Mich erstaunt zur Zeit die anscheinende Vorliebe für Retro-Rollenspiele. Vor allem die "Neu"-Auflagen alter Rollenspiele und die im D&D-Channel gerade ausführlichst präsentierte Menge an D&D-Retro-Systemen bringt mich verstärkt zur Frage: Warum?
Das hat sicherlich viele Gründe... aber lass mich zuerst auf deine Anmerkungen eingehen.
Sicher, die "neu" erscheinenden Versionen alter Spiele sind an die Nostalgiker gerichtet - man kann wohl kaum davon ausgehen, mit simplen Neudrucken tatsächlich neue Kunden zu gewinnen.
Das zum Beispiel stimmt so nicht. Nimm mich als Beispiel: Ich habe 1984 zum ersten Mal ein Spiel geleitet (DSA), bevor ich dann Anfang der 90er zuerst auf Amber Diceless, wiederum später auf Theatrix und Everway umgestiegen bin. Wir spielten bis vor anderthalb Jahren komplett würfellos und freiformig. Irgendwann fehlte mir die rohe, ungeschliffene Spannung und die Angst der Spieler um ihre Charaktere ganz gewaltig. Wir hatten so lange thematisch fokussierte Erzählspiele gespielt, dass für uns die erzählte Geschichte ALLES bedeutete, aber alles andere ausgeblendet wurde. Es machte keinen Spaß mehr. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie oft wir aus Rollenspielsitzungen rauskamen, schwer enttäuscht, weil wir keine "ordentliche Geschichte" zusammengebracht hatten.
Dann erfuhr ich von Lab Lord, S&W und anderen Retro-Klonen und lud sie mir herunter. Danach die Little Brown Books, also das original D&D von 1974. Und ich fand Regeln für eine Art des Spielens vor, wie ich sie mir seit langer Zeit gewünscht hatte, Regeln, die Kreativität und gedankliche Freiheit forderten.
Ich bin kein Grognard, aber ich habe meine Liebe zu Old School gefunden. Dahinter steckt weit mehr als Nostalgie; die ist nur eine Randerscheinung. Retro-Spieler nehmen das, was sie als gut empfinden in den alten Regeln und spielen als Erwachsene die Systeme, die damals auch von Erwachsenen geschrieben worden waren.
Aber kann man damit auch die D&D-Retro-Spiele begründen? Ist das nur ein Ausdruck der Abneigung gegen die neueste Edition? Will man die Gute Alte ZeitTM beschwören? Will man simple Regeln und findet sie aktuell nicht?
Ein sehr, sehr guter Artikel zu genau diesen Themen ist hier:
http://www.knights-n-knaves.com/phpbb/viewtopic.php?t=5969Und was sich mir zudem noch aufdrängt: Sind nicht letztlich alle diese Spiele übelste Heartbreaker, die gar nicht innovativ sein wollen?
Definiere Heartbreaker.
Viele Retro-Spiele, etwa LL, OSRIC oder S&W White Box, ordnen lediglich die Regeln neu und übersichtlicher (und müssen dabei leicht veränderte Zahlen verwenden, weil es sonst Probleme mit der OGL gäbe) -- und machen die alten Systeme dabei neuen Spielern zugänglich.
Was ist innovativ?
Sich neue Regeln ausdenken?
Regeln und Darstellungen entzerren und übersichtlich darstellen?
Es geht bei Retro-Regeln nicht um neue, andersartige Regelmechanismen, sondern um eine verständlichere Neuformulierung der alten Regeln.
Ein Beispiel: Nachdem ich OD&D zum ersten durchgelesen hatte, war ich geplättet. Es ergab keinen Sinn, war stellenweise so wirr formuliert, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was gemeint war. Eine schwer durchdringbare Wüste, mit kruden Illustrationen und kryptischen Anmerkungen. Erst nachdem ich Swords & Wizardry gelesen hatte, erschloss sich OD&D für mich.
Beißt sich das nicht mit dem Versuch, damit auf dem Markt zu bestehen? Schließlich werden sie ja (teilweise) sogar verkauft! Und sind nicht gerade die Unterschiede bei diesen "Klonen" so gering, dass man sich ernsthaft fragen muss, warum da jeder sein eigenes Süppchen kocht?
Die Antworten darauf sind so vielfältig wie die Menschen, die diese Spiele schreiben oder spielen. Und die Tatsache, dass sie fast alle kostenlos runterzuladen sind, beweist ja, dass es nicht in erster Linie um Geld geht. Hier nochmal der Verweis auf den wirklich lesenswerten Beitrag zum Thema Old School:
http://www.knights-n-knaves.com/phpbb/viewtopic.php?t=5969Beste Grüße,
Norbert