charakter auch OHNE Ausspielen der Nachteile Spaß haben. Und das ist OK.
Nun hätte man aber gerne, daß die SW-Nachteile sich auch im SPIELVERLAUF auswirken. Und zwar sowohl die harten, regeltechnischen als auch die weichen, ausspielbedürftigen. - Was tun?
Man gibt BELOHNUNGEN für das Ausspielen.
SW setzt bei Belohnungen ganz "old school"-ig auf die Entscheidungsfähigkeit des Spielleiters. Aber es gibt dem Spielleiter ein SIGNAL "Hier habe ich etwas ausgespielt, was eine Belohnung geben sollte." Das sind die Hindrances. Und zwar die Hindrances in ihrer Wirkung im SPIELVERLAUF.
Die Spieler SOLLEN ihre Nachteile ausspielen. Sie SOLLEN ihre Charakter-Handicaps zum Tragen bringen. Sie SOLLEN aktiv entlang der Schwächen der Charaktere spielen. - Das sollen sie zunächst einmal ohne mehr XP oder Bennies erwarten zu können. Aber ein "Soll" ohne Anreiz, bzw. mit dem Anreiz "wie schön es doch ist, es einfach zu tun", ist ein schwaches Soll. - Daher gibt es BELOHNUNGEN. - Und zwar keine Belohnungen irgendwann später, wenn sich vielleicht schon die Hälfte der Mitspieler nicht mehr an die Szene erinnert hat, sondern SOFORT. Daher auch kein Belohnungen durch mehr XP für ausgespielte Hindrances, sondern durch eine an sich schon ausgesprochen volatile Resource, durch Bennies.
Die Spieler SOLLEN ihre Nachteile ausspielen. Die Spieler KÖNNEN dafür Belohnungen im Spielverlauf in Form von Bennies bekommen. Die Spieler DÜRFEN aber alle ihre Hindrances ohne feste regeltechnische Effekte einfach ignorieren, wenn sie das wollen. - Konsequenzen des Ignorierens: Man bekommt unsicherer und seltener Bennies. Da Bennies aber wichtig, nützlich, und begehrt sind, verzichtet man auf dieses Einfahren von Bennies, muß aber seinen Charakter keinen Einschränkungen im Spielverlauf unterwerfen.
Außer...
Die Spielleiter werden nicht von wirklich jedem Charakter die individuellen Ausprägungen der Hindrances des Charakters ständig präsent haben. Aber manche Hindrance manch eines Charakters ist DIREKT EIN PLOT-HOOK (Enemy/Wanted/Vow z.B.).
Somit wird ab und an auch der Spielleiter auf die Idee kommen eine Hindrance eines Charakters GEZIELT ANZUSPIELEN. Egal ob der Spieler das selbst normalerweise nicht ausspielt oder ob er damit regelmäßig Bennies scheffelt: wenn es paßt, wenn man so z.B. einen Charakter mitten rein ins Szenario ziehen kann, dann wird auch ein Spielleiter die Hindrances verwenden. - Und ggf. Bennies dafür vergeben.
Daher ist es schon so, daß man einen Spieler NICHT ZWINGEN wird seine Hindrances auszuspielen. Man ERWARTET es und BELOHNT das Ausspielen, und man STÖSST diese Hindrances direkt im Szenario AN (ohne daß sie ausgespielt werden müßten).
Beispiel: Ein Charakter mit Bad Luck hat nicht nur den regeltechnischen Nachteil von einem Bennie weniger bei Spielsitzungsbeginn, sondern er hat PECH. - Läuft er dem Schurken hinterher, dann flüchtet dieser mit dem letzten Taxi am Taxenstand. Oder er verpaßt einen wichtigen Informaten um 5 Minuten, weil er erst noch dringend Tanken mußte, und dieser Informant wurde leider ohne seine Information weiterzugeben umgebracht. - Das passiert REIN NACH SPIELLEITERENTSCHEID mit Bad Luck Charakteren. Das ist NICHT REGELTECHNISCH fixiert und somit willkürlich zur Szenariengestaltung entschieden worden.
Es ist schon ein Unterschied, ob man Hindrances NUR zur Charaktererschaffung nimmt und nachher JEDER in der Runde sie vergißt (die Spinatallergiker und Leute mit Phobie vor Chili-Schokoladensauce wissen, daß sie gemeint sind), oder ob man Hindrances bei Charaktererschaffung UND im Spielverlauf (und damit zwangsläufig UNTERSCHIEDLICH) einsetzen will.
