Also, wir haben's getan
... zum allerersten Mal.
Meine erste Spielrunde mit Hearts & Souls hat am vergangenen Freitagabend stattgefunden, von etwa 19.30 bis 0.30 Uhr. Es ging wirklich heftig ab.
Ich hatte mit 3 oder maximal 4 Spielern gerechnet, aber es kam sogar noch einer mehr. (Notiz: Für einen Spieler nächstes Mal noch einen neuen Charakterbogen mitnehmen, denn ich hatte nur 4 Stück mitgebracht.)
Da die ersten beiden Stunden von insgesamt 5 Stunden für die Char-Gen draufgingen, mitsamt allen Erklärungen und Beispielen aus Superheldencomics, die alle sehr wohlwollend aufgenommen wurden, konnten wir mit sehr individuellen und recht ausführlichen Hintergrundgeschichten arbeiten. Da gab es fast ein wenig zuviel an Details und Einfällen, als dass man sie alle konkret in einer Session verwenden konnte, aber es klappte letztendlich doch alles erstaunlich gut.
Da ich selbst kein konkretes Abenteuer vorbereitet hatte, orientierte ich mich ganz an den Storys der Spielercharaktere. Diese Storys hatten es dann auch wirklich in sich, wenn ich ehrlich sein soll.
Ich hatte auch deswegen kein festes H&S-Abenteuer mitgebracht, weil bis 5 Minuten vor dem Start noch nicht sicher feststand, ob ich an dem besagten Abend H&S leiten würde oder CAH: Season 2. Das Votum ging dann aber doch 4-zu-2 zugunsten von H&S aus. Der andere Grund, den ich immer wieder erwähne (auch bei anderen Rollenspielen), war der, dass ich ja im Voraus nicht sagen konnte, welche Charaktere die neuen Spieler sich ausdenken würden. Somit hielt ich mich an mein Prinzip, das Abenteuer auf die Charaktere zuzuschneiden und nicht die Charaktere auf das Abenteuer.
Manche Dinge an dem sehr freien Charaktergenerierungsprozess in H&S musste ich logischerweise den einzelnen Spielern mehrmals erklären, und bei einer Runde, in der einige Leute schon aus Gewohnheit immer hineinreden oder Witze erzählen, ist es auch klar, dass es zu solchen Wiederholungen kommt. Am ungewohntesten war wohl für die anwesenden Spieler, dass es kein Punktelimit bei der Wahl der Attribute gab bzw. auch kein Limit, das ich konkret für alle vorgab. Ebenfalls war nicht allen Spielern auf der Stelle klar, dass die Namen der einzelnen Ränge (Stufen) sich in den drei Skalen wiederholten: "Ordinary", "Exceptional" und "Spectacular" konnten daher jeweils Ordinary - menschliche Skala, Ordinary - übermenschliche Skala, Ordinary - kosmische Skala heißen. Aber mit den drei verschiedenen Würfelarten (W4, W8, W12) konnte ich das dann glaube ich doch recht gut erklären. Letzten Endes habe ich von Fähigkeiten auf der "Cosmic Scale" abgeraten und die Spielercharaktere hatten damit alle maximal Werte mit 3W8 ("Spectacular Superhuman" in H&S, was aber auch tatsächlich sehr spektakuläre Ergebnisse im Abenteuer zur Folge hatte).
Die Wahl der Powers und Hintergrundgeschichten fiel auch sehr differenziert aus, wenn auch zwei der fünf Spieler (ich als SL nicht mitgerechnet) sich Charaktere aufschrieben, die hart an der Grenze zum "Alleskönner" waren und für den Anfang mit sehr vielen unterschiedlichen Powers auffuhren.
Ein Spieler dachte sich zum Beispiel einen Mentalisten aus, der neben Telepathie und Gedankenkontrolle im herkömmlichen Sinn auch die Fähigkeit haben sollte, Gegenstände und Substanzen in seiner Umgebung zu verändern (heiß oder kalt werden lassen, Drähte durchschmoren lassen, Eisen verrosten lassen, Beton brüchig werden lassen, etc.). Er begann das Abenteuer dann auch gleich damit, sich wie ein Maulwurf durch die Erde zu buddeln, indem er die Erdmassen verschob und verdrängte. Aber Kreativität und ein wenig Comic-Spinnerei sind ja durchaus gefragt, sonst würden wir wohl nicht H&S spielen.
