Autor Thema: [Montags in Zürich] The Mountain Witch  (Gelesen 1740 mal)

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oliof

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[Montags in Zürich] The Mountain Witch
« am: 20.04.2010 | 01:21 »
Alle 14 Tage Montags trifft sich ein Kreis verschiedener Spieler, um regelmäßig in verschiedene Systeme reinzuschnuppern. Gespielt wurden unter anderem Paranoia, Spirit of the Century, The Shadow of Yesterday, My Life With Master, Western City; außerdem Renaissance-Sachen wie "Death Frost Doom" … meinen persönlichen Organisationsherausforderungen paßt es, daß ich nicht immer dabei sein muß, dafür ende ich bei den esoterischeren Spielen häufiger als SL.

Diesen Montag also durfte ich The Mountain Witch anbieten; dieses Spiel harrt immerhin schon etwa 5 Jahre darauf, aus meinem Schrank genommen und gespielt zu werden. Die Spieler hatten eine gute Vorstellung des Sujets (Ronin – ehemals ehrenhafte Samurai, nun als gedungene Mörder ihr Geld verdienen) und die Ausgangssituation ist simpel genug (alle SC haben den irrsinnigen Auftrag angenommen den Alten vom Berge zu stellen und zu töten).

Leider ist nun die ursprüngliche Webseite zum Spiel längst abgeschaltet, aber die Wayback Machine hat den letzten sinnvollen Stand glücklicherweise gesichert. Außerdem gibts noch eine weitere Webseite, die ein paar Gedanken zum Spiel eingefangen und der Nachwelt erhalten hat. So konnte ich Charakterbögen und Zodiac Cards ausdrucken.

Nun ist japanische Mythologie und Historie nicht mein Fachgebiet, und ich hatte ein bißchen Bedenken, daß das dem Erfolg der Runde abträglich sein könnte. Ich klickte mich mehr oder weniger zufällig durch ein paar Webseiten zum Thema japanischer Mythologie und ließ mich durch die Bilder inspirieren – außerdem blätterte ich durch die Beschreibung der im Buch enthaltenen Gegenspieler, bzw. Schergen des Alten vom Berg. Letztlich habe ich aber nur 4 A6-Seiten mit Notizen vollgeschmiert und das wars — statt blumiger Ausschmückung aller Details in akzentfreiem Altmitteljapanisch habe ich auf die Fantasie der Spieler selbst gesetzt. Dieses Rezept sollte aufgehen, doch dazu später mehr.

Für die Spieler packte ich Würfel und Pokerchips in aufeinander abgestimmten Farben ein (eine Idee von der zweiten Webseite); ich hatte mich bei der Anzahl der Spieler und der Anzahl der Pokerchips leider vertan, aber das Problem ließ sich am Spieltisch dank weitere Spielmarken im Besitz unseres Gastgebers schnell beheben. Die Charakterbögen aus dem Buch waren eher verwirrend; glücklicherweise hatte ich eine andere Variante dabei, die besser funktioniert hat.

Die Charaktererschaffung ging vergleichsweise schnell vonstatten, allerdings war die freie Auswahl der Abilities ein kleiner Hemmschuh. ich hatte schon vorher entschieden, zwei statt drei Abilities zu benutzen, doch selbst das war schwierig. Inclusive Namenswahl (hilfreich war hier die Namenstabelle am Ende des Buches), Studium der Tierkreiszeichen und der Dunklen Schicksale dauerte die Charaktererschaffung vielleicht 40min – ich hatte also noch knapp 2h freier Spielzeit.

Die oben erwähnten Notizen hatten das Abenteuer grob in Kapitel unterteilt. Das braucht man später für die regelmäßige Überprüfung der Vertrauensverhältnisse. Die Einzelnen Szenerien sind eher railroadig aneinandergereiht; weil es in dem Spiel aber weniger um das was als um das wie geht, bereitete mir das wenig Schmerzen.

Das eigentliche Spiel ging recht flott von Statten. Wir haben drei Kapitel abgeschlossen, und ich habe noch drei weitere auf dem Zettel. Der rollenspielerische Anteil war zunächst etwas holprig, doch gegen Ende des ersten Kapitels (die erste Nacht am Fuße des Berg Fuji) hatten alle Spieler eine ungefähre Idee ihrer Charaktere und die Spannungen in der Gruppe nahmen erste Züge an. Im zweiten Kapitel (Aufstieg am Berg) hatten wir die ersten Ereignisse, in der die dunklen Schicksale der Charaktere durchschimmerten: Iroyashine-Sama wurde mit seiner Vergangenheit als erfolgloser General konfrontiert; Ono-Sama träumte von einer Jugendliebe(?), auch wenn der Traum nur das Gespinst eines Traumstehlers war.

