Autor Thema: [Regelkonstruktion] Bedürfnisse als Steuerungselement der Charakterhandlungen  (Gelesen 1874 mal)

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Offline Beral

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Meine Fantasie dreht mal wieder durch und der Verstand kommt mal wieder nicht hinterher. Vielleicht könnt ihr mir helfen. :)

Die Idee ist folgende. Um die Motivationen und Handlungen der Charaktere zu steuern, kommt ein Bedürfnismodell zum Einsatz. Folgende Bedürfnisliste soll als Beispiel dienen: Hunger, Sex, Sicherheit, Neugierde. Hunger und Sex sind ziemlich selbsterklärend. Sicherheit ist das Bedürfnis nach Vertrautem, nach Dingen, die uns Halt geben. Dazu zählen banale Alltagsrituale, Zeit mit Freunden, Partnern, Verwandten usw. Im Prinzip alles, was Sicherheit vermittelt, weil wir es kennen, sowie Dinge und Personen, von denen wir Schutz und Unterstützung erwarten können. Das Gegenteil davon ist das Bedürfnis nach Neuem, nach Abenteuer. In der Bude zu hocken ist sicher, wird aber langweilig, also gehen wir raus und suchen Abwechslung.

Es gibt also die 4 Bedürfnisse. Sie bekommen Normwerte. Die Normwerte können sowohl überschritten als auch unterschritten werden. Der Charakter ist permanent bestrebt, die Bedürfnisse im Normbereich zu halten. Je weiter ein Bedürfnis vom Normwert entfernt liegt, deso stärker fokussiert der Charakter auf die Befriedigung eben dieses Bedürfnisses. Die Bedürfnisse werden hierarchisch geordnet, z.B. in der Reihenfolge der obigen Auflistung. Das heißt, wenn mehrere Bedürfnisse befriedigt werden wollen, kümmert sich der Charakter grundsätzlich um das Dringendste. Hunger zu stillen hat Vorrag vor der Erkundung einer neuen Landschaft. Der Reiz der unbekannten Landschaft tritt dagegen in den Hintergrund, wenn man den Drang nach Fortpflanzung verspürt. Ein gewisser Spielraum ergibt sich durch die Eigenschaft "Wille", mit derem (endlichen) Potential Abweichungen toleriert werden können.

Ob das eine gute oder schlechte Idee ist, für welche Spiele sie geeignet ist und für welche nicht, ob die Bedürfnisse sinnvoll zusammengestellt sind oder nicht, interessiert mich im Moment nicht und soll bitte nicht Gegenstand der Diskussion werden.
Was mir den Kopf brummen lässt, ist die Frage der Operationalisierung. Wie setze ich die Idee in eine Regelmechanik um?

Ab hier beginnen meine Probleme. Ich habe mir jeweils eine Skala für jedes Bedürfnis vorgestellt, sagen wir von 1-10. Ötzi, der Steinzeitjäger, soll folgende Normwerte bekommen:
  • Hunger: 6. Dieser Wert variiert recht wenig (z.B. zwischen 5 und 7, in Abhängigkeit vom Gewicht)
  • Sex: 7. Ötzi ist dauernd auf der Suche.
  • Sicherheit: 3. Abends ein schützendes Lagerfeuer, unter dem Hemd ein Schutzamulett, viel mehr braucht Ötzi nicht, um sich geborgen zu fühlen.
  • Neugierde: 9. Ötzi ist ein echter Abenteurer. Länger als eine Woche hält er es auf einem Fleck kaum aus. Wo andere Leute beim Kontakt mit Fremden längst unter Stress stehen, fühlt sich Ötzi gerade erst pudelwohl.

Folgende Regulationsmöglichkeiten kreisen mir im Sinn:
  • In definierten Zeitabständen klettert das Bedürfnis auf der Skala um 1 hoch (z.B. alle 6 Stunden bei Hunger, alle 24 Stunden bei Neugierde).
  • Je kleiner der Normwert, desto schneller ist das Bedüfnis befriedigt. Die "Bedürfnisstiller" bekommen Werte zugewiesen. Sie senken das Bedürfnis auf der Skala um entsprechend viele Schritte. Beispiel: Eine halbes Hähnchen (1) senkt den Hunger um 1. Nach einem Tag ohne Mahlzeit (12 Stunden -> Anstieg bei Ötzi von 6 auf 8 ) kommt Ötzi damit nur auf 7 runter, ist also immer noch hungrig.

