Aktuelle Lektüre:
Barry S. Strauss - Masters of Command - Alexander, Hannibal, Caesar, and the Genius of Leadership
[...]
Das Buch - so dachte ich - wäre eine spannende, wenn auch vielleicht etwas hinkende historische Vergleichsangelegenheit. Am Ende muss ich sagen, dass ich sogar ein wenig enttäuscht bin. Betrachten wir uns den Titel, würden wir denken, dass wir vielleicht etwas über den Genius des Anführers erfahren. Allerdings liefert Strauss weder eine griffige Definition dessen, noch wendet er die wenigen Punkte, die er dafür aufstellt, wirklich an. Wir lernen, dass ein Feldherr seine Angriffsfenster erkennen muss, nach dem ersten Schlag mit aufkommenden Widerstand fertig werden muss, dann den Hauptkonflikt strategisch und taktisch führen muss, dann seine Operation/Kampagne abschließen muss und schlussendlich erkennen muss, wann er genug haben muss.
Zu Beginn rückt er zudem noch zehn Schlüsselqualifikationen in den Fokus, die ein erfolgreicher Feldherr mitbringen muss/sollte:
- Ambition
- Urteilskraft
- Führungsqualität
- Mut (oder gar Tollkühnheit)
- Agilität (hier in Form von Anpassungsfähigkeit)
- Infrastruktur
- Strategie
- Terror (er sieht die Fähigkeit dazu sogar aufgrund von Alexander dem Großen und Caesar als sehr zentral an)
- Branding (Selbst-Propaganda)
- Vorsehung (bei ihm göttlich geprägt, weil Divine Providence) - oder für mich trivialer: Glück
Darüber hinaus werden sie aber nicht wirklich zu einem Analysewerkzeug, auch wenn sie hier und da festgestellt werden. Jetzt eilt Strauss - faktenreich - durch die bekanntesten Feldzüge Alexanders, Hannibals und Caesars, um nach den fünf oben genannten Phasen zu prüfen, ob die drei wirklich große Feldherren und Führungspersönlichkeit sind.
Wir lernen einiges über die Feldzüge der drei, allerdings wirkt das Schema, so lose es ist, draufgepresst. Relativ schnell fällt auf, dass Hannibal da gar nicht so sehr reinpasst, wie Herr Strauss sich das vielleicht in der Konzeption gedacht haben mag und so wird sein Anteil kleiner und kleiner.
Darüber hinaus findet allerdings auch keine Analyse statt, und darin liegt die zentrale Schwäche dieses Werkes. Jetzt eilt Strauss auf etwa 250 Seiten Kerntext also durch deren politisch-martialisches Leben, zeichnet die groben Leitlinien und Entwicklungen nach, ohne natürlich in die Tiefe gehen zu können im historischen Rahmen, allerdings auch ohne die Führungsqualität zu analysieren. Stattdessen erhalten wir permanent Zuschreibungen, wie genial, wie toll, wie einfallsreich oder anpassungsfähig sie waren. Aber wir bekommen keine wirkliche Erklärung, warum ihr Handeln genau das ist.
Ebenso unklar ist, wie weit Strauss den Führungsgenius oder das Charisma fasst. Zwar verweist er am Ende immer wieder auf den Feldherren, doch andere Bereiche gliedert er ein, um sie dann wieder auszugliedern (Das Staatsmännische oder allgemein die Propagandafähigkeit einer Person abseits des Schlachtfeldes), wenn sie ihm nicht mehr passen.
Oder anders gesagt: bevor ich dieses Werk gelesen habe, wusste ich durch die Schulbildung geprägt, dass Alexander, Caesar und Hannibal zu den großen Feldherren und Kriegstreibern der Antike gehören. Nach Lektüre habe ich andere Adjektive für ihre Größe, aber immer noch keine Gründe. Nur weitere Zuschreibungen. Das war doch sehr enttäuschend.
