Der folgende Text stammt aus dem
Metstübchen; ich habe dort in drei Teilen (jeweils nach dem Lesen der drei Teile) über Opus Anima berichtet. Von daher ist das, was folgt, nicht so richtig eine Rezension. Aber es kommt schon dicht dran.
Teil 1Heute habe ich die Lektüre vom ersten Teil des Opus-Anima-Grundregelwerks beendet. Es liest sich gut, ist nett bebildert und steckt voller Ideen. Nur weiß ich wirklich noch nicht, was ich jetzt damit anfangen soll. Ich hoffe, das klärt sich noch, wenn ich Teile zwei und drei gelesen habe. Ich werde darüber berichten.
Um was geht es? Opus Anima ist ein Spiel um "grotesken Horror". Das Ganze spielt auf einer Welt nach einer großen Katastrophe, die nicht mal zweihundert Jahre her ist: Der Planet ist irgendwie kaputt, die Menschen (und andere Rassen) leben auf kontinent-großen Schollen, die durch den Äther schweben. Damit ist das Ganze strenggenommen ein Endzeit-Setting, wobei keine Endzeit-Gefühle aufkommen. Eher eine fast viktorianische Welt mit sehr strenger Etikette - Sittenwidrigkeiten gehören zu den schwersten Verbrechen. Die Katastrophe hat bewirkt, dass die normale Technik, die es früher durchaus gab, nicht mehr funktioniert. Stattdessen beruht die neue Technik komplett auf Dampfkraft. Es gibt Maschinen aller Art, Fahrzeuge, Roboter, ja sogar dampfgetriebene Prothesen. Das besondere daran ist, dass die Technik eine Art Eigenleben hat. Wenn man möchte, dass ein Gerät funktioniert, muss man diesem gut zureden und es glücklich stimmen.
Nach einem kurzen Gesamtüberblick werden werden die Rassen beschrieben (Menschen und ein paar Alien-Rassen, die aber nicht zu abgefahren sind), es wird ein Überblick über die Welt gegeben und es gibt eine recht ausführliche Beschreibung eines Landes und dort speziell einer Stadt. Durch Zeichnungen und Beschreibungen wirkt die Welt lebendig, man kann sich gut vorstellen, wie ein Bewohner des Kaiserreiches und speziell Schelfbergs lebt und vergeht.
Was ich allerdings noch nicht sehe, ist, was man spielen kann. Irgendwie hätte ich jetzt außer irgendwelchen Detektiv-Geschichten oder Universitäts-Intriegen keine Idee für eine Geschichte, bei der die Besonderheit der Welt hervorgekehrt wird. Naja, aber ich habe ja auch erst 1/3 des Buches durch, und die "interessanten Dinge" kommen ja erst noch.
Negative
Kleinigkeiten: Es gibt mehrere Stellen, an denen sich ein Trennzeichen in ein Wort eingeschmuggelt haben. Es gibt ein paar Trennungen, die nicht den üblichen Regeln entsprechen und die die Wörter dadurch schwerer lesbar machen. Die Angaben der Körpertemperatur einiger Rassen wirkt unglaubwürdig, da nicht beachtet wurde, dass Bluteiweiß irgendwo bei 45°C gerinnt.
Zwischenfazit: Nette Welt mit einigen Besonderheiten, aber irgendwie nichts, wo ich sagen würde: "Cool, das will ich unbedingt mal im Spiel erleben!" Das Ganze als gut geschriebener Text mit vielen tollen Bildern. Ich habe hohe Erwartungen an den Rest des Buches und bin gespannt auf die Seelenlosen!
Teil 2Hui, das ging schnell. Schon bin ich durch den zweiten Teil des Regelwerks gehuscht. Aber warum bin ich jetzt so schnell damit fertig geworden? Um ehrlich zu sein, habe ich größere Teile des Textes übersprungen und quergelesen. Das lag, wenn ich mich so zurückerinnere, im Wesentlichen an zwei Dingen.
