So, vielen Dank für die Kommentare! Das hat mir viel gebracht und neuen Input gegeben. Insbesondere ist mir währenddessen aufgefallen, dass wir in unserer Stammrunde über die Jahre eine sehr grosse Bandbreite von "offenerem Rollenspiel" beobachten konnten. Habe daraufhin noch einmal ein wenig nachgedacht und würde meine Beobachtungen gern präzisieren:
Mein Leitstil entwickelt sich scheinbar nicht nur gruppenspezifisch, sondern auch und vielleicht sogar vor allem system-/settingspezifisch. Das obige Experiment habe ich im Zuge der Borbaradkampagne durchgeführt, wo das Geschehen bislang recht stark entlang der von mir vorausgeplanten Plotlinie (die allerdings vom offiziellen Faden erheblich abweicht) verlief. Wir hatten allerdings in der Vergangenheit auch schon andere Konstellationen.
Beispielsweise haben wir jahrelang Vampire gespielt und da, so fiel mir nun retrospektiv auf, lief die Spielleitung vollkommen anders. Es gab ein bis ins kleinste Detail vorbereitetes Setting (eine Stadt), in dem die Charaktere und die NSCs miteinander, nebeneinander und gegeneinander agierten. Ohne Plot, ohne Vorgaben und ohne Manipulationen der Spieler durch den SL. Ich hatte immer ein paar Intrigen, Plothooks und Geschehnisse parat, die in der Stadt abliefen und die ich ad hoc aus dem Hut zaubern konnte, aber die SCs konnten immer völlig frei wählen, was sie zu unternehmen gedachten. Selten hatte ich ein klassisches Abenteuer vorbereitet; und wenn, dann fügte sich Handlungsfaden eigentlich immer extrem organisch und ohne Widerborstigkeit in das Setting. Zumindest musste ich als SL nie Druck ausüben, Würfel drehen oder die Spielrealität biegen, um back on track zu kommen.
Die Immersion ging bisweilen so weit, dass bei Spielern oder bei mir als SL in besonders tragischen Szenen auch mal Tränen geflossen sind. Durch solch ein Outing gebe ich mich den harten RollenSPIEL-Kerlen gegenüber natürlich als Emo-Terrorist und Laienschauspielerstimmungsfaschist zu erkennen. Bitte entschuldigt das. Ihr seid trotzdem hiermit trotzdem explizit aufgefordert und eingeladen mitzudiskutieren, wenn die bislang konstruktive Diskussionsatmosphäre nicht unterwandert wird.)
Das Spiel bei Vampire manchmal mit und meistens ohne Abenteuer funktionierte über knapp 10 Jahre jedenfalls hervorragend und war vermutlich die beste Runde, die wir jemals hatten. Die Borbaradkampagne läuft nun ebenfalls schon über Jahre und gefällt uns ausgesprochen gut, aber irgendwie hat sich im Laufe der Zeit ein vollkommen anderer, von seiten des SL erheblich direktiverer Stil ergeben, den zu ändern oder besser: erweitern sich wie beschrieben schwierig gestaltete und dessen Ergebnis entsprechend unbefriedigend verlief.
Und nun frage ich mich, woran das liegt. Eine Erklärung mag darin bestehen, dass die Spieler bereits aufgrund der Tatsache der Existenz der vier dicken Kampagnenschinken der Borbikampagne davon ausgehen, dass der SL sie schon mit Story bombardieren wird. Eine alternative Interpretation könnte lauten, dass mir das Jonglieren der Interessen und Persönlichkeiten bei Vampire viel leichter fällt als in einem Fantasysetting. Jahrhundertealter Kainit hin oder her: so ein Lope de Vega (nen bedeutender Toreador der Kampagne; wir haben weitestgehend in Marseille gespielt) erscheint mir in seiner Motiv-und Wertestruktur einfach plausibler und nachvollziehbarer als ein Saldor Foslarin oder eine Gwiduhenna von Faldalon. Oder vielleicht raubt mir als SL auch einfach die stärkere Klischee- und Archetypenorientierung der auftretenden Figuren und die größere Enge klassischer Szenen eines Fantasysettings Spielraum bei der Ausgestaltung der Möglichkeiten der Spielwelt. Was meint Ihr? Würde das gern besser verstehen und hoffe, ein wenig klärend gewirkt zu haben.