Ich versteh's nicht. Es gibt ganz entzückende DSA-Kaufabenteuer, und es gibt weniger entzückende. Und ja, je nach dem, was man für eine Gruppe und was man für einen SL hat, verlaufen die am Spieltisch entlang des Skripts oder sie fransen aus, werden "freier". Das ist doch das Logischste von der Welt. Ich kann auch Thomas Manns Zauberberg nehmen und den entweder wortgetreu nachspielen oder den Plot zum Anlass freier Spielentfaltung nehmen. Aber darum ist der Zauberberg dennoch ein Roman und kein Sandkasten. Und genauso ist es mit DSA-Kaufabenteuern. Man mag mit etwas Glück frei mit ihnen spielen können, aber sie liefern bis auf wenige Ausnahmen nichts, was ein Sandkastenspiel erlaubt.
Und das ist völlig unabhängig davon, ob nun Simyala, JdF oder sonst ein Abenteuer komplex ist oder nicht. Darum geht es doch überhaupt nicht.
Ich frage mich, wieso das so schwer einzugestehen ist. Wenn man die DSA-Abenteuer der letzten 25 Jahre analysiert, liegt das doch auf der Hand. Ich erninnere mich an Aussagen wie: Wenn Ihre Spieler das jetzt nicht machen, sind sie eben keine Helden und sie sollten sich eine andere Gruppe suchen, sinngemäß. In Einführungsabenteuern gab es ganze grau unterlegte Kästchen, in denen der SL Tipps bekam, wie er seine Spieler auf Railroad halten kann. Das kann man doch nicht wegreden, nur weil man sich selbst einen feuchten Dreck drum schert.
Und folgerichtig haben DSA-ABs dann den Sandkasten mitunter auf Null zusammengekürzt. In diesem Thread wurde schon die alte Havena-Box genannt. So etwas gibt es nicht mehr. Selbst in Abenteuern, die in Havena spielen, wird das Material von damals nicht wieder nachgeliefert. Weil die Philosphie dahinter lautet: Es ist nicht vorgesehen, dass die Helden in den Fürstenpalast einbrechen, deshalb braucht der SL auch keinen Plan des Fürstenpalasts. (Zugegebenermaßen werden zu Abenteuern neuerdings wieder mehr Karten geliefert.) Stattdessen wird mehr oder weniger ausschließlich das beschrieben und abgebildet, was nach Maßgabe des vorgegebenen Plots anzuspielen ist.
Und zum Detektivabenteuer: Das DSA-Skript bestimmt meist haargenau, wann und wo welches Ereignis stattfindet und wann und wo welche Info zu bekommen ist. Dafür hat der SL, wie es in den AB-Texten immer so schön heißt, "zu sorgen". Schauen wir jetzt aber mal hinüber zu der achsoberühmten Enemy Within-Kampagne, Power behind the Throne. Da gibt es im Anhang zum Herauslösen 21 NSC-Karten mit Bildchen, Kurzbeschreibung und dem "Terminplan" des NSCs, was er an welchem Tag macht und wo er ist. Zu behaupten, dieser Sandkasten ließe Tiefe vermissen, wäre in diesem Fall lächerlich. Aber im Unterschied zu DSA unterstützt dieses Abenteuer Sandboxing. Denn es ist völlig egal, wann die Spieler mit welchem NSC zusammentreffen, der SL weiß stets Bescheid.
Ich höre schon den Aufschrei, dass man das bei DSA-ABs ja auch machen kann. Ja freilich, aber da muss ich mich als SL erst stundenlang hinsetzen und aus dem linearen Plotskript all dies herausbrüten. Und wie gesagt: es ist vollkommen wurscht, welches Detektivabeneteuer hier tiefer ist als das andere, es geht einfach nur um die Tatsache, dass DSA das nicht unterstützt, sprich: dem SL keinerlei Material liefert. Wenn er sich nicht entlanghangeln will, hat er in den meisten Fällen verloren.
Und ich spreche hier auch gar nicht unbedingt davon, dass die Abenteuer Material bieten sollten, das der Gruppe ein anderes Spielziel zu verfolgen erlaubt (wobei das auch schön wäre, so enthalten zum Beispiel bei Warhammer die den Abenteuern vorangestellten Settingbeschreibungen massenweise Plothooks und Szenarioideen), sondern einfach nur ein Sicherheitsnetz für einen anderen Weg, um es zu erreichen.
Und ich möchte wissen, wieviele der immer so dramatisch ausgearbeiteten Finales tatsächlich am Spieltisch so abschnurren, wie sie beschrieben werden. Wie elegant ist im Gegensatz zu einem beschreibenden Fließtext des Finales oder wenigstens als Ergänzung dazu nicht eine schlichte Kombination aus Plänen und Spielwerten etc. Dann ist es nämlich auch egal, ob die Spieler das Finale einen Tag zu früh lostreten (aber die Beschwörung muss doch genau in der Nacht stattfinden, wenn Mada im Arsch des Rattenkindes steht, und die Spieler müssen von Ferne schon das Schreien der Opfer hören, damit's auch artig spannend wird).
Wenn wir schon beim Analysieren sind, muss auch gesagt werden, dass seit einiger Zeit wieder verstärkt Tendenzen zu eher Sandkastenartigem vorhanden sind, VeG, HvC, das wurde reichlich erwähnt. Das neue Die Verdammten des Südmeers scheint mir beim Querlesen sogar ein aventurisches Musterbeispiel für Sandboxing sein zu wollen. Wie gelungen das allerdings ist, kann ich auf die Schnelle nicht beurteilen.
Insgesamt aber krieg ich einfach die Krätze, wenn man DSA-AB partout gegen den Vorwurf verteidigen will, dass sie Sandkastenspiel nicht unterstützen. Man kann sie wenn man will gegen den Vorwurf verteidigen, dass sie allesamt scheiße wären oder dass sie langweilig wären. Darüber kann man streiten, und man kann DSA auch so wie ich lieben, aber einen Aufschrei zu veranstalten, nur weil Leute die Wahrheit drüber sagen, das halte ich für unangebracht.