Irgendwie kriege ich das alles nicht zu einem einheitlichen Mechanismus zusammen. Vielleicht könnt ihr mich auf die richtige Spur schubsen (oder mich komplett aus der Spur bringen, dann habe ich wenigstens den Kopf frei von dem Zeug).
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Offline Lichtbringer

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Wenn das so weiter geht, werde ich hier noch (zu Unrecht) als reiner Erzählspieler rüberkommen, aber wieso braucht man für sowas Regeln? Die SC sind doch keine Tamagotchis.
Die Grundidee finde ich gut, sogar die Quantifizierung des Durchschnittsfalls. Aber mit sich verändernden Werten und Proben darauf..? Sowas würde ich immer dem Spielleiter überlassen, wann er welche Abzüge wegen Nahrungsmagels fordert. Ich gehe immer von (halbwegs) mündigen SLs aus.

Offline Beral

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Was würdest du anders machen? Und wie?
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Offline Lichtbringer

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Ich würde das Ganze in eine Art zusätzliches Blatt zum Charakterblatt einbetten (was ich in ähnlicher Form schon getan habe, da ging es aber um Motive und Gesinnungen), auf dem daneben auch noch einige Spalten für Fließtext sind. Dann können die Spieler das Verhalten ihres Charakters auf diesem Blatt sowohl beschreiben als auch (vielleicht durch ein Vor- und Nachteilssystem unterstützt) in die entsprechenden Verläufe einordnen.
Ich würde nur kein Regelsystem um diese Verläufe herumbauen. Das wird nicht sonderlich gut funktionieren. Du bräuchtest für Hunger z. B. Tabellen für den Kalorienverbrauch je nach Tätigkeit. Stattdessen würde ich die Konsequenzen dieser Zahlen dem SL überlassen.

Offline Beral

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Ich würde nicht so weit gehen wollen, Kalorientabellen zu erstellen. "Braucht einen Snack", "Braucht eine nahrhafte Portion" und "Braucht eine große nahrhafte Portion" fände ich als Skalierung völlig ok. Die Gruppe wird selbst wissen, in welche dieser Kategorien eine Handvoll Salat oder eine Rehkeule einzuordnen sind.

Ich will also gar nicht darauf hinaus, wie bei D&D alles bis ins kleinste Detail zu verregeln. Mir geht es um den Kernmechanismus, also um die Tatsache, dass jeder Charakter verschieden starke Bedürfnisse hat und diese befriedigen muss, weil er sonst Nachteile erleidet. Diese Idee möchte ich nicht einfach als Anreiz anbieten, den der SL im eigenen Ermessen ausnutzt. Ich möchte sie zur Pflicht machen, zu einem Motor, der den Charakter permanent antreibt. Ich will diesen Motor keinem Menschen aufdrängen, der ihn sinnlos findet und ihn nicht benutzen will, ich habe einfach Lust, ihn zu bauen. Es ist ein Experiment, bei dem ich technische Hilfe benötige.
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Offline pharyon

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Es gibt also die 4 Bedürfnisse. Sie bekommen Normwerte. Die Normwerte können sowohl überschritten als auch unterschritten werden. Der Charakter ist permanent bestrebt, die Bedürfnisse im Normbereich zu halten. Je weiter ein Bedürfnis vom Normwert entfernt liegt, deso stärker fokussiert der Charakter auf die Befriedigung eben dieses Bedürfnisses. Die Bedürfnisse werden hierarchisch geordnet, z.B. in der Reihenfolge der obigen Auflistung. Das heißt, wenn mehrere Bedürfnisse befriedigt werden wollen, kümmert sich der Charakter grundsätzlich um das Dringendste. Hunger zu stillen hat Vorrag vor der Erkundung einer neuen Landschaft. Der Reiz der unbekannten Landschaft tritt dagegen in den Hintergrund, wenn man den Drang nach Fortpflanzung verspürt. Ein gewisser Spielraum ergibt sich durch die Eigenschaft "Wille", mit derem (endlichen) Potential Abweichungen toleriert werden können.
Die Idee find ich gut, abgesehen von ein paar Punkten, die du nicht diskutieren möchtest. :)

