Mel Gibson ist ja retrokatholisch - er lehnt das 2. vatikanische Konzil von 1965 ab, das für eine gewisse Fortschrittlichkeit der Kirche sorgte - und das ist in Braveheart deutlich abzulesen: Sein Wallace hat keinen Sex vor der Ehe. Der homosexuellen Figur ist kein Erfolg in ihrem Umfeld und auch keine Sympathie des Publikums vergönnt, sie wird ausgemerzt. Der Erlöser Wallace muss nach Gibsons Auffassungen treu bleiben, leiden und sich opfern - wie schon Jesus Christus.
Es gibt für mich zudem einige Parallelen zu dem
Nazi-Durchhaltefilm "Kolberg". Auch dort kann die "verweiblichte" Männerfigur Claus Werner/Edward nur den Tod finden. Die Figur, die den Kampf eigentlich nicht möchte, fleht die Figur, die von amtswegen Verantwortung tragen muss, an, zu führen, in Kolberg ist es Loucadou (und Franz der II.), in Braveheart ist es Robert the Bruce. Weil die Verantwortlichen aber zu schwach/zu zögerlich/zu feige sind, übernimmt Gneisenau/William Wallace nicht wegen Eitelkeit, sondern der "richtigen" Sache wegen die Führerposition. Das ist die beste Werbung für das Führerprinzip, die Schattenseiten dieses Prinzips aber werden nicht gezeigt.
Und schließlich ist da noch die Darstellung der Kriegsgegner. Kriegsfilme nutzen nach meiner Wahrnehmung drei Darstellungsformen:
Die ursprüngliche Form ist der plakative Gegner, (bis auf ein paar Generäle) austauschbar, gesichtslos, gerne uniform wie die Engländer in Braveheart, die Franzosen in Kolberg und die Sturmtruppen in Star Wars. Zugleich sind die Helden individuell und nicht selten ein zusammengewürfelter Haufen, Iren, Schotten, Lords und Bauern. Hier sollen wir keine Gedanken an das Sterben der austauschbaren Feinde entwickeln, die sind nur seelenlose oder hassgetriebene Hindernisse auf dem Weg zum Ziel.
Dann gibt es noch die Möglichkeit, den Gegnern dieselbe Aufmerksamkeit und Individualität zuzugestehen wie der "eigenen" Seite. Das geschieht eher selten, denn es ist schwierig eine Geschichte über einen gerechten Krieg zu erzählen, bei dem die Feinde selbst umfassend dargestellte Individuen sind. Clint Eastwood hat das 2006 mit seinen Zwillingsfilmen "Flags of Our Fathers" und "Letters from Iwo Jima" versucht.
Andere Filmemacher lassen den Gegner über eine lange Strecke gesichtlos und als Leerstelle, wie Terrence Malick in "Der schmale Grat". Das entmenschlicht sie nach meiner Auffassung nicht, denn wir, das Publikum, füllen diese Leerstelle gemeinsam mit den Protagonisten in unserer Vorstellung.
Welche Agenda vertritt Mel Gibson mit Braveheart? Spätestens seit "Apokalypse Now" sollten wir gelernt haben, dass im Krieg niemand unschuldig bleiben kann, dass es vielleicht gute Gründe für einen Krieg, aber eigentlich keine Kriegshelden gibt.
"Braveheart" steht für eine reaktionäre Auffassung: Es gibt sie noch, die Helden, denen man sich anvertrauen muss, weil sie das Richtige tun, sie sind Führerpersönlichkeiten. "Die anderen", die Feinde, sind korrupt, enthemmt, Vergewaltiger, erfeuen sich am Töten, aber unser Held ist sauber, moralisch und setzt sich ohne Eigennutz mit Leidenschaft gegen die Anderen ein. Sein Mut schließt die Frage aus, ob es nicht besser wäre, sich zu unterwerfen. Der Film feiert: "Lieber tot als Sklave." Wir alle können Helden sein, selbst wenn wir dabei sterben sollten.
Umso unverfrorener ist, die Geschichte von Braveheart nicht als Fantasy-Epos, sondern als Historienfilm auszugeben, und ihm dadurch den Anspruch zu verleihen, dass die Werte, die wir gezeigt bekommen, nichts anderes als Teil "einer wahren Geschichte" seien.
Das ist Bullshit, und soll der uns unterzujubelnden Moral nur mehr Gewicht verleihen. Niemand weiß, ob William Wallace nicht auch dies oder das für sich beiseite geschafft hat, ob er nicht auch mal lügen musste, oder er auch mal aus Angst eine unkluge Entscheidung getroffen hat. Jede wichtige Drehbuchentscheidung den Charakter Wallace' betreffend ist eine Erfindung des Drehbuchautoren Gibson.
Ich denke, ich kann Mel Gibsons Regiewerk differenziert betrachten: "Der Mann ohne Gesicht" ist ein berührendes Plädoyer, Äußerlichkeiten zu überwinden, ein Top Film. Ich lese das Ende von "Apocalyptico" so, dass das heidnische Barbarentum nicht in der Lage war, einen einfachen, guten Menschen in Ruhe leben zu lassen, und die Ankuft der christlichen Kolonialherren eigentlich nur das Ende einer sowieso schon verdorbenen, unzivilisierten, nicht rettungswürdigen "Zivilisation" bedeutete. Und die in den Tatsachen richtige Geschichte einer eigentlich unmöglichen Rettung "Hacksaw Ridge – Die Entscheidung" wird von Gibson verkauft als Beispiel, dass göttliche Wunder geschehen, wenn fester Gottesglaube, Mut und Ausdauer zusammen kommen.
Nee, Freunde werden Gibson und ich nicht
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