Bevor ich näher darauf eingehe, komme ich nun notwendigerweise erst einmal zum Würfelmechanismus. In H&S gibt es insgesamt 7 richtige "Stats", nämlich den gewählten Drive und dazu
6 Attribute:
Might (physische Kraft),
Deftness (physische Geschicklichkeit),
Resilience (physische Widerstandsfähigkeit),
Brains (Auffassungsgabe),
Prowess (Einfallsreichtum und geistige Flexibilität), und
Resolve (Entschlossenheit, also das psychische Pendant zu "Resilience").
Die Einteilung oder Stufung in diesen sechs Attributen ist ausgesprochen grobkörnig. Es gibt nur drei Abstufungsgrade: Diese heißen, von unten nach oben gerechnet, "Ordinary" (quasi stinknormal), "Exceptional" (außergewöhnlich) und "Spectacular" (spektakulär).
Dazu kommen dann allerdings noch die drei Skalen von Fähigkeit. Ich selbst halte es für sehr gut einprägbar, dass das System drei Stufen und drei Skalen verwendet. Bis drei kann ich ja immerhin zählen. Außerdem muss ich mir so keine langen Reihen von Begriffen für Grade oder Bewertungen merken. Die drei Skalen heißen hier "Human" (menschlich), "Superhuman" (übermenschlich) und "Cosmic" (kosmisch, götterähnlich). Eine Skala wird stets mit den Attributswerten verbunden beziehungsweise umgekehrt. Man braucht beides: Skala und innerhalb der Skala die "Stufe". Es gibt also dreimal drei mögliche Stufen:
Human - Ordinary
Human - Exceptional
Human - Spectacular
Superhuman - Ordinary
Superhuman - Exceptional
usw.
Wie werden diese Dinge nun umgesetzt?
Als Würfel verwendet H&S drei (wiederum die Schlüsselzahl 3!) Würfelgrößen: den W4, den W8 und den W12. Charaktere auf der "Human" Skala, also gewöhnliche, nicht gepowerte Menschen, würfeln immer mit W4. Charaktere auf der "Superhuman" Ebene würfeln W8 und Charaktere auf der kosmischen Ebene darüber würfeln W12. Die drei Stufen "Ordinary", "Exceptional" und "Spectacular" bedeuten wiederum 1, 2 oder 3 Würfel der jeweiligen Größe: Human - Ordinary, die geringste Stufe, wäre also 1W4, Human - Spectacular ist 3W4, Superhuman - Exceptional 2W8 usw. Von den verwendeten Würfeln zählt immer nur das jeweils höchste Ergebnis (von 1, 2 oder eben 3 Würfeln). Es gibt keine Boni und Würfel werden nie miteinander addiert.
Das heißt also, das Beste, was ein Charakter mit dem Grad "Human - Ordinary" in einem Attribut überhaupt würfelmäßig erreichen kann, ist eine 4. Er wird nie eine 6 oder eine 8 erreichen, was ein "Superhuman" mit seinen W8 durchaus kann. Der "Superhuman" erreicht aber als Maximum auch nur eine 8, wohingegen der "Cosmic" Charakter entsprechend noch die Ergebnisse bis einschließlich 12 erreichen kann. Zur Übersicht:
Human --> W4
Superhuman --> W8
Cosmic --> W12
Im Gegensatz zu Savage Worlds und anderen Systemen, insbesondere den einfachen "Roll High" Systemen, wird also ein normaler Mensch selbst bei maximalen Würfelergebnissen einen Supermenschen kaum schlagen können. Ein Mensch ohne Superkräfte wird einen Supermenschen auf dessen Spezialgebiet nie übertreffen, sofern der Supermensch auf einem seiner Würfel etwas Höheres als eine 4 bekommen hat (50-Prozent-Chance auf einem einzelnen W8). Außerhalb des Spezialgebietes, auf dem der Supercharakter also "super" ist, sieht es dann unter Umständen schon wieder anders aus.
Das ist aber bloß die eine Seite des H&S-Systems. Denn wir haben nun ja noch die internen Monologe. Dazu hier ein ganz einfaches Beispiel:
Ein Superheld, der sich als Teil seiner Hintergrundgeschichte geschworen hat, immer und unter allen Umständen das Leben Unschuldiger zu schützen, sieht, wie ein Superschurke mit einem Energiestoß einen voll besetzten Schulbus zur Seite schleudert und dieser Bus nun droht, über die Leitplanke einen steilen Abhang hinunter zu stürzen. Der Held kann schnell an den Bus heranfliegen, weil Fliegen eben zu seinen gewählten Fähigkeiten gehört, aber er ist nicht besonders stark, z.B. nur "Superhuman - Ordinary" in dem Attribut "Might". Er versucht nun folglich, den umgekippten Schulbus mit beiden Händen wieder aufzurichten und vom Abhang wegzuziehen. Das geht mit "Might", also würfelt der Spieler dieses Helden nun 1W8. Sagen wir mal, der Schwierigkeitsgrad war eine 6 und er würfelt leider nur eine 3 auf 1W8. Was passiert?
