Wenn man das auch nur annähernd hochrechnen könnte, gäbe es ja fast auf jeden Spieler irgendwo in der Welt ein fertiges System.
Das dürfte hinkommen. - Wenn man die vielen "Herzensbrecher" abschätzt, die (glücklicherweise) die heimischen Schubladen nie verlassen, und wenn man die noch viel ZAHLREICHEREN Mißgeburten abschätzt, die nicht einmal den minimalen kreativen Funken eines Herzensbrechers aufweisen (und die leider viel zu oft tatsächlich irgendwo der Öffentlichkeit präsentiert werden und den Lesern die Lebenszeit stehlen), dann würde ich die obige Vermutung als durchaus plausibel ansehen.
Wenn ich mir nur allein in der recht überschaubaren Umgebung im Rollenspielverein anschaue, wieviele GNADENLOS überflüssigen, undurchdachten, nie wirklich spielbar gewesenen "Qualzüchtungen" an "Selbstentwickelten Rollenspielen" in den letzten paar Jahren aufgekommen sind, dann halte ich die 1:1-Zuordnung "fertige Eigenbauten":Rollenspieler für überzeugend und keineswegs zu hoch gegriffen. (Denn oft sind die "Selbstentwickler" ja nicht mit nur einem "neuen, tollen" Rollenspiel zufrieden, sondern produzieren meist mehrere davon. - Siehe in dem Anderen Forum: Fanatiker eben.)
Ich habe meine ersten Heartbreaker (hoffentlich waren sie das überhaupt) auf D&D-Basic-Set-Basis erstellt - nur mit durchgängigen Prozentwürfen und im Sci-Fi-Genre angesiedelt. (Das war, bevor ich überhaupt wußte, daß es Star Frontiers gab.)
Die meisten Eigenbauten habe ich auf BRP-Basis mit (wie bei BRP ja üblich) z.T. ausgedehnten Modifikationen des BRP-Grundsystems gebastelt. Mein aus meine damaligen Begeisterung für Hard-Sci-Fi samt Naturwissenschaftsstudium heraus gewachsenes "Contact!"-Sci-Fi-Rollenspiel rund um Erstkontakts-Missionen hatte sogar mehrere Semester unregelmäßigen Spielens und Con-Runden überstanden. Und es war das einzige, das von einem anderen Spielleiter als dem Ersteller (also mir selbst) geleitet wurde. Die anderen Eigenbauten waren "weniger erfolgreich", um es mal so auszudrücken.
Überflüssig, kein Stück besser oder interessanter als das, was damals kommerziell erhältlich war. Oft mit Zutaten aus anderen Regelsystemen mehr oder weniger geschickt zusammengeknetet. - Keines davon war irgendwie gut genug, daß unsere diversen Spielerkreise daheim und an der Uni das auch nur ähnlich lang gespielt hätten wie Star Frontiers, Gamma World, oder die "Platzhirschen" Traveller, AD&D, RuneQuest, Midgard, CoC, usw.
Die Eigenbauten waren selten wirklich mit der ABSICHT ein komplett eigenständiges Rollenspiel zu erstellen entstanden (Ausnahme: Contact!, das war wirklich absichtsvoll entwickelt worden und ist nicht einfach so "gewuchert").
Oft ist der Übergang von Hausregeln, erweiterten Hausregeln, eigenständigen Subsystem-Entwicklungen, Regelsystem-Mischungen, "Conversions", usw. hin zu "eigenen" Rollenspielen sehr fließend.
Aus Unzufriedenheit mit den Midgard-Regeln (nach weit über 10 Jahren kontinuierlichen Midgard-Spielens) hatte ich "leichte Modifikationen" vorgenommen. Diese waren dann so umfangreich, daß es letztlich eine Art "RuneGard" oder "MidQuest" wurde - viele RuneQuest-Elemente samt der von mir über lange Zeit bevorzugten Prozentwürfe für ALLES und das schon als RQ3-Hausregel eingeführte Zeitstrahl-Rundenabwicklungssystem flossen da zusammen. - Ich denke an diese Midgard-"Transformation" deshalb noch mit gewissem Wohlwollen, weil ich erst kürzlich beim Kramen in alten Midgard- und RuneQuest-Stapeln in meinen "Altrollenspiel-Aktenschränken" über jede Menge Abenteuernotizen, benutzte(!) Charakterbögen zu dieser Midgard-Klonerei, und die Conversion-Notizen gestolpert bin. Ganz offensichtlich hatten wir das öfter gespielt, als mir bewußt war.
Tendenziell hatte ich viel mehr Sci-Fi-Eigen-Basteleien angefangen (manche ja auch zumindest spieltauglich fertiggestellt), als Fantasy oder andere Genres betreffend. - Da war sowohl die Vorliebe für Sci-Fi-Literatur als auch die für Sci-Fi-Rollenspiele wie Traveller, Star Frontiers, Universe, SpaceMaster, RingWorld, Star Wars D6, usw. ausschlaggebend, vermute ich mal.
