Ich weiß nicht, warum sich jetzt schon mehrere Leute so sehr dazu berufen fühlen, mit aller Vehemenz auf dieses Spiel zu pissen...
Es ist mein Lieblingsprojekt und von sehr guten Freunden von mir mit sehr viel Recherche, Herzblut und Mühen entwickelt worden. Bei amerikanischen Spielern kommt es merkwürdigerweise fabulös gut an und auch jedes Mal, wenn ich es bei Cons leite (mittlerweile schon zweimal in Ulm, je einmal in Mainz und in Dreieich ... keine einzige negative Reaktion, nur glückliche Gesichter!). Da funktioniert es auf einmal. Darum lasse ich auf CC&VF nichts Schlechtes kommen und lasse es mir nicht ausreden. Alles, was ich zu den ablehnenden Meinungen hier sagen kann, ist: Geschmäcker sind nun mal verschieden. Manche Menschen mögen Vanilleeis und manche mögen Pistazieneis. Beides ist aber Eis.
Zum Inhaltlichen: Was habt ihr auf einmal mit Indoktrination? Nichts liegt mir/uns doch ferner!
Einerseits wollen hier im
gefühlte 90% der regelmäßigen Poster irgendwas Regelarmes, Fluffiges, Indie-artiges, dann wieder lese ich, es sei euch nicht konkret und nicht reguliert genug. Also, was denn bitte?
Beispiel aus dem Quickstart:
Was du in deinen Händen hältst, ist eine
Schnellstart-Vorschau des bald folgenden
Rollenspiels Capes, Cowls and Villains Foul
von Spectrum Games. Diese Vorschau
enthält eine Handvoll spielbereiter
Charaktere, ein kurzes Szenario für diese,
und genug Regeln, damit du dich sofort ins Geschehen
stürzen kannst [...] und das System
ausprobieren kannst. Du solltest hierin
hoffentlich genug Regelmaterial finden, das dich
dazu anregt, deine eigenen Charaktere zu bauen
und schon über deine eigene superheldenhafte
Spielrunde nachzudenken …
Ja, ja... ganz böse Indoktrination.
Gulag. Chinesisches Umerziehungslager. Das Ende der Freiheit. Faschismus.
Leute, was wollt ihr mir sagen??!
Das ist doch beim besten Willen ein ganz normaler, freundlich formulierter Textabschnitt. Lieb und nett und sympathisch und noch nicht mal belehrend oder pädagogisch. Jede Gebrauchsanweisung für eine Kaffeemaschine enthält mehr Belehrungen und Imperativsätze als das hier. Das ist ganz nett gemeinte Information in der Einleitung. Was daran ist indoktrinierend?
Ich weiß ja nicht, wo DER Rollenspieler ein angedeutetes System zur Charaktererschaffung gesehen haben will. Hier ist nur vom Ideengeben die Rede. Von Inspiration. Und ein Querverweis auf das kommende vollständige Regelbuch muss doch jedem PDF zu einem kommerziellen Rollenspiel erlaubt sein. Beschwere ich mich denn, dass ich keine Pathfinder- oder BASH-Charaktergenerierung für lau kriege? Oder Hero? Oder Mutants and Masterminds? Dieser Quickstart enthält absichtlich KEINE Charaktererschaffung, dazu muss der geneigte Käufer/Leser schon bis zur VÖ des Grundregelwerks warten. Im Quickstart gibt es keine Regeln zum Generieren eigener Figuren und keine Punktewerte für die Eigenschaften oder Merkmale. Das würde bei einer Kurzvorstellung oder Einführung über ein kostenloses kleines PDF meiner Meinung nach stören. Außerdem wäre der Verlag schön blöd, wenn er die komplette Charaktergenerierung zum jetzigen Zeitpunkt auch noch gratis raushauen würde. Abgesehen davon, dass das System dahinter (das mir durchaus schon bekannt ist) dann Rezensenten wie 1of3 oder DER Rollenspieler auch wieder nicht zusagen würde, weil sie ja SOOO VIEL bessere Sachen kennen oder aber selber schreiben.