Die Spieler fanden sich im (zugegebenermaßen schmalen) System sehr schnell zurecht, und die Konfliktmechanik trug und schnell von Ereignis zu Ereignis.

 Es war für die Spieler nicht immer einfach, hier eine korrekte Dosis zu finden, doch langsam kam Schwung in die Sache. Als SL nahm ich mir heraus, einen Spieler etwas ins Rampenlicht zu zerren, der seinen Charakter zwar lautstark doch für die eigentliche Geschichte scheinbar konsequenzlos spielte. Der Sakesaufende Nakamura Hiroshi war schon im ersten Kapitel von Yuki-Onna direkt angesprochen worden, doch damals wurden weitere Gespräche  durch den gezielten Schwerthieb von Ono-Sama effektiv unterbunden.

Interessant war zu sehen, wie die Mechanik um das gegenseitige Vertrauen funktionierte – Einige Spieler benutzten die Vertrauenspunkte häufig um ihren Kameraden zu helfen; aber wohldosiert verzichteten sie auch hin und wieder darauf. Alle diese Entscheidungen wirkten auf das Spiel maßgeblich ein. Die Umverteilung der Vertrauenspunkte am Ende der Kapitel führten wir im Geheimen durch, danach erläuterte jeder Spieler kurz, warum er sich für die jeweiligen Verschiebungen (oder Beibehaltung des Status Quo) entschieden hatte.

Am Ende des dritten Kapitels, das damit endete, daß Nakamura-Sama den anderen beichtete, wie er ehrlos wurde, war es noch einmal ganz spannend. Nakamura hatte von einem riesigen Wolf einen Brief überbracht bekommen, und die anderen wollten nun wissen was darin stand — seine Liebste schrieb ihm, dass sie nun dem Alten vom Berge diente und er sich ihr anschließen solle, damit sie endlich glücklich sein könnten. Das war den anderen letztendlich doch suspekt, und so verlor Nakamura fast alles Vertrauen.

Die Spieler hatten viel Spaß; wir hatten einen Haikus vortragenden Dichter dabei, einen gefallenen General, einen heimatlosen Mönch, einen dauernd betrunkenen Kämpfer sowie einen Ronin mit einem legendären Schwert. Letzterer hat aufgrund seiner großen Zurückhaltung übrigens auch an Vertrauen eingebüßt, ganz ohne meine Einwirkung durch SLC. Das fand ich sehr spannend und ich sehe für die nächste Sitzung die Aufgabe auf mich zukommen, die Zurückhaltung dieses Charakters mehr zu thematisieren.

Fazit: The Mountain Witch funktioniert. Einer der Spieler hat es als "längeres Abenteuer mit maßgeschneidertem System" beschrieben, und ich denke das paßt. Es ist sicherlich kein Spiel das man regelmäßig oder mehr als einmal spielen würde. Aber ich glaube, es könnte spannend sein es häufiger zu Leiten, einfach um zu sehen, wie verschiedene Gruppen das gleiche Thema angehen. Das Buch sieht sehr schön aus, hat sich im Gebrauch als etwas unhandlich herausgestellt. Es fehlt ein Index, und auch das Inhaltsverzeichnis ist viel zu grob. Hilfreich ist, das alle Regeln auf dem Charakterblatt Platz finden. Hin und wieder hätte ich mir aber gewünscht, das PDF am Tisch zu haben, um bestimmte Details schnell nachschlagen zu können (Wie funktioniert das mit den weak/able/strong opponents nochmal? Was sollen Abilities genau abbilden?). Bei den Abilities hätte eine Liste mit Beispielen geholfen; das Buch bietet nur eines. Vieleicht sollte ich nochmal in das Demokit schauen.

Die Vertrauensmechanik bringt einen gewissen Anteil Player-vs-Player ins Spiel, die Gruppe hat das aber gelassen aufgenommen und gerne mit der Idee gespielt, ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen.

Wer ein Spiel aus der besseren[1] Zeit der Forge ausprobieren möchte das nicht besonders pädagogisch oder subversiv ist, ist mit The Mountain Witch recht gut bedient. Das Buch selbst ist vergriffen, ein PDF gibt es bei IPR für stolze 18 US-Dollar – meiner Meinung nach 3 Dollar zu viel, zumal das Buch damals mit den Dunklen Schicksalen auf Extrakarten in einem schicken Umschlag daher kam und nur wenig mehr gekostet hatte. Das Buch hat 140 Seiten im A5 Format und ist mit mehreren stilsicheren Farbtafeln und Kalligraphien ausgestattet.



[1] Diese Wertung ist subjektiv: Mir kommt es so vor, als wäre nach 2006 nichts spannendes mehr von der Forge gekommen; vielleicht trügt mein Zeitsinn mich.