Thema: RPGlern für Einsteiger: Als Erdling ab auf die Fantasywelt

[Waldviech]

Man kennt das altbekannte Prinzip aus unzähligen Fantasybüchern, Filmen und Computerspielen:
Arglose Menschen der modernen Gegenwart (oder dem, was zur Entstehung der Geschichte gerade die moderne Gegenwart war) werden unvermittelt in eine andere Dimension gesaugt und dürfen dort, in einer phantastischen Anderwelt, kühne Heldentaten vollbringen. Die alte D&D-Zeichentrickserie bedient sich dieses Topos ebenso wie die Gor-Romane, die Ultima-Reihe, Myst, Beastmaster 2 (zumindest zum Teil), viele von Burroughs Geschichten u.v.a.
Eigentlich müsste das doch eine perfekte Möglichkeit sein, in Fantasywelten einzusteigen. Sowohl die Spieler als auch die Charaktere benötigen zunächst keinerlei Vorwissen über die Fantasywelt, da ein Teil des Abenteuers ja im Erforschen dieser fremden Welt liegt. Dabei ist es eigentlich fast egal, um was für eine Art von Fantasywelt es sich handelt. Zwei Genre halte ich jedoch für besonders geeignet: Sowohl klassische Fantasy (die SC gelangen durch Magie in eine andere, "mittelalterliche" Dimension) als auch Weltraum-SF (die SC sind Opfer einer verpatzten UFO-Entführung und finden sich in der Star-Wars-Bar wieder) wären recht leicht machbar. (Horror-RPGs wie die nWoD oder Cthulhu lasse ich hier außen vor, da diese ohnehin in einer Welt spielen, die unserer weitgehend gleicht)

Wo liegen Stärken dieser Vorgehensweise, wo liegen die Schwächen ? Und was würdet ihr überhaut von so einem Kampagneneinstieg halten ?

[Ludovico]

Ich finde Romane, die in solchen Szenarios spielen, sehr interessant. Hier fällt mir insbesondere die Bannsänger-Reihe ein.

Die Idee, normale Menschen in eine Fantasy-Welt zu schicken, erleichtert meiner Meinung nach den Einstieg gerade für Anfänger (natürlich unter der Voraussetzung, dass auch die Einstiegshürde durch die Regeln sehr gering ist).
Problematik sehe ich aber besonders bei der Charaktererschaffung. Viele Werte des Charakters in der normalen Welt dürften in einem Fantasy-Setting obsolet werden (wie Autos, Computer, Pistolen,...). Das zugehörige Regelsystem müsste dies dann insbesondere berücksichtigen und entsprechend schnell der Inkompetenz der Charaktere Abhilfe verschaffen.

[Waldviech]

Viele Werte des Charakters in der normalen Welt dürften in einem Fantasy-Setting obsolet werden (wie Autos, Computer, Pistolen,...). Das zugehörige Regelsystem müsste dies dann insbesondere berücksichtigen und entsprechend schnell der Inkompetenz der Charaktere Abhilfe verschaffen.

Richtig, das ist das größte Problem. Einige moderne Fähigkeiten kann man mit etwas Phantasie sicher richtig nutzbringend einsetzen (heutige Schulchemie z.b.), andere wären völlig sinnfrei. Betrachtet man die Vorlagen, fällt natürlich auch auf, daß die dortigen Charaktere meistens "rein zufällig" Fertigkeiten besitzen, die sie in der anderen Welt hervorragend verwenden können - z.b. Sportfechten oder Bogenschießen.
Eine andere schöne Taktik ist, den Charakteren nach dem Wechsel in die andere Dimension besondere Kräfte zu verleihen, wie etwa in der D&D-Serie....

Edit:
Wobei diese Probleme insbesondere für "mittelalterliche" Fantasywelten gilt. Schicke ich die Charaktere in bester Tradition von "Per Anhalter durch die Galaxis" in´s abgedrehte All, gäbe es keinen Grund, warum man mit der Fähigkeit "Autofahren" nicht auch Schwebeautos auf Beta-Pictoris 3 steuern können sollte (immer vorausgesetzt, man holt die "Realismuskeule" nicht aus dem Schrank)

[Merlin Emrys]

Wo liegen Stärken dieser Vorgehensweise...

Eine recht entscheidende Stärke sehe ich darin, daß die Charaktere auf dem gleichen Wissensstand beginnen wie die Spieler. D.h. die Spieler können ihre Ratlosigkeit, ihre Irritationen, ihr Nichtwissen ihren Charakteren in den Kopf und in den Mund legen. Wenn man von Charakteren ausgeht, die in der Welt schon aufgewachsen sind, würde das eher die Fiktion brechen.