Erstens das Layout. Dazu muss ich - glaube ich - ein bisschen weiter ausholen. Im zweiten Teil des Buches wird über die verzerrte Welt geschrieben. Bei Opus Anima ist es nämlich so, dass es hinter der viktorianischen Fassade der gesunden Welt eine Parallel-Welt von sogenannten Seelenlosen gibt. Diesen Leuten wurde durch Diener einer Art bösen Gottheit ihre Seele geraubt. Eine der sieben guten Gottheiten ("Zeitlose") hat die Seelenlosen vor dem sicheren Tod bewahrt. Dadurch wurde aber ein sogenannter Makel auf diese Personen übertragen - sie sind jetzt, je nach Gottheit, beispielsweise blind, ausgeweidet, tot, unwissend. Die Spielfiguren kommen im Normalfall aus den Reihen dieser Seelenlosen. Es gibt natürlich auch Seelenlose des bösen Gottes, die die Haupt-Gegner bilden. Zurück zu diesen Verzerrungen: Je stärker die Präsenz eines solchen Gott-Wesens ist, umso verzerrter ist die Welt. Diese Verzerrungen äußern sich im Aussehen der Welt und der Bewohner: Abflussrohre werden zu riesigen Adern, die Seelenlosen zeigen ihre wahre Gestalt, Licht und Raum werden seltsam gekrümmt. Und diese Verzerrungen werden im Layout des Textes aufgegriffen, indem einzelne Buchstaben absichtlich wiederholt werden, indem der Text schief gedruckt wird, indem Buchstaben übereinander gedruckt werden, die Textgröße innerhalb von Wörtern verändert wird und Zwiebelfische gehäuft auftreten. All das machen das Lesen des Textes sehr anstrengend. Hier ist mit dem Layout in meinen Augen eindeutig übertrieben worden.
Zweitens die Textreihenfolge. Man erfährt nach einer kurzen, allgemeinen Einführung, von der Aufteilung der Stadt Baiyat-sophias. Diese Stadt wurde ja bereits im ersten Teil des Buches ausführlich behandelt und wird jetzt von der verzerrten Seite her beleuchtet. Dummerweise habe ich aber noch gar nicht genau erfahren, wie die einzelnen Seelenlosen so sind. Ich lese also beispielsweise über den "toten Südosten", die Organisation, die Verzerrung. Aber ich weiß noch gar nicht, wie die Seelenlosen mit dem Makel "Tod" überhaupt sind, was sie ausmacht! Diese Dinge werden erst danach erklärt. Allerdings leider wiederum unbefriedigend, denn welche Kräfte die Seelenlosen haben, mit denen sie ihre Feinde bekämpfen können, wird nur angedeutet. Dabei ist es doch gerade das, was mich interessiert. Denn im Spiel werde ich doch genau einen solchen Charakter darstellen. Ich will etwas über den Kampf erfahren, etwas über das Leben in einem "richtigen" Zirkel (ein solcher Zirkel besteht üblicherweise aus Seelenlosen mit unterschiedlichen Makeln). Denn schließlich sollen die SC, wenn ich das richtig verstanden habe, ja genau einen solchen Zirkel bilden. Trotzdem geht es nur um Organisationen innerhalb von Seelenlosen eines Makel, auch über Konkurrenz. Aber eigentlich nicht über das, was im Spiel erlebt werden soll. Schade. Aber vielleicht bin ich auch selber Schuld und habe diese Teile übersprungen. Außerdem fehlt mir etwas die Verbindung von den Seelenlosen zu der Dampftechnik, die den ersten Teil des Buches sehr interessant gemacht hat.
Ansonsten kann ich zum Inhalt des zweiten Teils sagen, dass man auch hier sehr schöne Ideen findet. Sowohl als Bilder, als auch im Inhalt. Denn das, was beschrieben wird, ist keineswegs langweilig! Die verschiedenen Organisationen bieten einen reichhaltigen Hintergrund für Aufträge und Intriegen in der verzerrten Welt. Vom Konzept her erinnert mich das stark an Vampire: The Masquerade. Vor dem Hintergrund einer "normalen" Gesellschaft gibt es andere, mächtige Wesen, die von den Spielern dargestellt werden. Die normale Gesellschaft muss im Spiel noch nicht mal eine Rolle spielen, die beschriebene Parallelgesellschaft bietet genug Stoff für Geschichten um die Wiedererlangung der Seelen der Spielfiguren und den Kampf gegen das Böse. Dabei kann und werden sicherlich die Makel der SCs thematisiert, was einen guten Teil des bizarren Horrors ausmacht.