Oft ist es ja so, daß man das "selbst" entwickelt, was man eh schon zuhauf kennt, spielt, und mag.
Ganz NEUE WEGE zu gehen ist meines Erachtens bei den meisten Eigenbauten die Ausnahme. - Das Umfeld der "Forgeisten" stellt z.B. eine Ausnahmegruppe dar, da diese sich mit Exotika befaßt, die kaum ein Normalrollenspieler überhaupt thematisieren würde, und für die er schon gleich kein eigenes Rollenspiel basteln würde.
Das meiste Eigenentwickelte ist halt immer noch: "Wie D&D, nur ohne Level.", "Wie DSA, nur mit Prozentwürfeln.", "Wie WoD, nur mit Cyberware.".
Ich habe jetzt natürlich nicht die Mitarbeiten an den Werken (oft aber nicht immer) kommerzieller Produkte im Rollenspielbereich als gültige Antworten auf die Frage dieses Threads empfunden.
Es ist halt schon anders, wenn man FEDERFÜHREND an solch einem Projekt arbeitet, als wenn man "nur" (und sei es auch noch so aufwendig) mithilft.
Was mich vom Eigenentwickeln - insbesondere vom Regelsystembasteln - ziemlich abgebracht hat, war die Entdeckung, wie leicht man mit BRP beliebige Settings SPIELBAR machen konnte. Ich habe damit in Welten von C.J.Cherryh und Harry Harrison gespielt, ich habe TV-Serien-Vorlagen wie Babylon 5 damit spielen können, und ich habe bestehende Settings anderer Regelsysteme auf BRP konvertiert. - BRP ist zwar ein sehr angestaubtes Regelsystem, aber es gibt - wie ein alter VW-Käfer - noch jede Menge Laufleistung her und man weiß wenigstens, was passiert, wenn man hier oder da dran dreht. (Das ist bei moderneren Systemen nicht immer der Fall - da kann man (wie Savage Worlds Eingriffe am Regelkern zeigen) kräftig daneben langen, daß das Resultat nicht mehr befriedigend ist.)
Mit HeroWars/HeroQuest hatte ich dann das nächste "Bastelsystem", welches das Erschließen von neuen Settings leicht macht. Auch hier - ein Klassiker von mir - war wieder einmal Babylon 5 als prominentes TV-Vorlagen-Setting eine der ersten Conversions.
Und dann natürlich mit dem "Tool Time"-Rollenspiel schlechthin: Savage Worlds. - Seit ich mit SW angefangen habe, bastele ich STÄNDIG an meist mehr als nur einer Conversion gleichzeitig herum.
Dieses Regelsystem ist NICHT so "gutwillig" wie der BRP-"Käfer", sondern hier muß man schon schauen, was man anfaßt und wie man es anfaßt. - Aber das Resultat ist die Achtsamkeit wert: Ich SPIELE MEHR von meinen eigenen Conversions als ich JEMALS an "Selbstentwickelten Rollenspielen" zum Spielen gebracht hatte.
SW bietet mir einen Kern an Regeln, die funktionieren (wie auch HW/HQ oder BRP). Zusätzlich bietet es Werkzeuge und Werkzeugkästen/Baumaterialien (gerade die Toolkits sind enorm wertvoll für mich). - BRP hat dies mit seiner neuen Gesamtausgabe auch ansatzweise geschafft, doch sind im BRP-Gesamtwerk genau an den Stellen, die für einen Conversion-Bastler wichtig sind, dicke Lücken. Schade. - Auf das generische HeroQuest 2.0 warte ich mit großer Neugier. Vielleicht kann es (wenn die neue Fassung was taugen sollte) sogar SW bei mir den Rang als Conversion-System ablaufen.
Da ich WEISS zum einen DASS zum anderen WIE das Kern-System von SW funktioniert, kann ich mich bei den Conversions den Dingen widmen, die das SETTING zum rollenspielerischen Leben erwecken lassen, und muß mich nicht ständig von Neuem mit Fragen befassen, die mir nur eine Infrastruktur für die Unterfütterung des aktuell interessanten Settings mit Regeltechnik sorgen sollen.
Daher ist bei mir das BEDÜRFNIS komplett eigene Regelsysteme zu bauen, deutlich gesunken. - So richtig "komplett eigen" waren sie eh NIEMALS, sondern immer irgendwoher abgekupfert und nur neu gemischt.
Die RPG Design Patterns haben mir deutlich gezeigt, wieso ich eigentlich überhaupt keine Zeit mit Regelsystementwicklung verschwenden muß: Es gibt soviele bereits existente und ERPROBTE Ansätze, daß jede Stunde in "das Rad neu erfinden" zu investieren einfach verschwendet ist. - Besser man sucht sich den PASSENDEN Ansatz und modifiziert ihn soweit, daß er noch besser paßt (Ziel: nicht perfekt, sondern GUT GENUG ZUM SPIELEN).
