Für mich reift also zur Zeit die Erkenntnis, das ich vielleicht mit dem ganzen Scheiß aufhören und einfach nur noch spielen sollte.
So wie früher.
Soweit das noch möglich ist! Der Fluch der Erkenntnis: Ist die Büchse der Pandora einmal geöffnet...
Na ja, ganz so theatralisch muss man es vielleicht nicht sehen. Und man sollte auch die Macht der Autosuggestion nicht unterschätzen.
Ich habe seit einer Weile eine Runde mit Leuten aus dem Freundeskreis meiner Freundin, zwei sind totale Anfänger und trauen sich z.B. nicht, in direkter Rede zu sprechen. Die anderen beschäftigen sich außerhalb der Spielsitzung auch nicht mit Hintergrund und System. Keiner kennt wirklich die Regeln. Das wusste ich von Anfang an und habe mich entsprechend darauf eingestellt. Dann spielen wir halt lockerer, es muss alles nicht so hundertprozentig sein.
Im Moment spielen wir Vampire: the Masquerade, 2nd Edition, und haben neulich für einen Kampf vier gegen vier drei Stunden gebraucht.
Initiative, Angriff, ggf. Dodge, Schaden, Soak, Repeat. Gegen welche Schwierigkeit war der Angriff noch mal? Auf was würfel ich noch mal, wenn ich Dominate 2 benutzen will? *blätter, blätter* Stört mich alles nicht! Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse, und bin ganz entspannt. Spaß macht es trotzdem, weil ich die Leute mag, und bei mir auch ein gehöriges Bisschen Nostalgie mitschwingt. Nun ja, jedenfalls genug Spaß, um die dafür aufgewendete Freizeit (ein Sonntag im Monat) zu rechtfertigen.
Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, was mein Vergleichsmaßstab ist. Ich habe ja, insbesondere mit Leuten aus diesem Forum, schon großartige, intensive Runden gespielt, die eine ganz andere Dimension des Rollenspiels darstellten und die ganz sicher auch von dem ganzen Wissen, den Erfahrungen und insbesondere der Tatsache, sich einfach sehr bewusst mit dem Hobby auseinandergesetzt zu haben, überhaupt erst ermöglicht wurden.
Es fällt mir schwer, diese Runden mit den Runden früherer Tage, als meine Unschuld noch unbefleckt war und ich noch inzestuös mit immer denselben Leuten spielte, zu vergleichen. Erstens sind diese Runden einfach schon verdammt lange her und meine Erinnerung ist trügerisch. Und zweitens ist die rosarote Brille der Nostalgie nicht zu unterschätzen.
Ich glaube, ein Vorteil, den diese alten Runden bei mir persönlich hatten, war Zeit. Man nahm sich einfach mehr Zeit für ein System und ein Setting. Und das zahlt sich eben auch aus. Meines Erachtens wird jedes gute System und jedes gute Setting mit der Zeit besser. Man weiß mehr darüber, entdeckt neue Möglichkeiten, spielt gekonnter und selbstverständlicher auf einer breiter werdenden Klaviatur. Das gilt sowohl taktisch/strategisch wie auch thematisch.
Trotzdem, wenn ich für eine regelmäßige Rollenspielrunde die Leute meiner Wahl in mein Wohnzimmer beamen könnte, würde ich auf jeden Fall das von all den neuen Erkenntnissen beeinflusste, sagen wir mal „anspruchsvolle“ Spiel betreiben wollen. Vielleicht mit dem zusätzlichen Bonus, sich die Zeit zu nehmen, System und Setting richtig gut kennenzulernen und Charaktere langsam und differenziert zu entwickeln.
Jedenfalls aber bestätigt meine persönliche Erfahrung, dass es möglich ist, „einfach nur so zu spielen, wie früher“ – auch ohne „mit dem ganzen Scheiß aufzuhören“. Man sollte es aber tunlichst unterlassen, den ganzen Scheiß einer Gruppe aufzunötigen, die keinen Bock drauf hat.