Zitat
Ob das eine gute oder schlechte Idee ist, für welche Spiele sie geeignet ist und für welche nicht, ob die Bedürfnisse sinnvoll zusammengestellt sind oder nicht, interessiert mich im Moment nicht und soll bitte nicht Gegenstand der Diskussion werden.
Was mir den Kopf brummen lässt, ist die Frage der Operationalisierung. Wie setze ich die Idee in eine Regelmechanik um?

Folgende Regulationsmöglichkeiten kreisen mir im Sinn:
  • In definierten Zeitabständen klettert das Bedürfnis auf der Skala um 1 hoch (z.B. alle 6 Stunden bei Hunger, alle 24 Stunden bei Neugierde).
  • Je kleiner der Normwert, desto schneller ist das Bedüfnis befriedigt. Die "Bedürfnisstiller" bekommen Werte zugewiesen. Sie senken das Bedürfnis auf der Skala um entsprechend viele Schritte. Beispiel: Eine halbes Hähnchen (1) senkt den Hunger um 1. Nach einem Tag ohne Mahlzeit (12 Stunden -> Anstieg bei Ötzi von 6 auf 8 ) kommt Ötzi damit nur auf 7 runter, ist also immer noch hungrig.

Irgendwie kriege ich das alles nicht zu einem einheitlichen Mechanismus zusammen. Vielleicht könnt ihr mich auf die richtige Spur schubsen (oder mich komplett aus der Spur bringen, dann habe ich wenigstens den Kopf frei von dem Zeug).
Je nachdem welches System du ansetzt, kann man flexibel reagieren. Ein Pool-System könnte hier z.B. nützlich sein. Dann kannst du mit dem "individuellen Normalbereich" einen Wert festlegen, der über- oder unterwürfelt werden müsste (dein Beispiel mit dem Barbaren würde imo in der Ausrichtung Überwürfeln erfordern). Und je länger die Bedürfnisbefriedigung ausbleibt, desto mehr Würfel muss der Spieler würfeln.

Also - nehmen wir uns den Hunger. Der Barbar hat einen Wert von 6. Er hat gerade erst gefrühstückt, muss also noch keinen Hunger stillen. Nach einer festgelegten Zeiteinheit kommt das erste Magengrummeln. Der Spieler muss einen Würfel werfen oder wartet noch ab. Im letzteren Fall steigt - nach einiger Zeit - die Zahl der Würfel auf 2, und so weiter. Ein hoher Wert bedeutet, dass es schwieriger wird, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Objekte können dann die "Schwierigkeit" beeinflussen, Zeit und evtl. Magie die Zahl der Würfel. Die Anzahl der "Erfolge" löscht dann eine bestimmte Zahl an Würfeln. Hier kann man sich auch überlegen, wie es wirkt, wenn man mehr Erfolge hat, als Würfel zum Tilgen. Bei Hunger wäre das imo "Überfressen". Bei Sex oder den anderen Sachen wirds kniffliger.

Naja, evtl. kannst du damit ja was anfangen.
Gruß, p^^
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Offline Beral

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Hm, interessant. An direkten Würfeleinsatz habe ich überhaupt nicht gedacht. Das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen.

Meine bisherige Vorstellung: Eine Normwertabweichung führt zu einer Charakterhandlung. Wenn Ötzi (ehemals Steinzeitmensch, jetzt Barbar ^^), Hunger hat, muss er etwas dagegen unternehmen. Zum Beispiel zu seinem Weib gehen und sagen: "Weib, ich habe Hunger!" Entweder gibt es dann was auf den Tisch und der Hunger wird gestillt, oder es gibt Anschiss vom Weib, weil das Kühlfach leer ist; dann muss Ötzi jagen gehen. Das wird beliebig intensiv ausgespielt, hier kommen auch Fertigkeitswürfe zum Einsatz. Bei Erfolg schleppt Ötzi ein Wildschwein nach Hause, lässt sich was zubereiten und kann endlich den Hunger stillen. Eventuell war die Jagd besonders abenteuerlich und gefährlich, dann hat sie das Bedürfnis nach Sicherheit gesteigert. Also geht Ötzi in die Dorfkneipe, um in vertrauter Männerrunde seine aufregende Geschichte zu erzählen. Danach hat er alles im Normbereich und kann in Ruhe schlafen gehen.