Die Merkmale sind völlig offen interpretierbar. In meiner neuesten Con-Spielrunde mit CC&VF hatte ein Spielercharakter zum Beispiel das Merkmal SPORTWISSEN. Es gab eine kleine, aber nicht feindselige Diskussion darüber, ob "Sportwissen" sozusagen nur Theorie und Trivia abdeckt, also in welchem Jahr welcher Spieler wie viele Homeruns für sein Baseball-Team geholt hat und wer mit welchem Ergebnis die College-Meisterschaften im American Football gewonnen hat, oder ob man mit "Sportwissen" auch selber praktische Anwendungsmöglichkeiten für Sprünge, Läufe, Würfe mit einem Ball, Speer und so weiter hat. Der Clou ist: Das ist doch absichtlich NICHT festgelegt. Der eine Spieler interpretiert den Begriff "Sportwissen" eben so und der andere Spieler anders. Beide haben für sich gesehen recht. Wenn man wirklich Wert darauf legt, eine Unterscheidung einzuführen und beizubehalten, kann man auch jeweils ein Merkmal SPORTWISSEN und ein Merkmal SPORTLER-FÄHIGKEITEN (oder einfach SPORTLER oder ATHLET oder auch FOOTBALLER) haben, jeweils mit oder ohne Zusätze oder Einschränkungen (siehe die Beispiele der vier Helden-Charaktere).
Im direkten Vergleich zu anderen, größeren Superhelden-Spielen ist mir beispielsweise aufgefallen, dass man im Hero System eigentlich ständig Variable Power Pool (VPP) bräuchte, um das machen zu können, was ich mit einem stinknormalen unmodifizierten Merkmal in CC&VF machen kann.
In meinen Con- und Testspielrunden haben wir regelmäßig alle vier der Beispielhelden gebraucht, um das Szenario erfolgreich zu lösen. Eine Ausbalanciertheit unter den vier Beispielfiguren war niemals Ziel und Zweck des Quickstarts -- und sie ist auch in realen Comic-Superteams allenfalls illusorisch: Warum braucht Superman die Justice League mit 10 oder mehr Mitgliedern? Superman, Green Lantern und Martian Manhunter hätten zu dritt die Möglichkeit, so ziemlich alles zu machen, was die übrigen Justice-League-Mitglieder können. Dennoch haben wir uns auch bei CC&VF Gedanken gemacht. Ja, Muse ist zwar ein mächtiger Charakter, aber alle vier wurden vom Autor mit etwa der gleichen Punktesumme generiert, mit minimalen Abweichungen. Ist euch schon mal aufgefallen, das Muse zum Beispiel einen niedrigeren Schwellenwert als Geek Grrrl und Red Phoenix hat? Wohl eher nicht. Das heißt: Der Charakter hat zwar coole Powers, bricht aber schneller zusammen oder ist schneller gestresst, ermüdet, überredet, hypnotisiert usw. Fliegen können, Stärke und Nicht-Körperlichkeit sind eben auch nicht unbedingt alles.
Das mit den Begrenzungen auf die Anwendbarkeit der Merkmale in einer Szene hat hier auch noch fast niemand richtig verstanden: Das soll der Story dienen! Nichts anderem. Ein Beispiel:
Schafft Muse in einer Szene nicht, einen Gegner mit ihrer SUPERSTÄRKE wegzufegen, könnte der Charakter im Comic sagen, "Verflixt. Offenbar komme ich hier mit roher Kraft nicht weiter. Werde es mal mit strategischen Tricks versuchen..." Daraufhin setzt sie statt SUPERSTÄRKE eine Kombo aus KAMPFKUNST und SEHR SCHLAU ein, und wenn sie möchte, noch erweitert um den Bonus von NICHT-KÖRPERLICHKEIT, um den Gegner zu verwirren oder zu frustrieren.
Könnte ich als Spieler in CC&VF ein Merkmal einfach unbegrenzt immer wieder und wieder einsetzen, ohne die Nachteilswürfel, dann wäre das so, als würde zum Beispiel Superman jedes Problem mit Fliegen und Geschwindigkeit lösen, oder Wonder Woman jeden Gegner in jedem Abenteuer einfach mit ihrem Lasso fesseln. Und das wäre dann ja langweilig. Man soll bei den Merkmalen abwechseln und kombinieren. Außerdem Beschreiben! Beschreiben, beschreiben, beschreiben. Coole Beschreibungen und Interpretationen sind das A und O in diesem System.
Was ist mit der Initiative? Was soll schon sein?! - Die Initiative hat der, der das Überraschungsmoment auf seiner Seite hat. Ist aus der Geschichte heraus klar und logisch, wer sich vorbereitet und auf die Lauer gelegt hat, etc., so hat diese Seite auch die Initiative. Ansonsten hat die Seite mit dem höheren Merkmalswert (in dem Merkmal, das als erstes zum Einsatz kommen soll!) eben auch die Initiative. Das ist alles, was man dazu wissen muss.
Offenbar scheint CC&VF aber etwas sehr Amerikanisches zu sein, das am Tanelorn-Geschmack vorbeigeht. (Armes Deutschland!) Außerdem ist es absichtlich auf den Comic-Nerd zugeschnitten, nicht auf Spieler, die alles in Regeln, Tabellen und ellenlange Erklärungen gegossen sehen wollen.