Ich habe zusammen mit meiner Freundin die letzten beiden Folgen der Serien-Neuauflage von
Wir Kinder vom Bahnhof Zoo gesehen. Eigentlich wollte ich einen Bogen um die Serie machen: ich arbeite bereits in der Drogenhilfe, da brauch ich das Thema auch nicht unbedingt in meiner Freizeit noch beackern. Ein wenig neugierig war ich natürlich trotzdem.
Etwas irritierend fand ich die Ästhetik der Serie. Der Club, in dem Christiane (Äff) und ihre Freund:innen regelmäßig verkehren wirkt auf einen Nachgeborenen wie mich eher anachronistisch, wie auch diverse andere Details, insbesondere was die verwendeten Konsumutensilien angeht. Das alles ist aber in einem Rahmen, den ich für mich als künstlerische Freiheit verbuchen konnte, zumal ich als Nicht-Zeitzeuge bei der Beurteilung sicherlich nicht der beste Ansprechpartner bin. Ebenfalls irritierend waren einige Zeitsprünge (lies: ich nehme an, dass es Zeitsprünge gibt), die auf den ersten Blick ziemlich unauffällig sind. Im einen Moment animiert Christiane ihre Freundin zu einem Rückfall, im nächsten steht diese ziemlich fertig auf dem "Babystrich". Das bedient ein wenig die gängige Narrative, dass Rückfälle quasi den sofortigen Absturz der Betroffenen bedeuten. Die Realität sieht wie immer natürlich anders und vor allem komplizierter aus.
Apropos "Babystrich": hier würde ich meinen ersten von zwei großen Kritikpunkten verorten. Das Buch war und ist vor allem auch deshalb so schockierend, weil die Protagonist:innen allesamt noch Kinder oder bestenfalls junge Jugendliche waren. Das geht in der Serie meiner Meinung nach ziemlich unter und beraubt die Geschehnisse doch eines guten Stückes ihrer Brisanz. Mir ist natürlich klar, warum die Entscheidung getroffen wurde, die Protagonist:innen älter erscheinen zu lassen.
Zweitens fragte ich mich, warum man unbedingt diese olle Kamelle aufwärmen musste. Heroin ist natürlich auch heute noch ein großes Thema, aber in der Drogenhilfe lässt sich schon länger beobachten, dass unsere Zielgruppe immer älter wird. Im Schnitt arbeite ich mit 40jährigen zusammen. Das hat mit Sicherheit auch etwas damit zu tun, dass die Versorgungslage für Drogengebraucher:innen heute weitaus besser ist als in den 80ern und sie deshalb überhaupt so "alt" werden können, aber "wir" stellen uns (in meinen Augen berechtigt) auch immer wieder die Frage, ob die klassischen Angebote heutige Jugendliche und ihre veränderten Konsumgewohnheiten überhaupt noch erreichen. Diese Frage erhält ihre Berechtigung vor allem durch einen Blick über den Tellerrand: während bei unseren Klient:innen nach wie vor die Klassiker Heroin, Kokain und Benzodiazepine im Vordergrund stehen, berichten Kolleg:innen aus Drobsen und vor allem aus der niederschwelligen Kinder- und Jugendhilfe, dass ihre Klient:innen eher zu Speed, MDMA und natürlich Gras greifen. Wäre es nicht spannender und vielleicht auch angebrachter gewesen, den ursprünglichen Stoff konsequent zu modernisieren? Außerdem bin ich auch der Meinung, dass - so wichtig es war, das Elend (junger) Drogengebraucher:innen endlich zu thematisieren und in den Fokus der gesellschaftlichen Betrachtung zu rücken - der echten Christiane damals kein Gefallen getan wurde. Wenn ich mir das, was ich über ihren weiteren Lebensweg weiß, in Erinnerung rufe, drängt sich mir der Eindruck auf, dass sie mit dem Erscheinen des Buches und dem darauffolgenden, medialen Rummel um ihre Person auch in eine Rolle gedrückt wurde, die ihr den Umgang mit sich selbst und ihrer Abhängigkeit vermutlich noch schwerer gemacht hat, als er ohnehin gewesen wäre. Vielleicht liege ich auch falsch, aber ich stelle mir die Frage, ob es eine so gute Idee war auch diesen Teil mit aufzuwärmen.
Am Rande bekam ich mit, dass die Serie angeblich den Konsum "harter" Drogen verherrlichen soll. Das kann ich definitiv nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil: die Ambivalenz, mit der abhängige Drogengebraucher:innen ihrer Abhängigkeit und deren Folgen und damit auch sich selbst häufig gegenüber stehen, wurde in meinen Augen ziemlich gut abgebildet. Besonders beeindruckend fand ich diesbezüglich einige Szenen aus der letzten Folge, in denen Christiane ihre traumatischen Erfahrungen wie einen Schild vor sich her trägt. Meine Freundin sagte dazu, dass gerade in den ersten Folgen noch der Spaß der Protagonist:innen am Konsum im Vordergrund stehe. Ich könnte mir vorstellen, dass das Anlass der Kritik ist, die Serie sei verherrlichend. Mal davon abgesehen, dass der Spaß ja auch in der Serie durch bitteren Ernst abgelöst wird: es gehört in meinen Augen zu einer adäquaten Auseinandersetzung mit dem Thema, auch die positiven Seiten zu beleuchten und nicht immer nur "Pfui, Drogen sind böse!" zu propagieren.
Auf Basis dessen, was ich gesehen habe, würde ich die Serie aber auf jeden Fall weiter empfehlen. Wer auf etwas Unterhaltungswert verzichten kann und sich dennoch über biographische Erzählungen dem Thema Drogengebrauch und Abhängigkeit nähern möchte, dem würde ich an dieser Stelle gerne noch wärmstens die YouTube-Serie
Shore, Stein, Papier ans Herz legen.