Ich bin gerade ein wenig ratlos, weil ich mal wieder auf die Welt da draußen stoße und sie in Teilen nicht gut verstehe.
Bei WoD war ich Mitglied von zwei Progress-Raidgilden, die nach dem gleichen Schema liefen: Relativ harter Ton, übertriebene Anforderungen, dauernde Konkurrenz, wenig individuelle Unterstützung, ständige Kontrolle und Kritikbesprechungen sowie ziemlich rigoroses Aussieben in den Raidkadern.
Das Ergebnis: Die Raids kamen gut voran aufgrund spielstarker und erfahrener Spielerindividuen, allerdings war das Raiden immer eine Zeit übler Anspannungen und Verspannungen - Spaß war ein Fremdwort. Es erfolgte keinerlei Teambildung und kam somit auch zu viel Fluktuation am Rande der Kader; ein Verhältnis zu den Mitspielern hatte man so gut wie gar nicht und sah sich als reine Leistungsgemeinschaft.
Als verhältnismäßig sensible Person, die von Kindheit an solche harschen Druckstrukturen instinktiv und strikt ablehnte und eher das gemeinsam konstruktive Wachsen hochinteressierter Spezialisten bevorzugte, zog ich mit der neuen Erweiterung Legion endlich nach langer Frustzeit und Terminen beim Physiotherapeuten (wegen der extremen Verspannungen) die Reißleine und verließ diese Truppen. Das war eine der besten Entscheidung in diesem Spiel, die ich seit langem getroffen hatte.
Nun war, bin und bleibe ich aber ein ehrgeiziges und nach wie vor solide trainiertes "Raidschwein", welches das selbstredend auch nicht missen möchte. Daher baute ich mit einem guten Kern von Freunden und Bekannten ziemlich mühselig ein eigenes Raidteam auf, das nun 14 weitgehend zuverlässige Leute umfaßt. Wir nahmen uns vor, alles besser zu machen, was wir in unseren Progress-Gilden so vermißten: Wir sind immer freundlich und hilfsbreit, bestens vorbereitet, erklären viel, verfaßten ein umfangreiches PDF mit unzähligen Tips und Tricks für das Raidniveau, bleiben im Raid entspannt und überwiegend locker, analysieren ganz transparent die Logs teilweise bis tief in die Nächte hinein und veröffentlichen für alle unsere Erkenntnisse, investieren Zeit und Geld und Gold in das Team, vermeiden persönliche Kritik und halten sie lieber allgemeiner. Neulich beeindruckten wir dadurch sogar einen Proraider von einer europäischen Topgilde, weil er unsere Mühen und unseren Einsatz zusammen mit der guten Atmo ganz außergewöhnlich fand.
Das Ergebnis ist davon allerdings, daß unser Raid im Moment nicht gerade sehr homogen ist, weil einige (wenige) Spieler nicht die Lust oder den Willen oder die Fähigkeit besitzen, raidtauglich spielen zu können. Das merke ich immer wieder an Randbemerkungen, die mir sofort zeigen, daß z.B. unser PDF bei einigen Spielern wenig Beachtung gefunden hat, ja teilweise komplett ignoriert wurde ("zuviel Text"). Auch stelle ich fest, daß meine freundlich-diplomatische Art zu meiner Verwunderung nicht zum gewünschten Ergebnis führt.
Beispiele:
- Wenn ich in der Teambesprechung darum bitte, daß alle Spieler Buffs, Runen, Fläschchen und Kampftränke mit maximaler Effektivität verwenden sollen, sehe ich danach in den Logs, daß einige Spieler das wohl als Wahlmöglichkeiten verstanden haben und nicht als die freundlich formulierte Forderung, die es war.
- Wenn ich niemand persönlich in die Ecke stellen möchte und anmerke, daß das Schadensgefälle unter den DD ziemlich groß ist und uns das bei einigen Bossen Probleme bereiten wird, erwarte ich, daß sich jeder DD die Logs anguckt und sieht, wo im Schaden er steht und ob da nicht noch Luft nach oben ist. Statt dessen scheinen die schwachen DD gar nicht zu registrieren, daß die starken DD sie mit ihrem Schaden ausgleichen.
Sprich: Wenn ich von meiner Rolle als "Papa-Raidleiter", der allen klar sagt, was sie zu tun haben, abgehe und auf Eigeninitiative setze, dann merke ich, daß ein Viertel des Raids zwar bemüht, aber unter dem möglichen Potential vor sich hindaddelt und dem Team das Leben teilweise ziemlich schwer macht. Das verwunderte mich deshalb so sehr, weil ich es als Raidspieler für selbstverständlich erachte, alles mir zeitlich Mögliche zu tun und einzusetzen, um gute Leistungen zu bringen - nicht mal Profiniveau, sondern einfach nur gutes Spiel mit Training.
Das Raiden in meinen Progress-Gilden habe ich wegen der Atmo gehasst, aber immerhin lagen die Bosse; man kam voran. Momentan merke ich, daß sich das Team aufspaltet in sehr starke Spieler plus solide und motivierte Spieler, die mit etwas mehr Erfahrung auf jeden Fall noch deutlich stärker werden, und einige Freizeitklicker, bei denen ich das Gefühl habe, daß sie außerhalb der Raidtermine eigentlich wenig für ihr Können, ihre Ausrüstung und die Raidtheorie machen. Selbst wichtige (und von uns empfohlene und erklärte) Makros und Addons sind weitgehend ignoriertes Neuland. Unsere freundlich-hilfsbereite Art fällt bei einigen Spielern auf sehr fruchtbaren Boden, aber bei einigen eben überhaupt nicht, und ich fürchte, daß dadurch unsere starken Spieler im Laufe der Zeit und Mißerfolge abwandern werden. Rede ich dagegen mit den Klickern mal Tacheles, gehe ich davon aus, daß sie wiederum ihre Hüte nehmen und wir mühselig zusammengesuchte Leute verlieren.
Eine unerfreuliche Situation, weil ich jeden unserer Spieler wertschätze und für uns für wichtig erachte.