Zwischenfazit: Schöne Ideen zu aufwändig verpackt. Außerdem sind diese Ideen gerade nicht das, was ich jetzt lesen möchte. Ich will (endlich) von dem erfahren, was meine Spielfigur ausmacht. Das kommt aber wohl erst im dritten Teil. Schade, hier wurde durch eine ungünstige Aufmachung Spaß vertan.
Teil 3Ich muss ganz klar sagen: Der dritte Teil ist der Beste! Er ist grob nochmal in vier Abschnitte unterteilt: Ein SL-Teil zur Frage "Wie leitet man Opus Anima?" ("Seelenwerk"), ein SL-Teil mit Gegnern und Strukturen der Gegenseite ("Feindesland"), ein Regelteil ("Grundregeln", "Maataregeln", "Genesis") und ein Teil mit Ausrüstungslisten und anderen Spielhilfen. Leider, leider ziehen sich hier die Aufbau-Probleme der ersten beiden Teile durch. So steht beispielsweise auf der allerersten Seite von Seelenwerk:
Sie wissen nun, wie die Welt von Opus Anima aussieht, sich anfühlt und was alles passieren kann. Sie haben einen Blick auf die Regeln geworfen und gelernt, wie man Spielfiguren erschafft, Entscheidungen trifft und ein guter Schiedsrichter ist. Jetzt müssen Sie nur noch lernen, wie Sie das Spiel spielen.
Regeln gelernt? Spielfiguren erschafft? Nein! Das kommt erst ganz am Ende! Es wäre eigentlich gut, diese Dinge hier zu wissen, denn was folgt, ist ein sehr gutes Spielleiter-Kapitel. Und hier wird eigentlich vorausgesetzt, dass der SL weiß, was die Charaktere für Möglichkeiten haben. Man kommt aber als Leser trotzdem ganz gut mit dem Inhalt klar - und daran, dass ich bisher noch nicht erfahren habe, was ich überhaupt in dem Spiel darstelle, habe ich mich ja bereits gewöhnt. Überraschend findet man hier auch Hinweise, wie die verschiedenen Charaktere im Spiel dargestellt werden können. Warum das auch immer in einem SL-Kapitel ist… nagut, im Vorwort wird ja bereits darauf hingewiesen, dass die Lektüre auch für Spieler interessant ist.
Im Abschnitt "Feindesland" gibt es das, was man als SL erwartet. Gegner werden beschrieben, es geht an die Organisationen, es gibt sogar Spielwerte; die Bedeutung wird ja dann bald auch erklärt werden. Was mich hier am meisten gestört hat, ist die Tatsache, dass ich nicht wirklich herausgefunden habe, wer oder was
Ki'mer ist. Im Glossar steht auch nichts darüber, obwohl es sich doch um eine recht zentrale "Figur" handelt. Ich glaube, es ist ein Lavathor. Oder doch was anderes? Im SL-Kapitel steht es jedenfalls nicht so genau drin. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu doof dazu und habe im zweiten Teil zu ungenau gelesen (ich meine, da steht was von Lavathor).
Der letzte Teil (bevor die Tabellen kommen) beschäftigt sich mit den Regeln und den Maata-Fähigkeiten - endlich. Erst hier erfährt man, was man überhaupt spielt und was die Wege der Zeitlosen denn tatsächlich ausmacht. Und ich muss sagen: Schick! Coole Ideen, echter Crunch! Das hatte ich nicht erwartet. Ob sich das Kampfsystem als praktikabel erweist, kann nur ein Spieltest zeigen; mir erscheint es auf den ersten Blick durch die geheime Aufteilung der Werte als recht schwerfällig. Aber das kann natürlich auch täuschen (ich habe mit so geheim-aufteilen-Systemen bereits schlechte Erfahrungen mit
Mortai Coil gemacht. Das muss aber ja nichts heißen!). Sehr schön finde ich übrigens die Idee, dass man einerseits den Makel mit der Zeit verliert und andererseits durch die Avatar-Regeln den Makel verstärken kann. So hat man als Spieler tatsächlich viele Möglichkeiten, seinen Charakter weiterzuentwickeln.
