Der generelle Trend geht hin zu schlankeren Settings, was ich schade finde.
Sehe ich nicht so. - In manchen Bereichen vielleicht (z.B. die für "Setting-Hopper" konzipierten Savage-Settings), aber dann auch wieder nicht (z.B. das ziemlich umfangreich ausgelegte Hellfrost-Setting, oder auch Opus Anima und andere "Mehrwelten-Rollenspiele").
Interessant ist das Thema "Durchstimmbare Komplexität", wie es seit den 70ern bei Traveller umgesetzt wurde. Settings, bei denen die Gruppe selbst entscheidet, wie umfangreich, wie detailreich, wie tief sie das Setting haben wollen. - Das geht natürlich nur gut, wenn das Setting eher als "Baukasten mit Thema" daherkommmt (wie ja auch die alten Wilderlands-Sachen von Judges Guild).
Aber für einen echten TREND müßte es einen SPÜRBAREN Interessensrückgang gerade bei den Komplexität-durch-Quantitäts-Monstern wie Aventurien, Forgotten Realms, usw. geben. - Den sehe ich aber NICHT.
Als Trend sehe ich eher, daß mehr INSGESAMT KNAPP entworfene Rollenspiele produziert werden. - Ein Trend zum "Handlichen Dritt- oder Viert-Rollenspiel für zwischendurch". - Diese sind dann sowohl in Regeln wie eben auch im Setting kurz, knapp, überschaubar - aber eben auch schnell erschöpft.
Wer allerdings ein Problem mit komplexen Welten hat sind Langzeitrollenspieler, welche einfach übersättigt sind und nicht noch ein 500-Seiten Geschichtstraktat lesen wollen.
Das ist wirklich was dran.
Wer die "Ochsentour" mit Glorantha, Midgard, Forgotten Realms, usw. gemacht hat - z.T. quer über ständig wechselnde Regelsysteme bzw. Regelsystem-Versionen, dem vergeht einfach die LUST, die ja auch mit dem ENTDECKEN einer umfangreichen, erst durch zeitliches Engagement erschließbaren Welt verbunden ist.
Es zählt mehr das "Fun, JETZT!" und weniger das "Fun, vielleicht später, wenn ich durch diese zwei Regalmeter Quellenbänden durch bin.".
Artesia ist so ein Problemfall.
Über das Regelsystem, das seine eigenen Probleme mit sich bringt, möchte ich da nicht mal was sagen. Es geht mir um das Setting selbst. - Ich bin ein Freund der Artesia-Comics und war BEGEISTERT, daß es ein Rollenspiel zu dieser "etwas anderen" Fantasy-Welt geben sollte - auch noch illustriert (und geschrieben) vom Comic-Zeichner selbst (und inspiriert von Glorantha).
Das Rollenspiel ist ein wunderschönes Buch.
Jedoch ist die Settinginformation darin in sehr kleiner, sehr enger "Bleiwüste" dargeboten, und das Erschließen dieses Settings für meine Spieler ist problematisch ohne Ende. - Für die Comics sind noch ALLE zu begeistern gewesen. Aber als es dann daran ging sich mal ein wenig einzulesen, daß sie Charaktere erschaffen konnte und wußten, was sie sich da eigentlich bauen, kamen die "Ausfallserscheinungen".
Anders als bei HeroQuest oder HeroWars, wo man auch OHNE AHNUNG vom Setting wenigstens schnell einen Charakter beisammen hat, der (allein schon aufgrund der Keywords) spieltauglich ist. Stellte Artesia eine UNÜBERWINDLICHE (für meine Gruppe) Einstiegshürde dar.
Ich hatte mich darüber schon etwas entnervt gezeigt, da ich der Meinung bin, daß sich dieses Setting auch gerade im Rollenspiel zu erkunden und zum Leben zu erwecken lohnen würde - aber ich biß auf GRANIT.
Dieselben Spieler kann ich zu JEDEM neuen Savage Setting bewegen. Da hat es in Null-komma-Nix eine spielbereite SC-Gruppe, die Spieler wissen, worum es geht, und man kann umgehend in die Welt eintauchen.
Egal auf welcher Ebene die Komplexität angesiedelt ist, ob es schiere Quantität ist, ob es Komplexität durch schwere Zugänglichkeit aufgrund unglücklich verteilter Informationen ist, ob es "gefühlte" Komplexität durch hohe Fremdartigkeit der Welt ist, bei der man kaum von irdischen Gegenstücken schließend die Lücken selbst füllen kann, oder aus welchen Gründen auch immer ein Setting als komplex wahrgenommen wird - die Frage ist ja IMMER:
Wieviel von dieser Komplexität kommt tatsächlich IM SPIEL zum Tragen?Da liegt natürlich in JEDEM Setting auch eine gewisse "Durchstimmbarkeit" - abseits von reinen Baukasten-Settings - vor.