Ein anderer Spieler wollte gern einen Transformer-Anzug, der ihn quasi zu Land, zu Wasser und in der Luft transportieren konnte, gepanzert und mit verschiedenen Ortungssystemen (Radar, Sonar, GPS) ausgerüstet war. Ich habe gesagt, "Na klar, kein Problem." Zusätzlich ist aber dieser Charakter im Stahlanzug auch noch ein Alien mit telepathischen Fähigkeiten, also in diesem Fall mit sehr hohen Spielwerten in Telepathie, Telekinese, sowie fast unbegrenzter Teleportation und mit der Fähigkeit, sich selbst (nicht jedoch das Fahrzeug) unsichtbar zu machen. Wenn er in seinem Anzug-Gefährt steckt, benutzt dieser Charakter hauptsächlich die Fahrzeugfähigkeiten und außerhalb des Anzugs seine telepathischen Fähigkeiten. Ich werde bei der nächsten Session wahrscheinlich dieses Fähigkeiten-Paket ein wenig begrenzen: Unsichtbarmachen ist in H&S ja kein großes Ding (es ist eine klassische Fantastic-Four-Fähigkeit), Telepathie schön und gut. Aber der Spieler möchte außerdem noch, dass sein transformierbares Alien-Fahrzeug sich in jedes herkömmliche Erdfahrzeug verwandeln kann, also so aussehen kann wie ein VW, dann wie ein Bus, wie ein Traktor, wie ein Helikopter und andere. Ich möchte das mit der Einschränkung versehen, "Keine vollständige Tarnung - sieht immer wie ein Science-Fiction-Fahrzeug aus und kann nicht beliebig Farbe und Form wechseln". Das hat letzten Endes auch damit zu tun, dass ich Superhelden haben möchte, die sich oft und gern in der Öffentlichkeit zeigen und für die Bevölkerung auch als Superhelden "präsent" sind, mit all ihren Gimmicks und kitschigen Elementen. Ich möchte nicht, dass das Spiel eine Story mit ständig getarnten Secret Operatives wird, die sich ständig perfekt verstecken und alles im Verborgenen erledigen können.
Wieder ein anderer Spieler wählte als seine Figur einen sehr interessanten weiblichen Charakter: im Großen und Ganzen eine Art Hexenmädchen, das aussah wie 13, aber schon über 700 Jahre lebte (alterslos) und aus dem mittelalterlichen Litauen stammte. Die Fähigkeiten dieses Hexenmädchens waren größtenteils angelehnt an die "headology" aus Terry Pratchetts Discworld-Romanen. Da ich nur ganz peripher mit Pratchetts Romanen und seinem Humor vertraut bin, habe ich mir von diesem Spieler erst einmal am Rande erklären lassen, was mit dem Begriff "headology" eigentlich gemeint war. Aber das war auch ziemlich gut und es hat im Spiel mit H&S-Regeln reibungslos funktioniert.
Unser Abenteuer am Freitagabend sah dann im Wesentlichen so aus, dass ein anderer Spieler den Vorschlag machte, den Strahlenunfall, der seinem Charakter Superkräfte geben sollte, zum Anlass für das Zusammentreffen der neuen Helden zu nehmen. Okay... also, ein Strahlenunfall bzw. eine geheimnisvolle Explosion passiert im Kellergewölbe eines Fabrikkomplexes einer bekannten Firma für Militärtechnik (wobei diese Firma praktischerweise auch gleich dem Spielercharakter mit besagtem Unfall gehörte). Als das Fernsehen über diese Explosion in den Nachmittagsnachrichten berichtet, machen sich die anderen Charaktere getrennt voneinander auf den Weg, um der Sache mehr oder weniger auf den Grund zu gehen.
Das führte zu recht interessanten und lustigen Situationen... die Comic-Atmosphäre war eigentlich von Anfang an da. Nur leider bedeutete diese Herangehensweise in diesem Fall auch, dass man nicht von Anfang an als geschlossene "Party" arbeiten konnte, sondern eigentlich vier einzelne Wege beschrieb, für vier verschiedene Charaktere, die alle zu dem abgeriegelten Fabrikgebäude wollten, jeder davon mit seinen eigenen Fähigkeiten. Der fünfte Charakter weilte ja quasi noch für längere Zeit außer Gefecht in seinem Geheimlabor im Keller.