Zudem: Offengestanden nerven mich die ständigen "neuen" Regelsysteme langsam. Wenn man mal ein paar Jahrzehnte aktiv im Hobby ist, dann hat man schon ziemlich viele Ausprägungen von Lösungen für immer dieselben Probleme gesehen. Und man hat gelernt, daß man mit den allermeisten davon seinen Spielspaß haben kann, und daß Streitigkeiten wie "Prozentwürfe sind überlegen" - "Nein, Poolsysteme sind besser" - "Nein, Balancieren von Resourcen ist das Beste" überflüssig sind.
Besser für was und für WEN?
Für MEINE Spielgruppen sind die Regelsysteme am Besten, die die Spieler kennen und zu denen sie bei einem neuen Setting den schnellsten Zugang haben, daß wir aus der Spielzeit möglichst viel SPIEL herausholen. - Das läßt mich heute vornehmlich SW, aber auch DL Classic (in der DL:HoE-Variante, da die mehr für Conversions hergibt), und HW/HQ (tendenziell eher HW), und schon seltener Risus, Unisystem, und noch seltener andere Regelsysteme heranziehen. - Eine Frage der reingesteckten Zeit und des herausgeholten Spiels für mich. Schneller und aufwandsärmer in der Erstellung, sowie leichter für den Start einer neuen Runde zugänglich und reibungsloser im Spielablauf muß es heute schon gegenüber früher sein. - Für mich sind Spielwelten mit enormer Einstiegshürde für die Spieler (und den Spielleiter) sowie Regelsysteme, die sich nicht sofort den Spielern erschließen und aufwendige Einarbeitung verlangen einfach unattraktiver als früher geworden.
Selbstentwickelt hätte ich früher sicher GERNE echte "Regelmonster" mit einem Maximum an "Realismus". - Heute ist mir "Realismus" egal, da reicht mit Plausibilität innerhalb der Genre- und Setting-Konventionen. Und Regelmonster möchte ich nicht einmal mehr anschauen, geschweige denn erst lernen und dann meinen Spielern beibringen.
Wenn ich heute mit den Eindrücken vornehmlich der Entwicklungen des letzten Jahrzehnts ein neues Rollenspiel entwickeln wollte, dann würde ich deutlich mehr Wert auf ZUGÄNGLICHKEIT für Spieler und Spielleiter legen und darauf, daß man merkt, daß man etwas SPIELT, daß es ein SPIEL ist und keine "Kunstform", kein "Laientheater" und keine Übung in "Resourcen-Management". - Meine Schwerpunkte, meine Vorlieben ändern sich ständig, manchmal auch sprunghaft. Aber durch den Rückblick auf ziemlich viel Zeit, die ich im Rollenspielhobby verbracht habe, erwarte ich nicht, daß ich bei Eigenentwicklungen "besser" bin, als die erfahrenen, soliden Handwerker in der Spielebranche oder höchstmotivierte Fanatiker, die mit heißem Willen ihr eigenes Rollenspiel an das Licht der Öffentlichkeit bringen wollen.
Ich will nur selbst was basteln, das wir dann gemeinsam bespielen können. - Und mit meiner aktuellen Ausstattung meines "Heimwerker-Kellers" kann ich das auch.
Und natürlich ist das oben Gesagte zum Teil gelogen. - Ich bin längst nicht so rundum zufrieden und satt, wie es scheint. Es gibt noch so einige Projekte, bei denen ich SOFORT und mit voller Kraft zupacken würde.
Das mir am meisten am Herzen liegende ist ein der Heftromanserie wirklich alle Ehre erweisendes MADDRAX-Rollenspiel irgendwann mal hierzulande erleben zu können.
Die IDEALE Regelunterstützung sehe ich in Savage Worlds, weil ich hierzu über meine Maddrax-Conversion schon jede Menge praktische Erprobung unterschiedlicher Ansätze gemacht habe, und ich nun ein SICHERES GEFÜHL dafür habe, wie man MADDRAX anpacken müßte, daß es die Begeisterung, die die Romanserie vermittelt, auch im Rollenspiel vermitteln kann.
Optimal wäre ein Maddrax-Regelband wie Solomon Kane, also mit allen Regeln in einem Band, mit jeder Menge Lokationen zum Bereisen und Abenteuer erleben und jeder Menge Kreaturen, Personen, und Dinge, die es zu entdecken gilt. Alles mit den packenden Titelbild-Illustrationen der Serie aufbereitet. Den Maddrax-Soundtrack als Add-On dazu. - Ein "Gesamterlebnis" Maddrax wäre, was mir hier vorschwebt.
Solch ein Projekt ist mir ja eine Herzensangelegenheit und da bin ich nicht "zufrieden und satt", sondern hungrig und voller Tatendurst.
Doch ist mir allein das eine Nummer zu groß. Das würde ich nie und nimmer alleine stemmen können, so daß ich bei meiner "Gut genug zum Spielen"-Conversion bleibe und an dieser immer mal wieder herumfeile. Vor allem die Lizenzfragen und sonstige rechtliche und geschäftliche Rahmenbedingungen dürften nicht ohne Komplexitäten sein. Etwas, was man sich als Hobby-Rollenspieler und Bastler nicht wirklich aufhalsen möchte.