Charaktersterblichkeit ist ja nur ein Symptom. Das gleiche gilt für Misserfolge, Niederlagen, bleibende Schäden, den Verlust von Ausrüstung, Gold, usw. Selbst Star Wars d6 1st Edition, die Bibel des Illusionismus, enthält einen Abschnitt mit der Überschrift „When can they fail?“ Und selbst als ich noch Railroad-Erzählonkel-SL war, sind bei mir gelegentlich Charaktere gestorben, wenn die Spieler es drauf angelegt haben. Irgendwann kommt doch der Punkt, wo die Spielsituation den Tod des Charakters zwingend diktiert (es sei denn man spielt Götter, Superhelden oder dergleichen). Welche halbwegs vernünftige Gruppe würde denn ihre komplette Spielwelt ad absurdum führen, indem sie einen offenkundig zum Tode verdammten Charakter dann doch irgendwie überleben lässt?
Umgekehrt habe ich auch bei gnadenlos tödlichen Systemen und absolut konsequenter Regelanwendung Runden gespielt, in denen alle Charaktere überlebt haben. Es gibt nämlich nicht nur Spieler wie Tobias, die lieber hell brennen und sich Hals über Kopf in die Gefahr stürzen. Meine Erfahrung war meistens eher die, dass ein System bzw. eine Spielweise, die schnelle und willkürliche Charaktertode begünstigt, vorsichtige, abwartende Spieler hervorbringt. Spieler, die für einen Überfall, der in 15 Minuten erledigt ist, zwei Stunden planen. Spieler, die leise treten und sich keine Feinde machen. Mir persönlich macht so was keinen Spaß, und ich würde es heute auch eher wie Tobias halten, aber das wäre dann bei bestimmten Systemen und SLs ein sehr, sehr kurzes Vergnügen.
Gerade wenn ich mich Hals über Kopf in Schwierigkeiten stürze, bevorzuge ich es daher, wenn meine Mitspieler darauf einsteigen und das Spiel in eine interessante Richtung bewegen. Wenn mein Charakter dabei draufgeht, fein, aber es wäre doch schön, vorher noch das dramatische Potential der Situation auszuschöpfen.
Das ist nämlich die eigentliche Unterscheidung: Zielgerichtetes Spiel, also eine Spielweise, die sich durch Motive auf der Meta-Ebene beeinflussen lässt, im Gegensatz zu bedingungsloser Weltsimulation. Letzteres ist ja das Diktum der Oldschool-Advokaten und Hofräte. Der neutrale SL, der Weltverwalter, der die Dinge auswürfelt, der keine eigene Agenda verfolgt. Der Gewinn soll in einer höheren Substanz oder Wertigkeit der Spielwelt und des Spielgeschehens liegen.
Ich finde, dass man auf beide Weisen ein Spielgeschehen mit mehr oder weniger Substanz und Wertigkeit erspielen kann, es kommt auf die Fähigkeiten und die Einstellung der Beteiligten an. Der Simulations-Ansatz beinhaltet dann aus meiner Sicht vor allem mehr Beliebigkeit, während der zielgerichtete Ansatz den Beteiligten erlaubt, mehr von sich selbst und ihren Ideen in das Spielgeschehen einfließen zu lassen.