Vielleicht ist Ötzi auch kein guter Jäger. Vielleicht lässt er sein Weib arbeiten und vom Erlös Lebensmittel auf dem Markt einkaufen. Bei Hunger muss Ötzi seine Fertigkeiten "Betteln" und "Beschwichtigen" einsetzen, um vom Weib Futter zu bekommen und Anschiss zu vermeiden. Hierbei können wieder Würfel eingesetzt werden.
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Offline pharyon

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Meine bisherige Vorstellung: Eine Normwertabweichung führt zu einer Charakterhandlung.
Okay, kannst du auch so handhaben. Meines Erachtens ist es aber sinnvoll, dass die Zustände aber auch einen regelseitigen Effekt haben. Lassen wir das Gewürfele um Zustandsänderungen weg - es gibt noch ganz andere Möglichkeiten. Zum Beispiel: Je extremer ein Wert abweicht, desto schlimmer werden die Proben, z.B. mit Schwierigkeiten. Gibt einem auch die Möglichkeit mehrere Effekte zu kombinieren - ein unter.....ter, hungriger, verängstigter und überreizter Ötzi hätte also ordentlich Schwierigkeiten sich gegen seinen Nachbarn Betzi zu behaupten.

Außerdem: Steinzeitmenschen waren alles nur Barbaren!  ;D
p^^
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Offline Beral

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Ich habe aktuell den Eindruck, dass es nicht am Mechanismus, sondern an der Balance hapert.

Wie auch immer: Feuer frei für jegliche Kritik an der Idee!

Mein aktueller Ideenstand: Nur die beiden Skalen "Sicherheit" und "Abenteuer/Neugier" bleiben erhalten. Die interagieren auch kräftig miteinander. Neues, Herausforderungen und Abenteuer erhöhen das Bedürfnis nach Sicherheit. Die Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses unter den Normwert führt zu Überdruß und treibt das Bedürfnis nach Abenteuer in die Höhe. Die Rückkoppelung der beiden Skalen reicht unter Umständen schon aus, um den Char auf Trab zu halten.
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Offline Naga

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Mich erinnerts irgendwie an schlechte Eigenschaften bei DSA:
- Ganz allgemein gibt es eine Erschwernis, wenn der Nachteil zum Tragen kommt. Man könnte also für jeden Punkt Abweichung vom Normwert die Proben des Charakters entsprechend erschweren. Auf diese Weise werden sich die Spieler schon von selbst um die Bedürfnisse ihres Tamagochis Charakters kümmern.
- Wenn sich eine Versuchung auftut, kann man eine Probe auf den derzeitigen Bedürfniswert: Überwürfelt man ihn, gibt der Charakter seiner Versuchung nach.

Und bei DSA ist man glaub aus gutem Grund davon weg gekommen, jedem Charakter gleichen festen Satz solcher Triebe zu verpassen. Mehr Buchhaltung und Würfeln für Dinge, an denen der Spieler nicht wirklich Interesse hat.
Wenn ich mich nicht irre, dann haben sich da selbst die recht simplen Erschöpfungs-Regeln sich nicht wirklich durchgesetzt. Von daher seh ich irgendwie keinen "Markt" für dein Trieb-System...

Offline Beral

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Meine Ideen finden grundsätzlich keinen Markt, das ist nicht weiter schlimm.
Aber wie schon gesagt, Würfe auf das Bedürfnis selbst hatte ich zu keinem Zeitpunkt im Konzept drin. Da sehe ich einfach keinen Bedarf an einem Zufallsmechanismus wie bei DSA. Wenn man etwas braucht, dann braucht man es. Punkt.

Ich denke, der Ansatz könnte für Leute interessant sein, die an einer konsequenten Darstellung von Charaktereigenschaften interessiert sind. Wem das zu einengend oder nervig ist, der ist natürlich schlecht beraten mit solchen Regeln.
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