Wieviel dieser Komplexität die jeweilige Gruppe "auf den Spieltisch läßt", ist eine Frage der Gruppe und deren Interessen.
Man KANN auf Glorantha in einem übersichtlichen Teil der Welt anfangen. Man KANN dort kleine, nicht-welterschütternde Szenarien spielen. Aber wenn man anfängt die Komplexitäten der spirituellen Welt Gloranthas einzugrenzen, wenn man die ganze - in Bezug auf HW und HQ1 völlig ZURECHT als "Anthropologen-Gewichse" bezeichnete - kulturelle Informationsdichte ausdünnt, dann spielt sich Fantasy auf Glorantha genauso leicht und locker wie auf jeder 08/15-Fantasy-Welt.
Genauer: Dann SPIELT man auf einer 08/15-Fantasy-Welt "mit Anlehnungen an Ideen von Glorantha", aber man spielt NICHT AUF Glorantha.
Hier kann man sich fragen,
WIE WEIT kann man ein Setting "durchstimmen" bzw. individuellen Gruppeninteressen anpassen, ohne daß man die SETTING-IDENTITÄT verliert?Bei "unterspezifizierten" Settings, bei "bare bones"-Settings, bei sehr überschaubaren Settings hat man das eher im Griff. Hier gibt es weniger Grenzen, die von der Settingbeschreibung gesetzt werden, und die gesetzten Grenzen sind weiter gefaßt, so daß man sich beim Durchstimmen nicht ständig an ihnen reibt. - Somit ist einfach die "Gefahr" ein unterspezifiziertes Setting soweit abzuwandeln, daß es sich nicht mehr erkennbar um dieses Setting handelt, geringer als bei einem hochgradig spezifizierten oder gar einem überspezifizierten Setting.
Gibt es z.B. KEINEN Platz für ein Dorf X zwischen Dorf A und Dorf B, weil wirklich ALLES zwischen A und B en detail festgelegt und beschrieben wurde, dann stellt die Einführung von Dorf X bereits ein Überschreiten der gesetzten Grenzen dar. - Ist hingegen in der Settingbeschreibung NICHTS darüber ausgesagt, was zwischen A und B sein soll, dann könnte man dort ALLES ERDENKLICHE plazieren - den Obertempel eines Bösen Kultes, eine blühende Handelsmetropole, einen Sumpf des Verderbens.
In vielen Settingbeschreibungen wird auf einer bestimmten Granularitätsebene halt gemacht. Es wird NICHT jedes Dorf, nicht einmal jede Stadt beschrieben, um eben dieses Setting für die jeweilige Gruppe "mitwachsen" zu lassen. Das ist die Robustheit eines Settings. Man kann vieles, aber NICHT ALLES in dieses Setting plazieren, und es ist immer noch als das Setting identifizierbar.
Wenn man nun Settings mit hoher Komplexität auf unterschiedlichen Ebenen (Volumen, Verteilung, Zugänglichkeit, Querbeziehungen, Fremdartigkeit, usw.) anschaut, dann sind unterschiedliche Komplexitätsebenen eben auch für unterschiedliche Zielgruppen interessant bzw. abschreckend.
DSA kommt mit einem enormen VOLUMEN an Informationen. Jedoch ist die DSA-Spielwelt kaum fremdartig, so daß man hier sehr gut von irdischen, d.h. EIGENEN Erfahrungen der Spieler, auf Verhältnisse in der Spielwelt schließen kann. Ein Pferd ist ein Pferd. Ein Apfel ein Apfel. - Das ist z.B. bei Lemuria, einer vom Volumen her sehr KNAPP beschriebenen Spielwelt von Barbarians of Lemuria anders. Diese Welt hat in weiten Bereichen KEINE irdischen Parallelen. Pferde? Gibt's keine. Äpfel? Auch nicht. Ja worauf reiten die denn hier? Und was essen die denn hier?
Wenn solche grundlegenden Fragen erst einmal zu klären, d.h. auch von den Spielern zu ERLERNEN sind, damit sie einen Charakter in der Spielwelt darstellen können, dann ist das Setting trotz nicht einmal 50 Seiten Umfang auch KOMPLEX, weil nicht einfach zugänglich.