In einem anderen System würde der voll besetzte Schulbus nun wahrscheinlich über den Rand der Straße in die Tiefe stürzen. Der Held hätte nichts weiter machen können. Es gäbe entsprechend viele Todesopfer. Nicht aber so in H&S. Der Spieler aktiviert nun den Drive seines Helden, passenderweise "Love", also Nächstenliebe. Der Comicheld klammert sich noch an einem Fenster des Busses fest und man liest in seiner Gedankenblase, "Verdammt! Ich muss es schaffen... Es sind zu viele unschuldige Schulkinder in diesem Bus...!"
Mit diesem kurzen internen Monolog erkauft sich der Spieler automatisch das Recht, einfach mit seinem W8 noch einmal würfeln zu dürfen, ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen. Wenn er nun beim zweiten Versuch eine 7 oder höher würfelt, ist alles okay. Wenn er es nicht schafft, kann der Spieler noch einen zweiten internen Monolog nachschieben, und einen dritten, einen vierten, usw., solange ihm passende Argumente einfallen. Er darf unter diesen Bedingungen zunächst würfeln, bis das Ergebnis passt. Er darf sogar auch noch einmal würfeln,
ohne einen Monolog auszuarbeiten und diesen laut zu sprechen. In diesem Falle erhält der Charakter eben einen Punkt "Stress". Dieser "Stress" ist im System von H&S die Maßeinheit für Nachteile, für negative und ungünstige Umstände für den Helden.
Man kann "Stress"
ansammeln bis zur Höhe der Hälfte des maximalen Ergebnisses auf seinem jeweiligen Würfel in
Resilience oder
Resolve. Das heißt also, bei einem W8 Wert wäre die "Schmerzschwelle" die Hälfte von 8, also 4. Ein "Cosmic" Charakter, der ja W12 verwendet, hätte ein Limit bei 6 Stress. Bei
Überschreiten dieses Maximums wird ein so genanntes "Stress Event" ausgelöst. Das bedeutet einfach, dass der Held in der Geschichte eine nachteilige Sache hinnehmen muss, die ihm einen Erfolg im Moment verwehrt oder auch später im Spiel noch schlechte Auswirkungen auf ihn hat. Solche "Stress Events" sind beispielsweise Übermüdung, leichte Verletzungen, Schmerzanfälle, Depressionen, Selbstzweifel, Entmutigung, Verwirrung, Betäubung, Benommenheit, Verlust von Freunden oder Verbündeten, Verlust von Ansehen, und andere Dinge mehr. Eben alles, was dem Comichelden zu schaffen macht und was negativ für ihn ist. Die allermeisten Stress Events sind temporärer Natur, lassen sich also wieder ausgleichen oder zurechtrücken. Sie sind für den Moment für den Helden schlimm, sind aber gleichzeitig auch wieder hervorragende und einfache Story-Anknüpfungspunkte für den Spielleiter, der damit weitererzählen kann, was als Nächstes (in der nächsten Ausgabe etc.) passiert und alles passend auf jeden der Spielercharaktere zuschneiden kann.
Im Gegensatz zu den meisten Rollenspielen habe ich hier gleich beim Durchlesen mehrere Dinge erkannt:
- Die Fehlschläge oder Misserfolge von Helden sind in H&S viel weniger häufig. Siehe interne Monologe.
- Die Misserfolge der Helden "bringen" wirklich etwas für den Fortlauf der Story, nicht nur die Erfolge.
- Die Auswirkungen von Misserfolgen, also die Stress Events, können und müssen sogar passend zur Situation und zur verwendeten Fähigkeit vom Spielleiter gewählt werden. Man kann sie beliebig den Charakteren auf den Leib schneidern und ausformulieren. (So kann man viele erprobte Stress Events aus tatsächlichen Comicserien einbauen, z.B.: Geheimidentität fliegt auf, Stützpunkt brennt ab, Freunde entziehen dir ihr Vertrauen, deine Freundin wird von Schurken gekidnappt, du verlierst dein Gedächtnis, deine Regierung hasst dich, u.a.)
Zusätzlich zu dem auf diesem herkömmlichen Weg akkumulierten Stress bekommen jedoch auch die meisten Charaktere (Helden genauso wie Schurken) noch zusätzliche Probleme aufgrund von "Stress Triggers". Ein Charakter benötigt nicht unbedingt schon bei der Charaktererschaffung einen Stress Trigger, aber mindestens ein solcher Nachteil wird stark empfohlen. Triggers sind wortwörtlich "Auslöser", also Ereignisse, Umstände, aber auch möglicherweise bestimmte Personen, Tiere, Bakterien oder Substanzen, die den Charakter ungünstig beeinflussen. Sobald der Stress Trigger präsent ist, erhält der Charakter für jede gespielte Runde, in der er dem Trigger ausgesetzt ist, einen weiteren Punkt "Stress", den er nicht aufheben kann.