[Waldviech]

Der selbe Fakt ermöglicht imho auch sofortiges Losspielen, denn großartiges Einlesen in eine fiktive Welt erübrigt sich ja. Man muss nicht hundertunddrölfzig Seiten aventurischer/faerunischer/krejiorischer Kulturgeschichte studieren um spielen zu können, denn die SC kennen das ganze Zeug ja nicht. Diskussionen wie "Du musst diesen Krask/Thorwaler/Mondelfen anders spielen, denn in Werk X steht sowieso" fallen komplett aus...

[Nocturama]

Als Spieler würde mich die Mittelalter/Fantasyvariante mehr reizen - da kann man dann ein bißchen awesome sein, weil man sooo viel mehr weiß als die ungebildeten Einwohner.

Klar, dann müssten die Spieler auch Leute mit entsprechenden Fähigkeiten spielen. Als Bürofachkraft kann man in einem Mittelaltersetting halt nicht so viel machen (außer eine neue Ablagetechnik im Skriptorium einführen), aber als Arzt oder Chemiker kann man schon eine ganze Menge nützlicher Sachen, mit denen man Eindruck schinden kann. Bei einem Polizist/Soldat kommt dann eben zufällig auch der Boomstick mit.

Bei Sci-Fi käme ich mir immer ein bißchen wie der Hinterwäldlerische Cousin vor...

[Waldviech]

Als Bürofachkraft kann man in einem Mittelaltersetting halt nicht so viel machen (außer eine neue Ablagetechnik im Skriptorium einführen),

Das kann man aber durch "Freizeitfähigkeiten" ausgleichen. Geht man bei der Bürofachkraft einfach nur vom Beruf aus, dann sieht´s natürlich finster aus beim Fantasyabenteuer. Hat die Bürofachkraft aber mal einen Karate-Kurs gemacht oder kennt sich dank eigenem Schrebergarten gut mit Pflanzen aus, sähe die Sache schon anders aus...

[Woodman]

Ich würd das ganze etwas abändern für alles was in einer zeit spielt die mehr als ca. 200 jahre her ist und keinen neuzeitlichen char entwerfen, sondern einen erdling aus der entsprechenden periode in eine fantasywelt versetzen. Damit geht man dem problem aus dem weg, das die charactere in einer mittelalterlichen gesellschaft eigentlich nicht überlebensfähig wären, gleichzeitig kommt der char aus einer welt die den spielern aus dem geschichtsunterricht und ein paar historischen filmen und büchern bekannt genug ist um sich in ihn hinneinzuversetzen.

[Skyrock]

Ich wollte schon immer mal so eine Kampagne leiten (wenn auch eher mit Teens als mit mitten im Leben stehenden Berufstätigen, alleine schon um das Bildungsproblem zu dämpfen, und weil da die Entwicklung vom Erststüfler zum Helden mehr Sinn macht und wohl auch die Anpassung leichter fällt).

Als Freund von Gonzoelementen würde ich das ganze aber mit hochtechnischen Mitbringseln aus der Gegenwart anreichern, alleine schon als Ausgleich der SCs gegen die Ortskunde der NSCs. Wahrscheinlich würde ich dafür sogar ein Deck of Stuff maßschneidern und die Charaktere zufällig welche ziehen lassen.

[Waldviech]

Ich würd das ganze etwas abändern für alles was in einer zeit spielt die mehr als ca. 200 jahre her ist und keinen neuzeitlichen char entwerfen, sondern einen erdling aus der entsprechenden periode in eine fantasywelt versetzen.

Njää.....das wäre eigentlich schon fast wieder witzlos, da viele interessante Situationen sich ja gerade aus den immensen kulturellen und "wissenschaftlichen" Unterschieden zwischen Fantasywelt und Erde ergeben. Und vor allem wird es den literarischen, filmischen und spielerischen Vorlagen nicht gerecht. Gewisse "zu realistische" Probleme muss man bei derartigen Fantasyszenarien ohnehin ausblenden.

(wenn auch eher mit Teens als mit mitten im Leben stehenden Berufstätigen, alleine schon um das Bildungsproblem zu dämpfen, und weil da die Entwicklung vom Erststüfler zum Helden mehr Sinn macht und wohl auch die Anpassung leichter fällt).

Das macht natürlich ziemlich viel Sinn und wär´ ein sehr gangbarer Weg. Sag mal Skyrock, kannst du als bei Epos so halbwegs Involvierter dort nicht einen "Erdlings-Mod" vorschlagen ? Könnte die Eposwelt so ein Szenario verkraften ? 

[Skyrock]

Gerade wenn man moderne Technik einbauen will halte ich Epos für eine schlechte Wahl, weil das System keine Fernkampfwaffen abbilden kann, die schneller sind als Nahkampfangriffe (bzw. daran die ganze Systemökonomie kaputt gehen würde).

