Ich sage gar nicht, dass man den Autorenbegriff möglichst eng definieren soll, ich glaube nur, wenn man ihn unbedacht auf Volkserzählungen anwendet, entsteht ein falsches Bild - dass es nämlich darum ginge, bei jedem schöpferischen Moment immer den Urheber benennen zu können.
Oh, das ist nicht der Fall: Jeder schöpferische Akt hat einen (oder mehrere) Urheber. Aber es kann durchaus sein, dass diese Urheber unbekannt sind.
Das war nun mal nicht so, und die Leute haben sich ja auch oft ein Dreck um die Werkintegrität geschert, wenn da einer da z.B. was übersetzt hat, hat er es auch gleich zensiert, aufpoliert, gekürzt, ausgeweitet ...
Tja, damals waren Plagiate halt legal. (Die Leute damals wussten wahrscheinlich nichtmal, was ein Plagiat ist.)
Du musst halt unterscheiden zwischen "Es gibt einen Urheber." und "Der Urheber ist bekannt."
Nur weil der Urheber unbekannt ist, heißt das noch lange nicht, dass er nicht existiert. (Und Autor ist letztendlich nichts anderes als eine Abkürzung für "literarischer Urheber")
Und mit der Fixierung ist es ähnlich. Es gibt eben von vielen tradierten Texten keine kanonische, "richtige" Fassung, weshalb es oft auch wenig Sinn ergibt, den Autor klar benennen zu wollen.
1) Ich habe nie gesagt, dass ich den Autoren nennen will. Ich habe gesagt, dass der Autor existiert. (Auch wenn er evtl. unbekannt ist.)
2) Auch bei modernen Sachen gibt es keine "richtige Fassung".
Ist jetzt die Zeichentrickserie Batman die richtige Fassung oder sind die Spielfilme zu Batman die richtige Fassung? (Und wenn ja: Welche Spielfilme sind die richtige Fassung?)
Das gleiche könnte ich dich zu Spider Man oder zu Robin Hood fragen.
Wenn ein Werk sich großer Beliebtheit erfreut, wird es unwiderbringlich zu Remakes kommen.
Der Unterschied war halt der, dass im Mittelalter ein Remake sozusagen Standard und an der Tagesordnung war, während es heutzutage nur noch bei sehr berühmten Geschichten zu Remakes kommt.
3) Alleine die Tatsache, dass du sagst: "Der Übersetzer hat gleich zensiert, aufpoliert, gekürzt, ausgeweitet etc.", besagt doch, dass da etwas Fixiertes vorhanden war:
- Es gab ein Werk, das er übersetzen konnte.
- Es gab ein Werk, das er aufpolieren konnte.
- Es gab ein Werk, das er kürzen konnte.
- Es gab ein Werk, das er ausweiten konnte.
Sprich, es war etwas vorhanden, das sich verändern ließ.
Das ist bei einer RPG-Sitzung aber nicht der Fall.
- Du kannst keine zweite RPG-Sitzung machen, die eine Übersetzung einer alten RPG-Sitzung ist.
- Du kannst keine RPG-Sitzung aufpolieren, falls dir die ursprüngliche RPG-Sitzung nicht gefällt.
- Du kannst keine RPG-Sitzung kürzen.
- Du kannst keine RPG-Sitzung ausweiten.
Es ist einfach kein Werk, keine Fixierung vorhanden, n dem du das machen konntest.
Bei mittelalterlichen Geschichten war das anders: Dort existierte ein Werk, das du übersetzen, aufpolieren, kürzen, erweitern etc. konntest.
Bei einer mittelalterlichen Geschichte konnte der Rezipient, nachdem er die Geschichte gehört hatte, sagen: "Die Geschichte an sich ist gut, die erzähle ich weiter. Aber da sind ein paar Details, die ändere ich ab, wenn ich sie weitererzähle."
Das funktioniert bei einem (ergebnisopffenen) RPG nicht. Da kann weder der SL noch der Spieler sagen: "Der RPG-Abend an sich war super. Aber da waren ein paar Details, die ändere ich ab, wenn ich den RPG-Abend das nächste Mal mache."
Disclaimer:Selbstverständlich gibt es auch bei einem RPG ein paar "fixierte" Elemente, die regelmäßig auftauchen: Sei es, dass man nur eine Viertelstunde auf Nachzügler wartet und dann ohne sie anfängt, dass man immer das gleiche Regelsystem verwendet, dass man um 16:00 Uhr eine kleine Essenspause einlegt, dass der Gastgeber bestimmt, wie lange die Spielsitzung dauert etc.
Das sind natürlich alles fixierte Elemente, die sich ändern lassen. Aber diesen Elementen fehlt die sprachliche Komponente, weshalb diese keine Literatur sind.
Wenn man dann darauf ausweicht, jede Variante als neues Werk zu behandeln und die Autoren der jeweiligen Variationen zu suchen ... tja, wahrscheinlich kann man das machen, aber ich wüsste tatsächlich nicht, warum das von Interesse sein sollte, weil das ja gerade am Charakter dieser Literatur vorbeigeht.
Es muss nicht jede Variante ein neues Werk sein.