Das wäre sozusagen der Kryptonit-Faktor! Wenn Superman Grünem Kryptonit ausgesetzt ist, verspürt er starke Schmerzen und wird rapide schwächer, kann also nur unter bedeutender Anstrengung überhaupt weitermachen.
Ähnlich wäre es in diesem Spielsystem auch für einen Helden mit einem Feuertrauma, wenn er vor einem riesigen Feuer steht oder Leute aus einem lodernden Hausbrand befreien soll... oder entsprechend für einen Helden mit großer Angst vor Lärm, der in einer lauten Fabrikhalle mit laufenden großen Maschinen kämpfen muss... Für den einen wäre also "Feuer" der Stress Trigger, für dem anderen "Krach" oder "laute Maschinen". So kann man sich natürlich beliebig weitere kreative Stress Triggers zurechtzimmern.
Nun komme ich noch zu einem weiteren Kernstück aus H&S. Ein Superheldensystem braucht natürlich auch noch ein Kapitel zu Superkräften oder Superfähigkeiten.
In H&S ist gerade dieses Kapitel, eine Übersicht zu den möglichen Powers, ausgesprochen knapp und spartanisch. Das ist aber in diesem Zusammenhang gar nicht schlecht. Der Autor Tim Kirk hat die typischen Comic-Fähigkeiten auf gerade einmal 2 Buchseiten (!) in elf Kategorien beschrieben. Diese Kategorien sind natürlich breit gefasst und können passend zum Ursprung des Charakters, also seiner Hintergrundgeschichte, comicmäßig ausgeschmückt werden. Sie dienen lediglich als Oberbegriffe für viele mögliche Fähigkeiten und Vorteile und sind damit eher eine Orientierungshilfe. Das mag zwar ein wenig ernüchternd wirken, ist aber wirklich nicht weiter schlimm, denn es stehen ja weiter hinten im Buch noch die Beispielcharaktere und die Schurkengalerien, das heißt Dutzende von ausgearbeiteten Figuren, an deren Stats man genau sehen kann, wie der Autor sich die Kategorien von Superkräften im konkreten Einzelfall vorstellt und wie man sie alle benutzen kann. Ein buntes Kapitel zu genau vordefinierten Fähigkeiten, Boni, Spezialattacken und anderem Kram wird man in H&S also definitiv vergeblich suchen. Es gibt kein solches Kapitel (auch wieder ein klarer Unterschied zum Beispiel zu HERO oder Mutants & Masterminds), sondern tatsächlich nur die folgende kleine Liste:
-
Armor (alles, was den Charakter schützt und zäh macht)
-
Body Transformation (alles, was den Charakter physisch verwandelt)
-
Energy Absorption (der Charakter kann Energie aufnehmen und sie zu anderen Zwecken weiterverwenden...)
-
Entangle (alles, womit der Charakter etwas einhüllen und festhalten kann)
-
Flight (na ja, eben fliegen können)
-
Force Field (alle Arten von vorübergehenden Schutzschilden oder Kraftfeldern)
-
Immunity to X (der Charakter ist gegen etwas Bestimmtes immun)
-
Regeneration (der Charakter heilt sich selbst)
-
Telekinesis (der Charakter bewegt Dinge einfach mit seiner Willenskraft)
-
Telepathy (der Charakter kann Gedanken lesen oder sich per Gedankenübertragung unterhalten)
-
Ultra Skills (die "Superkraft" besteht darin, dass der Charakter einfach einen unglaublich hohen Stand in einer bestimmten Fertigkeit erreicht hat, unmenschlich viel gelernt hat, usw.)
Anmerkung: Ich habe gerade bemerkt, dass zum Beispiel eine Fähigkeit für das "Abschießen von Energiestrahlen" in dieser Reihe fehlt, ich aber gern eine hätte. Auch für solche Fälle hat Tim Kirk die Lösung "Just make it up!" Man kann sich nach Belieben weitere Superkräfte ausdenken, muss diesen lediglich einen Namen geben und sie in das bestehende Würfelsystem einbauen.Die meisten Superkräfte werden einem der sechs Attribute zugeordnet, so dass der Spieler beim Benutzen der Fähigkeit ohne Umschweife auf dieses Attribut würfeln kann. Etwas anders ist es bloß bei den "Immunity to X" Fähigkeiten, da eine Immunität entweder Gültigkeit besitzt oder nicht. Eine solche Superkraft ist also nur ein starrer Vorteil, sie kann nur entweder "an" oder "aus" sein, nichts dazwischen.
Selbstverständlich sind die Superfähigkeiten grundsätzlich auch in die drei Stufen und drei Skalen eingeteilt. Kennt man also das System für die reinen Attribute mit den drei Würfelsorten (W4, W8 und W12), ist alles Andere auch überhaupt kein Problem mehr.