Zudem ist es eher auf geschlossene Kampagnen ausgelegt, die vorbei sind wenn alle Nemeseis totgeschlagen sind. Bei einer "Erdlinge auf der Fantasywelt"-Kampagne würde ich eher eine längere Kampagne mit einigem Augenmerk auf Exploration und Entwicklung machen, sonst hat es zuviel von Army of Darkness oder Back to the Future, wenn sich der ganze Spuk binnen kurzem auflöst.

[Waldviech]

weil das System keine Fernkampfwaffen abbilden kann, die schneller sind als Nahkampfangriffe (bzw. daran die ganze Systemökonomie kaputt gehen würde).

Ok - wenn der New-Yorker Polizist Snake Logan seinen Colt mit in´s Fantasyland nimmt während er den dimensionswechselnden wahnsinnigen Hexenmeister Orkulus verfolgt, ist das natürlich äusserst abträglich. War aber auch nur so´ne spontane Idee  .

[Yvo]

Ich glaube nicht, dass dieses Konzept Einsteiger begeistern würde...
Zudem öffnet es Klamauk die Türe und die Leute kommen auf schlechte Gedanken (Hey, ich weiß, wie man Schwarzpulver herstellt...)

Was ich allerdings richtig gut fand, war der Einstieg bei dem Computerspiel Vampire: Bloodlines. Als Vampir-Neuling wurde man nach und nach in die Welt eingeführt.

[Nocturama]

Gerade "ich weiß, wie man Schwarzpulver herstellt" würde mir spaß machen. Immerhin will man ja auch etwas Einfluss haben. Genau das fände ich an Menschen mit etwas größerem Wissen/besonderen Fähigkeiten reizvoll: Man kann wirklich was in einer Low-Fantasy-Mittelalterwelt verändern. Und damit angeben, dass man sich mit Zahnpflege auskennt 

Einsteigerfreundlicher wäre aber wahrscheinlich die Teenager/völlig unbedarfte Kerle-Variante, die nach dem Übergang besondere Fähigkeiten erlangen oder gleich von Lord Löwenherz als Knappe eingestellt werden.

[Waldviech]

Zudem öffnet es Klamauk die Türe und die Leute kommen auf schlechte Gedanken (Hey, ich weiß, wie man Schwarzpulver herstellt...)

Ist das tatsächlich ein Nachteil ? Ich habe bis jetzt noch keine RPG-Gruppe gehabt, bei der nicht doch mal irgendwann Klamauk in´s Spiel gekommen wäre (und sei es nur als Spurenelement). Und beim Schwarzpulver ist ziemlich stark vom Zusammenhang abhängig, ob es ein "Schlechter Gedanke" ist, oder nicht. Nicht überall gilt das DSA-Dogma vom bösen Schießpulver-Pfuipfui - und in einigen Fantasywelten würde es sich nicht mal um "überlegenes" Wissen handeln (Warhammer z.b.). Ich halte die Satzung "Schießpulver tötet Fantasy" ohnehin für ein abstruses Vorurteil, da es nur bei einer ganz eng eingegrenzten Art von Fantasy wirklich zutreffend wäre. Spiele ich mit "Quasi-Zeitreisenden" aus der modernen Welt, würde das Einführen moderner Ideen sogar fest zum Plotinventar gehören. Hier entspricht es durchaus den Genrekonventionen, wenn der dimensionsverschobene Teenager aus Kansas den Rittern des guten Königs zeigt, wie man Bomben baut um die Truppen des fiesen Dämonenlords zurückzuschlagen.

[Skyrock]

Ich halte die Satzung "Schießpulver tötet Fantasy" ohnehin für ein abstruses Vorurteil, da es nur bei einer ganz eng eingegrenzten Art von Fantasy wirklich zutreffend wäre.

Hören Sie auf diesen Mann!

(Nicht umsonst hat in meiner aktuellen Kampagnenwelt jede zivilisierte Macht Zugriff auf Schwarzpulver, Feuerwaffen und Kanonen...)

[Slive]

Ich halte sowas aus 2 Gründen für etwas schwierig:
Erstens ist die Distanz zur eigenen Person und zum eigenen Alltag einer der Hauptreize, den Rollenspielen für mich hat. Zweitens könnte ich mich niemals in Werten abbilden, ohne mich dabei entweder sprichwörtlich auf dem Papier herumzutragen oder alles zu verfälschen.
Grüße,
der slive

[Lichtschwerttänzer]

Ich glaube nicht, dass dieses Konzept Einsteiger begeistern würde...
Zudem öffnet es Klamauk die Türe und die Leute kommen auf schlechte Gedanken (Hey, ich weiß, wie man Schwarzpulver herstellt...)

A es ist kein schlechter Gedanke

B und?

C wirklich?

Dann erklär es mir bitte, wie man es macht.