Zu guter Letzt gibt es einen Anhang mit Spielhilfen wie Karten, Ausrüstungstabellen und Glossar. Schöne Zusammenstellung, die wilder Blätterei im Buch entgegenwirkt.
Zwischenfazit: Sehr gut. Besser, als ich erwartet habe. Insbesondere Seelenwerk ist ein echtes Goldstück, vor allem auch für Spieler! Die Spielregeln klingen bodenständig, die Kampfregeln müssen sich in der Praxis beweisen. Die Terminologie mit den Splittern ist etwas ungewohnt, verwirrend ist allerdings, dass manchmal Boni und Mali auf die Splitter und manchmal auf die Teilerfolge gegeben werden. Eines hätte gereicht und wäre klarer gewesen. Das Feindesland-Kapitel ist in meinen Augen der schwächste Teil, nicht wirklich wichtig, aber mit vielen Anregungen und auch ein paar Werten. Vor allem wird hier auch eine (zumindest eine kleine) Verbindung von verzerrter Welt und Dampftechnologie geschaffen, was mir ja noch gefehlt hat.
Gesamt-FazitOpus Anima hat mir beim Lesen viel Freude bereitet. Eine interessante Welt, eine coole Parallel-Welt, schöne Ideen für Charaktere und saugute Zeichnungen. Ich habe auf jeden Fall Lust, das Spiel mal auszuprobieren, bestimmt ergibt sich ja mal die Möglichkeit dazu!
Nicht so gelungen fand ich den Schriftsatz im zweiten Teil: zu überladen, zu anstrengend zu lesen. Schade waren die kleinen Fehlerchen im gesamten Buch, vor allem die ganzen unmotivierten Trennstriche in Wörtern, die eigentlich gar nicht getrennt waren. Wirklich gestört hat mich allerdings die Aufteilung des Buches: Ständig liest man von Dingen, die sich erst ganz weit hinten im Buch klären. Nun kann man natürlich sagen: Dann lies doch die Regeln vorher. Aber wenn ich die Regeln vorher lesen soll, wieso stehen sie dann nicht vorne? Oder warum gibt es dann keine Lese-Anleitung, so nach dem Motto: "Wir haben aus diesen und jenen Gründen das Buch nicht so geschrieben, dass man das von vorne nach hinten durchlesen kann. Daher schlagen wir vor, dass man als Neuling folgende Lese-Reihenfolge einhält: ..." Ich halte es für ausgesprochen wichtig, wenn man als Leser recht früh erfährt, was man überhaupt spielt!
Dazu kommen dann noch die Probleme, die ich immer wieder (d.h. auch in anderen Rollenspiel-Büchern) habe: Irgendwo wird mal was erwähnt, und dann soll ich das sofort wissen. Ein bisschen mehr Redundanz darf ruhig sein. Bestes Beispiel bei Opus Anima ist Ki'mer, der nirgends so richtig beschrieben wird. Vor allem nicht im zweiten Teil, wo man über das Gebiet von Ki'mer erfährt aber überhaupt keine Ahnung hat, was das soll. Selbst die Suche im PDF nach dem Begriff Ki'mer gestaltet sich schwierig, weil ich nicht herausgefunden habe, wie man das Apostroph eintippen muss, so dass das Wort auch gefunden wird.
Insgesamt muss ich aber sagen: Cool gemacht! Auch wenn die Schwächen wohl frühestens in der zweiten Auflage ausgemerzt werden können (z.B. durch großzügiges Umsortieren des Textes), ist es für mich
das deutsche Rollenspiel der letzten Jahre! Eindeutige Kaufempfehlung! Und wer es nicht glaubt, kann kostenlos(!) das PDF von der
Opus-Anima-Homepage herunterladen und schonmal schauen!
EDIT: Ich habe das Wort "Kleinigkeiten" im ersten Teil kursiv hervorgehoben.