Die Umsetzung OHNE ZWANG ist eine bewußte Entwurfsentscheidung, die Shane Hensley kürzer und treffender als ich dargelegt hatte (ich KANN NICHT kurz!). - Das ist so gewollt, um nicht ständig Druck auf die Spieler auszuüben, daß sie von ihren Hindrances, selbst wenn es dem Spieler gerade überhaupt nicht in den Kram paßt, ausgebremst werden. Das erlaubt ein lockeres, zwangloseres Spielen.
Daher eben der Belohnungsmechanismus. Und zwar BELOHNUNG SOFORT! - Nicht später einmal bei Sitzungsende oder gar Szenarienende irgendwann einmal durch XP für "gutes Rollenspiel". Die kann es zusätzlich eh noch geben. Die Bennies hingegen sind sofort vergeben und sofort nützlich für den Spieler (und sind im Gegensatz zu den XP, die ja den Charakter direkt aufwerten, eine reine SPIELER-Resource!).
Wer seine XP für ausgespielte Hindrances selbst abholen möchte, der muß ein bestimmtes anderes Spiel spielen.
Wer gezwungen werden will, seine Hindrances auszuspielen, der muß in andern Rollenspielen auf "Goldgier" würfeln und ggf. den Charakter einer "Zwangshandlung" unterwerfen, oder "Fear Dragons" als Behinderung bei seinen Handlungen rund um Drachen in die Konflikte einbeziehen.
Wer Spaß daran hat Hindrances auszuspielen, der kann sich auch in SW mehr Hindrances aufschreiben, als ihm Punkte bei der Charaktererschaffung einbringen werden. Das habe ich in meinen Runden schon immer mal wieder erlebt.
Reines Hausregel-Territorium, von mir aber grundsätzlich (und schon seit DL Classic so praktiziert):
Man kann sich Hindrances auch ERSPIELEN: Einen Feind (Enemy) zu einem wirklich geschworenen Widersacher zu machen, trägt einem SC diese Hindrance ein. Ein Verbrechen in einem Bundesstaat zu begehen, für das man gesucht wird und vor dem man nun im Spielverlauf geflohen ist, trägt einem Wanted(in <Bundesstaat> für <Verbrechen>) ein.
Das geht auch mit Edges: Sich einen Adelstitel zu erspielen und ein Lehen zu bekommen trägt einem Noble als Edge ein. Sich mit der örtlich dominanten Mafiafamilie gut zu stellen trägt einem Connections als Edge ein.
Und Skills: Nach 6 Wochen ständiger Seefahrt im Great Maze hat jeder Charakter kostenlos d4 Boating bekommen und kann sich Area Knowledge (Great Maze) zu seinen Common Knowledge Stichworten hinzuschreiben.
Und Powers: Der gerettete Großmeister der Alchimistengilde lehrt einem SC ein neues Rezept (Power).
Ich halte sehr viel davon im Spielverlauf solche Änderungen des Charakters aufgrund der Umstände in der Spielwelt mittels Spielwerten (Edges/Hindrances, Skills, Powers - Status, Fame, Sanity) zu festigen. - Über die Level-Ups haben die Spieler SELBST die alleinige Kontrolle dessen, was sie wirklich für ihren SC verbessern wollen. Durch solche Spielverlaufs-Effekte hat der Spielleiter die Möglichkeit über Bennies (rein situative Spielerbelohnung) und XP (abenteuerunabhängiges SC-Kompetenzmaß) eben auch ABENTEUERABHÄNGIG positive wie auch negative Effekte auf die SCs loszulassen.
Die Negativen stellen sich als gängige Hindrances dar (siehe Enemy (für das Verärgern mächtiger Organisationen oder Individuen - A-Team), Wanted (für das Begehen von Verbrechen, oder das in die Schuhe geschoben bekommen eines Verbrechens, was andere begangen haben - Dr. Kimble läßt grüßen), Bloodthirsty (für die Spieler, die jeden Gefangenen umbringen und eine Blutspur durchs Land ziehen - der Effekt plötzlich als Bloodthirsty zu gelten, ist für manche Spieler ernüchternd), usw.).
Und diese Hindrances müssen die SCs nicht einmal selbst ausspielen. - Den Zwang dazu gibt es nicht.
Aber wenn sie es ausspielen WOLLEN, dann haben sie mehr Gelegenheit ihre Bennies zu bekommen.
Und wenn man als Spielleiter einen Szenario-Aufhänger braucht, dann hat man hier mit diesen Hindrances jede Menge zur Auswahl.
Ich komme mit dieser Art des Umgangs mit SW-Hindrances klar. - Meine Spieler ganz offensichtlich auch.