[Waldviech]

Ich halte sowas aus 2 Gründen für etwas schwierig:
Erstens ist die Distanz zur eigenen Person und zum eigenen Alltag einer der Hauptreize, den Rollenspielen für mich hat. Zweitens könnte ich mich niemals in Werten abbilden, ohne mich dabei entweder sprichwörtlich auf dem Papier herumzutragen oder alles zu verfälschen.

Ginge mir auch so, wenn ich mich selber in Charakterwerten darstellen sollte. Allerdings geht´s mir hier nicht darum, daß die Spieler tatsächlich sich selbst spielen, sondern einfach nur Leute von der heutigen Erde. Das setzt nicht vorraus, daß es von den SC her nicht in eine heldige Richtung gehen kann. Daher auch weiter oben das Snake-Logan-Beispiel. Erdlinge in den einschlägigen Vorlagen sind ja meistens irgendwie "heldig" (Selbst Knallchargen wie Ash aus "Armee der Finsternis" )
Der Grundvorteil bleibt natürlich, denn auch wenn die Spieler sich nicht selbst spielen, bleibt ja der Aspekt, daß die Spieler die moderne Erde, oder zumindest den Teil davon in dem sie leben, wie ihre Westentasche kennen und sich daher hervorragend in Charaktere von dort versetzen können. Daher ist ja auch die Einstiegshürde bei RPGs wie der WoD oder Cthulhu Now so niedrig....

[Lichtschwerttänzer]

Nachtrag

Einige literarische Beispiele
http://en.wikipedia.org/wiki/Janissaries_(novel)


http://www.webscription.net/chapters/0671319728/0671319728.htm?blurb

[Waldviech]

http://en.wikipedia.org/wiki/Janissaries_(novel)
Hab mal die fehlende Klammer ergänzt, sonst führt der Link leider in´s Leere. Und danke für das passende Beispiel !  (Ich mag da vor allem den Gedanken, den Menschen die Rolle der Kriegerrasse zu geben  )

Ich vermute auch, viele der Vorbehalte gegen den hier diskutierten Ansatz, eine Fantasywelt mit Erdlingen zu erforschen, basieren auf einer recht DSA-lastigen Sichtweise auf Fantasy, denn die hier gebrachten Gegenargumente referieren imho sehr stark auf diverse gängige DSA-Konventionen:

- Schießpulver ist ein No-Go, das unter allen Umständen vermieden werden muss, weil es "Fantasy tötet" (hält sich die Redax zwar selber nicht mehr dran, das ändert aber nix daran, daß diese Sichtweise noch weit verbreitet ist)
- Modernismen und Charaktere, die sich "modern" verhalten, sind ein No-Go, wenn sie nicht "gut versteckt" sind (wird in einer Reihe von kiesowschen Negativbeispielen aus einer alten DSA-Grundbox ausgiebig abgegrast und verpönt)
- Die Aktionen der Charaktere dürfen die Spielwelt nicht zu stark beeinflussen (damit der Metaplot weiterlaufen kann.)
- Das Spiel hat "erwachsen" zu sein (Das besondere persönliche Trauma von DSA, da es für Viele ja zunächst als "kindisch" galt)
- Es wird starker Wert auf möglichst viel "Realismus" gelegt (Charaktere aus der modernen Welt wären dort ja garnicht überlebensfähig, weil...)

Das Fantasy aber auch anders funktionieren kann, als in DSA....

[Ludovico]

Mein Favorit aus der Ecke und auch noch eine Möglichkeit, wie man es machen kann:Bann-Sänger-Zyklus

Die SCs kriegen einfach spezielle Kräfte, wie hier die Bannsänger-Zauberei. Wobei ich meine, dass er auch sein Wissen noch regelmäßig anwendet.

[Waldviech]

Die Reihe hört sich gut an - vor allem der Weltenwechsel nach dem Joint ist Klasse. Das bietet Raum für schööööne Szenen 

[Skyrock]

Ich würde auch nicht die Spieler sich selbst spielen lassen...

Ansonsten hatte ich noch die Idee im Hinterkopf, für die hypothetische "Teenies IN SPAAACE im Land der Unholde&Unterführungen"-Kampagne als Ersatz für die Rassenauswahl (bei der ja nur Menschen offenstehen) mit Splats nach der Rolle in der realen Welt zu arbeiten, mit heftiger Anlehnung an drittklassige Highschoolserien. Etwa Jocks (bessere Physis), Nerds (können als einzige Schwarzpulverbomben, Taschenlampen und Funkgeräte bauen), Cheerleaderinnen (andere anfeuern und nebenbei leicht verbesserte Ausweich- und Sozialfähigkeiten)...

[Ludovico]

Welches Regelsystem könnte man dafür überhaupt nehmen? FATE? Ubiquity in der Desolation-Form? Savage Worlds? D20? D&D 4? ORE?