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1917Ich schließe mich Vash und Orko vollumfänglich an. Wahnsinnig starke Bildersprache und eine gut erzählte Geschichte, bei der der Protagonist am Ende wieder am Ausgangspunkt ist (ich liebe sowas). Besonders beeindruckend fand ich aber, wie der Film aufgeteilt ist. Er durchläuft zwar die Heldenreise, aber jede Station darin ist im Prinzip abgeschlossen genug, dass sie auch für sich selbst stehen könnte. Der Film erhält dadurch eine stark allegorische Dimension: Jede dieser Situationen kann Weltkriegssoldaten überall widerfahren, widerfährt Weltkriegssoldaten überall. Die Szenen sind Vignetten des Krieges.
Bei der Gestaltung der Kulisse umschifft der Film geschickt Klischees: Der Himmel ist nicht, wie in Kriegsfilmen allzu oft, regenverhangen, sondern hat über weite Strecken einfach die fahle, grauweiße Bewölkung eines gewöhnlichen Tages. Die Natur wird zwar als Kontrast zum Krieg eingesetzt, aber der Film verzichtet auf diese "impossible landscapes" mit üppigem Grün und sonnenbeschienenen Wäldern: Es sieht alles aus, als könnte es in irgendeinem Dorf in der Voreifel spielen, was das Ganze natürlich noch eindringlicher macht.
Dabei bleibt die Kamera immer nah beim Protagonisten und nimmt wahr, was er wahrnimmt (und so geht es allen in diesem Krieg, auch die deutschen Soldaten haben in der Szene in der nächtlichen Stadt das Problem der eingeschränkten Wahrnehmung). Diese Szene ist auch die einzige, in der sich die Kamera wahrnehmbar von der Protagonistenperspektive löst (abgesehen von den immer wieder eingestreuten Momenten, wo die Kamera festzustellen scheint, dass Hindernisse sie davon abhalten, nahe am Protagonisten zu bleiben, und sie sich deshalb einen Umweg suchen muss. Tatsächlich hat die Szene in der nächtlichen, umkämpften Stadt den größten Eindruck auf mich gemacht. Chiaroscuro und Schattenspiele haben die Szenerie auf mich wie Gemälde alten Meister wirken lassen, haben aber gleichzeitig auf Stummfilm-Kulissen aus dem deutschen Expressionismus verwiesen, wie ich finde. Kurz gesagt: In "1917" ist visuell, aber auch emotional Einiges zu holen.
Daumen hoch!
Marriage StoryInteressantes Kammerspiel, das dem "Scheidungsfilm" (gibt es das Genre? Oder ist das mehr eine Unterkategorie des "Doomed Romance"-Films?) einige neue Perspektiven beifügt. Ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass das alles sehr authentisch wirkt und sich beide Parteien leicht in Situationen wiederfinden, wo sie Dinge tun und sagen, die sie gar nicht wollen. Scarlett Johannson, Adam Driver, aber eigentlich der ganze Cast, brennen da schauspielerisch ein ziemliches Feuerwerk ab.
Wobei: In der Szene, wo Johansson und Driver sich in seiner Wohnung immer tiefer in Vorwürfe und Beleidigungen hineinschreien, bricht die Szene am Ende stark ins Theatralische. Ich konnte Driver sogar ansehen, dass er jetzt eigentlich Lachen wollte und nicht weiter eskalieren – stattdessen haut er die Faust gegen die Wand. Dann scheinen aber beide Schauspieler selbst nicht mehr auf dem vorherigen emotionalen Level zu sein... sie werden dann stiller und versöhnlicher, aber ich finde nicht, dass das organisch passiert ist. Trotz dieses Faux-Pas ein empfehlenswerter Film, erwartet aber keine Plotexplosionen, der Film ist langsam und still.
JoJo RabbitOkay. Das ist schwer. Der Film hat mich etwas ratlos zurückgelassen. Aber man kann an ihm schön sehen, wie unterschiedlich sich kulturelle Differenzen und Sehgewohnheiten auf die Wahrnehmung auswirken können. "Jojo Rabbit" ist ein NS-Film, wie ein deutscher Regisseur und Autor ihn niemals machen könnte. Er ist nicht lächerlich genug, um als echte NS-Persiflage durchzugehen, aber zu lächerlich, um die tragische NS-Geschichte wirksam aufzuarbeiten.
Wohlgemerkt: Aus der Warte deutscher Sehgewohnheiten aus. Ich bin sicher, dass in amerikanischen Kinos bei diesem Film deutlich mehr gelacht wird, als bei dem hiesigen Screening, dem ich gestern beiwohnte. Die Implikationen im Hintergrund waren für mich einfach zu real, als dass ich mehr als nur ein Schmunzeln hinbekommen habe. Mit dem Blick auf die Rückkehr des Faschismus überall auf der Welt, hat der Witzfiguren-Hitler seinen Witz eben verloren, dafür aber seinen Schrecken wiederbekommen (was haben wir gelacht, über die dummen Nazis in den 80ern und 90ern... das hat aber ganz offensichtlich nicht diesen kathartischen Effekt gehabt, den wir uns gewünscht hätten... nein, man kann heute ja ganz offensichtlich über Hitler lachen und trotzdem ein Nazi sein). Der Film greift in seiner Ästhetik den 50er und 60er Jahren vor (die 50er beginnen in der letzten Szene, mit Kleidung und Frise des Protagonisten quasi sofort!), was anachronistisch wirkt, auf diese bunte Weise, wie wir sie aus Wes Anderson-Filmen kennen. Am Ende hat sich das für mich alles nicht so recht gefügt, vornehmlich deshalb, weil der Film denselben Wahrnehmungsfehler macht, wie er immer wieder in Bezug auf Rassismus in Deutschland gemacht wird: Die Nazis sind besiegt, also gibt es keinen Rassismus mehr. So einfach läuft es nicht, aber der Film suggeriert am Ende irgendwo, es sei so. Wir wissen heute, dass das nicht stimmt.
Positiv hervorheben möchte ich das Motiv der Häuser, die zu Gesichtern werden, die aber nur stumm und verwurzelt beobachten und nicht eingreifen. Und die am Ende dann selbst verwundet und verletzt dastehen. Das ist die Quittung. Einfach via Kamera in Szene gesetzt, aber wirkungsvoll.
Zusammengefasst: Ich tendiere bei Jojo Rabbit zu einer ambivalenten Meinung: Gags und stille, menschliche Momente haben beide für sich genommen gut funktioniert. Aber in der Kombination nicht. Es sei denn, der Film wollte dieses ambivalente Gefühl hinterlassen. Dann hat er es wirklich geschafft.
P.S. Erneut Johansson, erneut großartig. Sie trägt die erste Hälfte mühelos alleine.