Die Zugangshürde ist eigentlich das relevante Maß der Komplexität.
20 Quellenbände, die sich gut lesen, die gut (via Indizes) mit Verweisen das Navigieren erleichtern, können weitaus leichter aufgenommen werden und somit für das Spiel erschlossen werden, als selbst ein EINZIGER Band, in welchem eine mies organisierte Bleiwüste ohne jegliche Orientierung an den ANWENDERN des Textes, den Spielern, die das Zeug darin nicht nur als "Roman" lesen sollen, sondern LERNEN müssen, um damit zu spielen.
Wie auch bei Regelwerken, so auch bei Settings ist die Zugänglichkeit direkt eine Folge der AUFBEREITUNG der Informationen.
Bei Glorantha: Schlecht, verzettelt, schwer zu bekommen, viel Vorwissen voraussetzend, Spielerwissen hilft meist nichts, weil zu fremdartig. - Zugänglichkeit sehr gering.
Bei Hellfrost: Unglücklich über mehrere Bände aufgeteilt, so daß ständiges Aufschlagen und Blättern notwendig wird, Aufbereitung eher an "publikationslogischen Gesichtspunkten" vorgenommen, und weniger an "Nutzbarkeitserwägungen" (Usability) für die Spieler, aber: wenig Vorwissen notwendig, Spielerwissen über Angeln und Sachsen und Picten und Wikinger hilft enorm eventuelle Lücken zu füllen. - Zugänglichkeit trotz unglücklicher Aufbereitung hoch.
Kann man mit den Vorkenntnissen eines "Otto Normalrollenspielers" Settingfakten einfach ABLEITEN, dann ist ein Setting leichter einzuschätzen, und man ist NICHT GEZWUNGEN so sehr in die Tiefe abzutauchen, um sich NEUE und somit UNGEWOHNTE kulturelle Fakten einzuprägen. - Kaum jemand, der einen Charakter SPIELEN will, möchte erst ein "Studium" der Geschichte, Geographie, usw. einer fiktiven Welt hinter sich bringen, bevor er mit dem Spiel starten kann.
Was ist dann das BESONDERE, das die heute existenten an UMFANG komplexen Settings so erfolgreich gemacht hat, daß es ÜBERHAUPT so viele Publikationen von ihnen geben konnte?Sie fingen KLEIN und überschaubar und ZUGÄNGLICH an. - Und sie sind mit den Spielern mitgewachsen.
NEUE Spieler werden von den "Altmeistern" angelernt, lernen als Spieler "von der Pike auf" diese Settings kennen, und fühlen sich irgendwann in der Lage selbst zu leiten.
Eine FÜLLE an Abenteuern, in denen man alles Notwendige zum Spielen des Abenteuers dargelegt bekommt, hilft enorm sich ein Setting SPIELEND zu erschließen.
Überschaubarer Anfang, Abenteuer-Unterstützung, Anlernen neuer Spieler durch Bestandsspieler. - DAS sind m.E. die Schlüsselfaktoren, die DSA, SR, usw. auszeichnen.
Wer mit seinem neuen Rollenspiel daher kommt, und den Spielern, die OHNE Anlernen durch Bestandsspieler sich das neue Spiel SELBST erschließen müssen, erst wie einem "Vorderlader" alle Informationen über das Setting am Stück reinstopfen will, bevor auch nur die erste Spielsitzung stattfindet, und wer dann auch keinerlei brauchbare Unterstützung für eine laufende Runde mittels Abenteuern, die einfach beispielhaft ZEIGEN, was und wie man hier spielen kann, liefert, der schreibt vielleicht ein "wunderschönes Rollenspielbuch", aber eines, das KAUM GESPIELT wird.
Und damit auch KAUM VERBREITET wird - da ja durch nur wenige Spielrunden auch der Multiplikator-Effekt von Bestandsspielern sehr gering ausfallen wird.
Und daher kommt auch kaum etwas nach. Kaum Abenteuer, kaum Quellenbände, kaum irgendwas. - Weil KEIN BEDARF besteht!
Bedarfe muß man WECKEN!
Und das kann man am Besten, indem eine Spielgruppe ein Spiel schnell einmal anspielen kann, und jeder LUST AUF MEHR hat.
Und dann ist es EGAL, ob die Welt fremdartig ist (wie Glorantha oder Talislanta) oder ob das Material mit der Zeit auf 50 Quellenbände verteilt vorliegt.
Bei