Da nun niemand aus der Gruppe einen der anderen Helden kannte und daher niemand sagen konnte, wer zu den Guten gehörte und wer nicht, gingen sich praktisch alle fünf Helden gezielt aus dem Weg. Niemand wollte sich in die Karten gucken lassen und jeder wollte gern der erste Held am "Tatort" sein, so dass wir die einmalige Situation bekamen, dass die Charaktere ihre Powers nicht gegen Schurken einsetzten, sondern zunächst mal gegen einander. Die Charaktere, die sich unsichtbar machen konnten, taten das auch mit großem Geschick, der Tunnelbuddler überwand auch elektronische Barrieren und Sicherheitsanlagen, löste aber auf längere Sicht trotzdem alle möglichen Alarme aus, die Hexe versetzte sich mit "Spiegelmagie" von einem Spiegel über eine spiegelnde Fensterscheibe des Firmengeländes in ein Bürozimmer, und von dort aus über andere Spiegel und Schatten weiter durch das Gebäude. Da dieses Mädchen auch über enorm große Fähigkeiten auf dem Gebiet des Aura-Erspürens und der Telepathie verfügte, stieß es relativ bald auf die anderen versteckten Superhelden in der Nähe. Über mehrere Minuten, vielleicht sogar mehr als eine halbe Stunde, konnten sich mindestens drei der Charaktere zwar spüren, aber durch Einsatz ihrer verschiedenen Unsichtbarkeits-, Farbänderungs-, Tarnungs- und Anschleichfähigkeiten gegenseitig nicht sehen. Es dauerte eine gefühlte "halbe Ewigkeit", bis sie endlich ihre gegenseitigen Vorbehalte und Beargwöhnungen fallen ließen und offen miteinander zu sprechen begannen. Bevor sie dann aber noch etwas Konkretes über das Gebäude, über den verunfallten fünften Charakter und die gesamte Situation in Erfahrung bringen konnten, ging uns für diesen Abend auch schon die Zeit aus (drei Spieler aus der Gruppe wollten kurz nach Mitternacht zusammen mit dem Auto zurückfahren). Damit es interessant blieb, schickte ich dann noch spaßeshalber fünf Superschurken aus dem Buch (Analog Prime-Kapitel) in das Gebäude und ließ sie durch die Zugangstür zum innersten Kellergewölbe brechen (Seltsam, dass fast jedes Abenteuer im Kern wieder ein Dungeon-Abenteuer wird! Sogar ein moderner Keller ist ja irgendwie ein Dungeon...).
An dieser Stelle hörten wir praktisch mit einem "Fortsetzung folgt" auf.
Die fünf Spieler möchten aber alle schon am kommenden Wochenende weiterspielen. (Mit anderen Worten: Es war kein One-Shot!)
Als positive Eindrücke aus dieser Runde nehme ich auf jeden Fall mit:
- Sehr wohlwollende und aufmerksame neue Spieler, die gern etwas im Comic-Bereich spielen wollen. Hoffentlich bleibt das so!
- Mitspieler, die aus dem Stegreif hervorragende Comic-Hintergrundgeschichten erfanden.
- Nach ein wenig gutem Zureden nutzte niemand das offene Char-Gen-System in der Weise aus, dass er einfach allen Attributen und Fähigkeiten maximale Werte gab. (H&S wäre ja ansonsten ein Tummelplatz für Min-Maxer.)
- Wir hatten eine sehr gute Essensversorgung in unserer neuen Location.
- Bei H&S, obwohl es mein neuester Spielekauf war, musste ich nie Regeln nachschlagen, den ganzen Abend über nicht. Keine Tabellen, keine Magie- oder Powers-Regeln!
- Sehr entspannte neue Situation für mich als Spielleiter: Als Editor bei H&S muss ich nie selber würfeln, sondern nur einfachste Zahlen im Kopf behalten (wie "4" oder "6"). Gewürfelt habe ich nur im Vorfeld, als ich die Regeln erklärte.