Wenn der Lektor sich dein Geschreibsel anschaut und dort ein paar Korrekturen vornimmt, ist das noch kein neues Werk, sondern immer noch das alte Werk mit kleinen Veränderungen.
Wenn man sich jedoch Robin Hood von Walt Disney anschaut und sich anschließend den Film "Robin Hood - Helden in Strumpfhosen", dann ist es ein neues Werk.
Bei der Frage, ob etwas ein neues Werk ist oder nicht, kommt es also darauf an, wie groß die Veränderungen sind: Nimmt man nur minimale Veränderungen vor (Beispiel: Lektor korrigiert), dann ist es noch das alte Werk.
Nimmt man jedoch tiefgreifendere Veränderungen vor (Beispiel: Robin Hood als Zeichentrickfilm zu Robin Hood als Spielfilm), dann ist es ein neues Werk.
Sicherlich ist der Übergang fließend und man kann nicht exakt sagen, wieviel Veränderungen ein Werk verkraftet, bevor es zu einem neuen Werk wird.
Aber grundsätzlich lässt sich sagen: Je mehr Veränderungen ein Werk widerfährt und je tiefgreifender die Veränderungen sind, desto wahrscheinlicher ist es anschließend ein neues Werk. (Aber wenn du genaueres wissen willst, müsstest du dich mit ein paar Juristen kurzschließen, die sich darauf spezialisiert haben. Die Frage, was noch als altes Werk und was bereits als neues Werk gilt, ist überaus komplex.)
Es hat auch keinen Sinn, den als Autor zu definieren, der ggf. das Fixieren besorgt. Wenn du eine Geschichte erzählst und ich das Diktiergerät dazu anstelle, bin ich dann der Autor?
Nein, derjenige, der den schöpferischen Akt hat, ist der Autor. In diesem Fall also: Derjenige, der sich die Geschichte ausgedacht hat, ist der Autor. (Es sei denn, ich habe die bereits ausgedachte Geschichte so weit abgeändert, dass sie als eigenständiges Werk gilt. Dann wäre ich der Autor.)
Aber du mit deinem Diktiergerät bist nicht der Autor, sondern der Rezipient.
Und du müsstest nichtmal ein Diktiergerät mitlaufen lassen. Wenn du dich entschließen würdest, die Geschichte, die ich dir erzählt habe weiterzuerzählen, wäre es ebenfalls Literatur.
Oder wenn ich mich entschließen würde, die Geschichte, die ich dir erzählt habe, irgendwann später jemand anderem ebenfalls zu erzählen, wäre das ebenfalls Literatur.
Wichtig ist, dass die Geschichte den Augenblick übersteht. Ob nun mit Diktiergerät oder als Bereitschaft, sie irgendwo anders wiederzuerzählen, ist dabei egal.
Wenn diese Bereitschaft jedoch nicht besteht, dann ist das keine Literatur, sondern nur ein Gespräch.
Es geht mir im Prinzip auch überhaupt nicht darum, bestimmte Begriffe möglichst eng oder weit zu fassen ("Literatur" weit und "Autor" eng, etwa), sondern darum, dass man sich bewusst ist, dass in der Wissenschaft (und d.h. in jeder eingehenderen Auseinandersetzung) die Verwendung von Begriffen auch immer mit Definitionsarbeit verbunden ist. Deshalb fangen wissenschaftliche Arbeiten ja oft mit Begriffsklärungen an, um deutlich zu machen, warum sie welche Begriffe wie anwenden.
Klar steht es einem Wissenschaftler frei, zu Beginn einer Arbeit zu schreiben: Ich definiere für meine Arbeit das Wort Literatur" wie folgt: ...
Und dann kann man innerhalb der Arbeit anhand dieser Definition messen, ob etwas Literatur ist oder nicht.
Wenn diese Definition aber nicht kommt, dann wird davon ausgegangen, dass man den Begriff so verwendet, wie er auch sonst üblich verwendet wird.
Das gleiche gilt auch hier:
Hätte der Threadstarter geschrieben, wie er Literatur definiert, hätte ich mich an diese Definition gehalten.
Da er das nicht getan hat, verwende ich die Definition aus Wikipedia.
Wenn du jetzt sagst, dass Wikipedia sich irrt und man in der Literaturwissenschaft eine andere Definition verwendet, nämlich [insert definition], dann würde ich diese Definition verwenden.
Diese Fixierung auf Fixierung ist diskussionsunwürdiger Blödsinn. Musik ist auch Musik, wenn man sie nicht aufnimmt.
Ja richtig.
Aber Musik ist keine Musik, wenn keine Schallwellen dabei vorkommen.
Ein definierendes Merkmal von Musik ist, dass Schallwellen erzeugt werden. Werden keine Schallwellen erzeugt, ist es keine Musik.
Und ein definierendes Merkmal von Literatur ist, dass es fixiert wird. Ist es nicht fixiert, ist es keine Literatur.
Niemand hat behauptet, dass Literatur Schallwellen erzeugen muss. Und niemand hat behauptet, dass Musik fixiert sein muss.
ABER: Musik muss Schallwellen erzeugen und Literatur muss fixiert sein.
Pouint taken?