Erben der Himmel
Die Erben der Himmel versteht sich selbst als ein „dystopisches Science Fantasy Szenario“. Nach einer verheerenden Entwicklung voller atomarer Kriege, humanitärer Katastrophen und ökologischer Krisen befindet sich die Menschheit zu Beginn des 22. Jahrtausend vor dem Abgrund. Hinein in diese apokalyptische Atmosphäre bricht ein epochales Ereignis: der Mond verändert sich in Größe und Umlaufbahn, gewinnt drei Trabanten hinzu und beherbergt plötzliche eine üppige Flora und Fauna, entsprungen aus der Prähistorie der Erde und den Mythologien der Menschen. Die Kalaki, riesige Fabelwesen mit menschlichen Zügen, prägen das Leben auf dem Mond – und schicken sich an, auch die alte Erde zu besiedeln. Einige Menschen erwerben seltsame Fähigkeiten.
Beim ersten Durchblättern des Settings fällt zunächst das Fehlen von Deckblatt, Inhaltsverzeichnis, Kapitelnummerierung und Seitenzahlen auf. Lediglich die Kapitelüberschriften sind durch eine größere Schrift abgesetzt. Abgesehen davon, dass hier elementare Serviceleistungen gegenüber dem Leser nicht erbracht werden, gibt dieses Versäumnis dem Ganzen einen Anstrich von Unausgegorenheit. Es passt in dieses Bild, dass der Text, der am ehesten als Exposé durchgeht, nicht vorangestellt, sondern hinter einem einleitenden Flufftext platziert ist.
Wenn man einmal über die Präsentation hinweg sieht, kann die Erben der Himmel durchaus punkten. Die Einleitung führt in einer streckenweise rasanten Sprache tief ins apokalyptische Elend hinein, in das sich die Menschheit im Laufe des 21. Jahrhunderts hinein manövriert hat. Man weiß zwar nicht genau, worum es gehen wird – aber immerhin ist man atmosphärisch ausgezeichnet auf das Weitere vorbereitet und wird durchaus neugierig darauf gemacht, was sich hinter dem „Erbe des Himmels“ genau verbirgt.
Ein Pluspunkt ist, dass das Setting rund um einen klar erkennbaren Kern gebaut ist: in einer düsteren Zukunft verändert sich der Mond, bringt mächtige, menschenähnliche Fabelwesen hervor und einige Menschen bekommen übernatürliche Fähigkeiten. Das Setting beschreibt sinnvoller Weise die Situation auf der Erde sowie auf dem transformierten Mond und seinen Trabanten (von denen mysteriöse Kräfte ausgehen). Abgeschlossen wird das Ganze dann von einigen Erläuterungen zu den „Erben“, also den Menschen, die durch den Mond und die Trabanten verändert werden und sich teilweise in Kalakis verwandeln können. Die Spieler spielen solche Erben.
Die dystopisch-düstere Zukunft wird solide Beschrieben. Da gibt es zwar keine Überraschungen. Aber das ist auch nicht notwendig, weil damit ja nur der Hintergrund für die eigentlich zentrale Thematik geliefert werden soll: die Erben. Aber genau hier entzündet sich dann auch eine grundsätzliche Kritik. Denn man erfährt viel zu wenig darüber, was die Erben wollen, was sie antreibt und wonach sie streben. Die Erben, immerhin ja die Protagonisten des Spiels, werden kaum charakterisiert: sind es Einzelgänger oder arbeiten sie zusammen? Bringen sie der Erde neue Hoffnung oder werden sie zum Nemesis der Menschheit? Oder bleiben sie abgesehen von ihren Fähigkeiten normale Menschen? Es ist völlig unklar, welche Art von Geschichten hier erzählt werden sollen. Sicherlich, es werden einige übernatürliche Fähigkeiten, äußerliche Auffälligkeiten und geschichtlichen Begebenheiten skizziert, aber man bleibt doch völlig im Dunkeln, worauf das Ganze hinaus laufen soll.
Leider bricht das Setting dann auch sehr abrupt ab. Man hat den Eindruck, dass am Ende die Zeit knapp geworden ist.
Will ich hier spielen? Nein. Denn das Setting versäumt es, mir vor Augen zu führen, worin der Reiz besteht, einen Erben in der geschilderten apokalyptischen Situation zu spielen.
Kann ich sofort spielen? Es fehlen konkrete Abenteueraufhänger. Da man auch so gut wie nichts über die Motive und Persönlichkeiten der Erben und der Kalaki erfährt, weiß man nicht so recht, was für eine Art von Abenteuer in „Die Erben der Himmel“ gespielt werden soll.
Fazit: Die Erben der Himmel ist bisweilen gut geschrieben und erzeugt einige starke Bilder über die Zukunft zu Beginn des 22. Jahrhunderts. Die Idee einer historischen Zäsur durch die Verwandlung des Mondes und das damit einhergehende Auftauchen neuer Wesenheiten setzt sich sofort im Kopf fest. Eine gute Idee. Aber die inhaltliche Durchführung lässt insgesamt betrachtet einfach zu viele Wünsche offen. Da wäre – auch in dem vorgegebenen Wörterlimit – mehr drinnen gewesen hinsichtlich einer konkreten Charakterisierung der Protagonisten, möglicher Konflikte und Abenteuer. Man weiß am Ende einfach zu wenig, als dass man die Erben der Himmel spielen könnte.
Keine Nominierung.