Der Stil des Buches ist spröde. Strauss ist in seinen ewig wiederkehrenden Floskeln (...as the crow flies...) gefangen, seine Schlacht- und Taktikbeschreibungen sind sehr skizzenhaft und die Gesamtstrategien sind selten vollständig und dadurch nicht vollends nachzuvollziehen für den Laien. Wenn jemand Straussens Wissen hat, wird er viele Nuancen sicher verstehen und ähnliche Schlüsse möglicherweise treffen können. Wer nicht dieselbe Ausgangslage hat, tappt im Dunkeln oder in der blutigen Mutmaßung. Wir müssen uns auf Straussens Zuschreibungen verlassen, die...mitunter problematisch scheinen.
Sein Schlusskapitel beantwortet dann auch für ihn die Frage, wen er von den dreien als das größte Genius hält: am Ende entscheidet er sich für Caesar. Warum? Das kann ich nach dreimaliger Lektüre der zwei Seiten noch nicht so recht beantworten. Aus Gründen, würde ich vermuten. Am ehesten dadurch, dass Caesar für ihn doch am ehesten an einen Staatsmann rankommt, also doch die Sphäre des Feldherren verlässt. Gleichzeitig gibt er Alexander die Krone der besten Propaganda und größten Ambition, während Hannibal für ihn Epitom der verschwendeten Kampfeskraft, des Siegens ohne Nachhall ist. Straussens Weg dahin ist allerdings wenig nachvollziehbar, da er im politischen Leben Hannibals durchaus konstatieren muss, dass Hannibal nach seiner Feldherrenzeit noch ein äußerst erfolgreicher Politiker war, doch das tut er wenig überzeugend damit ab, dass er Hannibal durchaus vorwirft, dass dieser mit der späten Nachkriegsblüte Karthagos erst den Untergang eingeleitet hätte, weil Rom Karthago sonst ignoriert hätte. Er wendet also Hannibals Erfolg gegen diesen, was er im Gegenzug dazu bei Alexander, dessen Reich ja sofort in den Diadochenkriegen unterging, gar nicht so recht tun will. Und die Auflösungserscheinungen zeigte Alexanders Reich ja bekanntlich auch schon zu Lebzeiten.
Am Ende stellt er also für sich fest, dass Hannibal nach Caesar der größte Diener Roms war, und alles in einem Duktus, der einen fast glauben lässt, er habe sich im Laufe des Buches mit Hannibal entzweit.
Ob die drei letztlich wirklich den Begriff Genius tragen dürfen, ist ebenso unklar wie seine Definition. Zwar sucht er auch nach Fehlern und Macken, aber so wirklich aussagekräftig verrechnen will er dies nicht.
Wie dem auch sei: letztlich ist die Idee des Buches wunderbar, allerdings beantwortet es die eigene Prämisse für mich nur unzureichend (ich stelle natürlich zur Debatte, dass ich das Werk und seinen Inhalt nicht ausreichend verstehe). Es scheitert an seinem Anspruch. Es ist zu trocken, um populärwissenschaftlich tauglich zu sein, aber zu wenig wissenschaftlich, um die Diskussion um dieses Thema entweder voranzubringen oder gar zu prägen. Mit Glück reibt sich jemand an der Meinung von Strauss und legt ein umfassenderes, analytischeres Werk nach. Das wäre wünschenswert.
Letztlich darf man aber durchaus loben, dass Barry S. Strauss einen doch recht geordneten, wenn auch stark verkürzten und zurechtgeschnittenen Ritt durch die Feldherrengeschichte der drei Protagonisten betreibt und viele nützliche Fakten präsentiert, die durchaus zum Einstieg in das Thema genützt werden können. Die Bibliographie sieht sehr solide aus.
Wer sich allerdings mit dem Protagonisten beschäftigt hat, und sich mit den jeweiligen Zeiten auskennt, kann sicher auf die Lektüre dieses Werkes verzichten. Wer einen lockeren, wenn auch problematisches und streitbaren Einstieg in den Vergleich wegen möchte, darf sich gerne an das Werk trauen und sich seine eigene Meinung bilden.
Ich gebe 4 von 10 Punkten.